Karlsruhe (dpa)

Bundesregierung muss Ausgleich für Atomausstieg neu regeln

| 12.11.2020 09:42 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
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Seit Fukushima ist besiegelt: Ende 2022 ist Schluss mit der Atomkraft in Deutschland. Was kein Ende nimmt, ist der Ärger. Jetzt fällt der Politik der Hauruck-Ausstieg ein weiteres Mal auf die Füße.

Neun Jahre nach der atompolitischen Kehrtwende wegen der Reaktorkatastrophe von Fukushima steht die Bundesregierung vor der nächsten Baustelle.

Der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Ausgleich für geschädigte Kraftwerksbetreiber muss noch einmal komplett neu geregelt werden. Die Gesetzesänderung von 2018 sei unzureichend und außerdem wegen formaler Mängel nie in Kraft getreten, entschieden die Karlsruher Richter nach einer erneuten Klage des Energiekonzerns Vattenfall. Das teilte das Verfassungsgericht mit. Der Gesetzgeber sei „zur alsbaldigen Neuregelung verpflichtet“. (Az. 1 BvR 1550/19)

Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung 2011 für die 17 deutschen Kernkraftwerke eine nur wenige Monate zuvor beschlossene Laufzeit-Verlängerung zurückgenommen. Bis spätestens Ende 2022 müssen alle Meiler zu festen Terminen vom Netz gegangen sein. Dann ist Schluss mit der Atomkraft.

Dagegen hatten Eon, RWE und Vattenfall schon einmal in Karlsruhe geklagt. In ihrem ersten, großen Urteil vom 6. Dezember 2016 erklärten die Verfassungsrichter den beschleunigten Atomausstieg zwar für größtenteils mit dem Grundgesetz vereinbar. Problematisch ist aber, dass einige Kraftwerksbetreiber einmal zugestandene Strommengen durch die festen Abschalttermine gar nicht mehr selbst produzieren können. Dafür steht ihnen ein angemessener Ausgleich zu.

Das betrifft vor allem den schwedischen Energieriesen Vattenfall mit seinen beiden deutschen Kraftwerken Krümmel und Brunsbüttel, für die gleich 2011 das endgültige Aus kam. Die Bundesregierung hat sich für einen finanziellen Ausgleich entschieden und stellt sich auf die Zahlung Hunderter Millionen Euro ein. Das Geld soll beantragt werden können, sobald 2023 der Atomausstieg vollendet ist.

Die gesetzlichen Vorschriften, die das Verfahren regeln, sind aber in Teilen „unzumutbar“, wie es nun aus Karlsruhe heißt. Denn bevor es Geld vom Staat gibt, muss Vattenfall versuchen, seine restlichen Strommengen an andere Versorger zu verkaufen. Das bedeute, „entweder potentiell unangemessene Konditionen zu akzeptieren oder aber zu riskieren, kompensationslos auszugehen“, teilte das Gericht mit.

Und das ist nicht das einzige Problem: Wegen möglicher beihilferechtlicher Bedenken wurde das Inkrafttreten der Regelungen von der Zustimmung der EU-Kommission abhängig gemacht. Diese sei allerdings nie förmlich erteilt worden, entschieden die Richter. Damit gibt es das Gesetz de facto bis heute gar nicht.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, die Entscheidung betreffe nicht den Atomausstieg bis 2022, sondern nur einen Randbereich. „Wir werden das Urteil gründlich analysieren und zügig eine Gesetzesregelung auf den Weg bringen, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes gerecht wird.“

Vattenfall begrüßte die Entscheidung. Die Novelle habe „die massiven Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Energieversorgern noch einmal verschärft“. Vattenfall könne nur an einen einzigen Versorger, nämlich Eon, verkaufen - „und zwar zu Bedingungen, die von diesem Versorger im Wesentlichen selbst bestimmt werden können“.

Auch der Essener Energiekonzern RWE, der wegen des nach kurzem Probebetrieb stillgelegten Kraftwerks Mülheim-Kärlich von ähnlichen Fragen betroffen ist, sieht seine Rechtsposition gestärkt.

Wegen des Atomausstiegs ist auch noch eine Klage von Vattenfall beim internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) in Washington anhängig. Hier geht es um Forderungen von mehreren Milliarden Euro wegen der dauerhaften Stilllegung von Krümmel und Brunsbüttel.

© dpa-infocom, dpa:201112-99-305437/7

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