Seefeld (dpa)
Müller will Turbo zünden - Chelsea-Trio verspricht EM-Schub
Joachim Löw will in Seefeld ein EM-Team mit „Gewinnermentalität“ aufbauen. Die Forderung wird von einem Champions-League-Siegertrio um Finalheld Havertz prompt umgesetzt. Auch Müller hat beim DFB-Comeback „Großes“ vor und will das Nationalteam „ans Limit“ puschen.
Radio Müller sendete aus dem Teamhotel solange, bis Mats Hummels die Sendung abrupt beendete.
Der Dortmunder holte seinen Rückkehrer-Kumpel Thomas Müller kurzerhand vom Mikrofon weg, aber eigentlich war nach einer halben Stunden Pressekonferenz auch alles gesagt: Vielredner Müller will sich keineswegs mit dem persönlichen Triumph seines Nationalelf-Comebacks begnügen, sondern dazu beitragen, bei der anstehenden EM „Großes“ zu erreichen.
Müllers verbales EM-Programm gipfelte am Sonntag in den Tiroler Bergen in einer klaren Ansage: „Ich habe Erfahrung im Gepäck. Ich will vorangehen. Ich will ein Katalysator sein, damit das Team den Turbo zünden kann“. Dabei gehe es bei ihm nicht „ums Brüllen und die Lautstärke“ auf dem Platz, sagte der wortgewaltige Leitwolf des FC Bayern. Aber für den Erfolg „darf es auch mal verbal scheppern“.
Die Müller-Show vermehrte wenige Stunden nach dem Champions-League-Triumph des Chelsea-Trios um Matchwinner Kai Havertz die Aufbruchstimmung. Müller verströmte Optimismus und Energie: „Ich spüre, dass diese Mannschaft ans Limit gehen wird.“
Die „persönliche Niederlage“ seiner Ausmusterung durch Joachim Löw im Frühjahr 2019 kann er nun in einen Triumph verwandeln. Er scherzte sogar: „Meine DFB-Aufenthaltsquarantäne war länger als 14 Tage.“
Vorm Länderspiel-Comeback an diesem Mittwoch in Innsbruck gegen Dänemark mag er aber nicht auf die Zeit nach Löw blicken, sondern nur auf möglichst „euphorische sechs Wochen“ - sprich: Bis zum Finale. Noch einmal bei einem Turnier die „deutschen Farben zu vertreten und um den Titel mitzuspielen“, reizt den 100-maligen Nationalspieler. Was danach komme, wenn Hansi Flick als Bundestrainer übernimmt, interessiere ihn jetzt „nullkommanull“.
Müller sprüht vor Tatendrang. Und die von Löw tags zuvor geforderte „Gewinnermentalität“ lebt er vor. Müller will gerne führen: „Der Bundestrainer weiß, was er für ein Paket dazugeholt hat.“
Siegermentalität zeigte auch das Chelsea-Trio mit Finalheld Kai Havertz, Antonio Rüdiger und Timo Werner, das am Donnerstag mit dem Rückenwind des Champions-League-Triumphs nach Österreich kommt. „Das gibt dir Selbstbewusstsein, dass du auf höchstem Niveau performen kannst“, bemerkte Müller zum Impuls auf das DFB-Team und die EM. Vor allem Matchwinner Havertz habe dem Finale „den Stempel aufdrücken“ können, lobte Müller, der mit den DFB-Kollegen vorm TV zuschaute.
Wer wenige Stunden vor Havertz' bislang wichtigstem Karriere-Tor gegen Manchester City wiederum die Jubelgeste von Müller nach einem Ausgleichstreffer seiner Mannschaft beim Trainingsspiel vor ein paar Zaungästen in Seefeld miterlebt hatte, kann mehr als nur erahnen, wie heiß der Bayern-Angreifer auf sein großes Turnier-Comeback ist.
„Ich will Spiele gewinnen, ich will Trainingsspiele gewinne, ich will meine Mitspieler anstacheln“, sagte Müller. Er tut es seit dem Tag seiner Rückkehr in Seefeld als Einpeitscher der Offensive. Hummels' Part ist es, der Abwehr als Ruhepol Stabilität zu geben. Zum Hummels-Partner im Abwehrzentrum hatte Löw schon vor dem Chelsea-Erfolg den zweikampfstarken Rüdiger erklärt. „Toni ist ein Innenverteidiger auf höchstem Niveau. Er ist extrem wichtig.“
Die Rio-Weltmeister Müller (31) und Hummels (32) hat Löw zu EM-Chefs ernannt. Für die erste Turnierphase ist das Duo gesetzt. „Thomas und Mats wissen von mir, dass sie eine wichtige Rolle spielen, wenn man sie zurückholt. Sie können mit ihrer Erfahrung und ihrem Können der Mannschaft helfen“, sagte Löw - fügte aber gleich hinzu: „Sie müssen auch Leistung bringen.“
Zu seiner Rolle rückwärts bemerkte der Bundestrainer übrigens etwas Erstaunliches: „Ich habe der Mannschaft gesagt: Ich musste nicht über meinen Schatten springen, ich mache das aus Überzeugung.“ Mit Müller und Hummels gab es mehrere Telefonate, um wieder als Einheit zusammenzufinden. Müller hat „das Gefühl, dass beide Seiten das Gleiche wollen, den absoluten Erfolg in den nächsten sechs Wochen“.
Dafür bekommt Löw drei neue Gewinnertypen. Havertz, Werner und Rüdiger werden ebenso wie Manchester Citys Ilkay Gündogan am Donnerstag ihre Zimmer im Hotel Nidum beziehen. Löw war als „neutraler“ Zuschauer höchst angetan von seinem Chelsea-Trio, das einen „Wahnsinns-Abend“ erlebt habe. Für den Wunderknaben Havertz (21) sei es eine „märchenhafte Geschichte“, schwärmte Löw.
Chelseas 1:0 in Porto war für den Bundestrainer ein 3:1. Denn er müsse nur den Final-Verlierer Gündogan „wieder aufbauen“. Werner dagegen scherzte, das Chelsea-Trio werde „nicht mit schlechter Laune“ nach Österreich kommen. Oliver Bierhoff hofft auf einen kraftvollen Chelsea-Schub. „Zusammen wollen wir eine begeisternde EM spielen“, frohlockte der DFB-Direktor. Auch das drohende Quarantäne-Problem bei der Einreise der England-Profis nach Deutschland ist inzwischen gelöst. Für die EM-Generalprobe am 7. Juni gegen Lettland in Düsseldorf kann Löw nun auch fest mit Havertz und Co. planen.
Einige andere Baustellen und Personalfragen bleiben. Toni Kroos wartet nach seiner Corona-Erkrankung in Spanien weiterhin auf ein negatives Testergebnis. Mittelfeldkollege Leon Goretzka soll zwar am Dienstag nach Seefeld kommen, kann nach seinem Muskelfaserriss nicht sofort mit der Mannschaft trainieren. Löws Zielsetzung bis zum Frankreich-Spiel wackelt. „Alle Spieler müssen auf ein gutes Niveau gebracht werden, jeder muss bereit sein“, hatte er gesagt.
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