Karlsruhe (dpa)
Mit dem autonomen Flugtaxi von A nach B: Wann ist es soweit?
Die Zukunft ist ganz nah, so scheint es, und Flugtaxen längst das nächste große Ding. Geforscht daran wird seit Jahren, auch in Deutschland. Wie weit ist hierzulande die Vision von der Wirklichkeit entfernt?
Beim Bruchsaler Flugtaxi-Startup Volocopter spricht man vom „Dorothee-Bär-Moment“: Der Moment einige Monate nach der letzten Bundestagswahl 2017, als CSU-Politikerin Bär kurz nach ihrer Ernennung zur Staatsministerin für Digitalisierung im März 2018 davon sprach, dass in Zukunft möglicherweise Flugtaxen von A nach B fliegen können.
Viel Häme erntete sie für den Satz. Doch die Idee autonom fliegender Fluggeräte, die den Verkehr entlasten könnten, treibt längst viele Firmen um und katapultierte seinerzeit das Thema unversehens in die Öffentlichkeit. Nun steht die nächste Bundestagswahl an - wie weit sind die Utopien von damals gediehen?
„Es gibt bereits viele technisch weit ausgereifte Prototypen, aber es fehlen noch „reality checks““, sagt Michael Decker vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe. Denn viele Fragen seien ungeklärt: „Etwa wo dürften die starten und landen, wie sieht es angesichts ohnehin sehr strenger deutscher Richtwerte mit Lärm tagsüber oder nachts aus.“
Viele Menschen sind noch skeptisch
Auch sei eine große Frage, ob die Fluggeräte einen Piloten an Bord haben oder nicht: „Wenn das Gerät komplett autonom fliegt, dann kommen schon einige Akzeptanzfragen ins Spiel“, sagt er. An einem sonnigen und windstillen Tag mag sich das gut anfühlen, aber im Gewitter oder Sturm dürfte es dem einen oder anderen schnell ungemütlich werden.“
An Akzeptanz hapert es in der Tat noch, wie Forscher des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) bei einer Nutzerbefragung in Deutschland, USA und Südkorea herausfanden. In Deutschland würden demnach knapp 40 Prozent der Befragten kein autonomes Flugtaxi besteigen, gut 28 Prozent fänden es zumindest eher unwahrscheinlich. Stattdessen herrschten Ängste und Befürchtungen vor, und zwar bei allen Altersgruppen. Fazit der im Februar diesen Jahres veröffentlichten Studie: Autonome Flugtaxen zum Transport vom Menschen in Städten seien bisher „noch eher als Hype-Thema zu betrachten“.
„Wir kennen die kritischen Akzeptanzstudien“, entgegnet Florian Reuter, Geschäftsführer von Volocopter - und tritt dem entgegen. Eine Studie der Hochschule für Technik Stuttgart aus dem Jahr 2019 zeige, dass die Akzeptanz weit höher liegt, sobald Befragte selber die Gelegenheit hatten, ein Flugtaxi fliegen zu sehen. Im Dezember 2019 war in Stuttgart ein Volocopter-Flugtaxi erstmals vor Publikum in einer europäischen Stadt geflogen. Hinterher wurden etwa 1200 der rund 12000 Zuschauer befragt worden - 67 Prozent hatten den Angaben nach dabei die Nutzung eines Flugtaxis als wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich bezeichnet.
Die Bruchsaler Firma beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema Flugtaxen, „wir sind die Pioniere in diesem Gebiet, da macht uns so schnell keiner etwas vor“, sagt Reuter. Volocopter wolle rechtzeitig zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris kommerzielle Verbindungen anbieten - wenn die Behörden dort mitspielen. „Es sind noch einige nationale Bestätigungen nötig.“ Bis Ende 2023 will Volocopter die letzte Hürde nehmen, danach in den Probebetrieb - „dann wollen wir in der Lage sein, vom Flughafen aus einige olympische Orte anzufliegen“.
Irgendwann so normal wie Taxifahren?
Bedenken gegenüber autonome Taxen will Reuter aber grundsätzlich ernst nehmen. „Wir fliegen zunächst mit Pilot, da muss man erst mal das Eis brechen“, sagt er. Auch die Behörden, die den Luftraum regeln müssen, fühlten sich wohler, wenn ein Pilot an Bord sei, „denn noch gibt es die rechtlichen Rahmenbedingungen für den voll-autonomen Betrieb nicht“.
Flugtaxi-Projekte rund um den Globus sind zahlreich, die Schätzungen von Experten schwanken zwischen 100 und 120. Viele Unternehmen engagieren sich in dem Segment - wie auch etwa Airbus, Daimler oder Volkswagen. Das bayerische Start-up Lilium will in wenigen Jahren ebenfalls in Serie gehen mit seinen elektrischen Fluggeräten und hatte gerade erst sein Debüt an der US-Börse.
An vielen entscheidende Voraussetzungen für kommerzielle Flüge fehlt es aber nach Einschätzung Deckers noch: Weder gibt es bisher genügend Start- und Landeplätze, noch ein effektives Luftraummanagement, das irgendwann in der Zukunft Tausende oder gar Zehntausende Flugtaxen über Städte navigieren könnte. Projekte auf europäischer Ebene wie SESAR (Single European Sky ATM Research) forschen daran seit Jahren.
Eine ganz andere Frage ist die der Kosten. Dauerhaft werde der Flug mit einem Flugtaxi mit dem Preis einer Taxifahrt vergleichbar sein, sagt Reuter. Dafür allerdings braucht es auch ausreichend Fluggäste - und wann es soweit ist, steht in den Sternen. Denn Decker vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe würde sich derzeit noch nicht in ein autonomes Flugtaxi hineinsetzen: „„Dafür gibt es noch zu viele Unwägbarkeiten.“
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