Stuttgart/Bonn (dpa)
Autobauer kämpfen gegen Produktfälscher
Mit Produktfälschungen verdienen Kriminelle branchenübergreifend viel Geld. Das spüren auch Autobauer immer mehr - und sind im Kampf gegen Produktpiraten zuletzt doch weiter ins Hintertreffen geraten.
Wer sich im Internet auf den einschlägigen Verkaufsplattformen auf die Suche nach Originalersatzteilen für sein Auto macht, der findet sich in einem Wust an Angeboten wieder.
Felgendeckel von Mercedes-Benz werden den potenziellen Kunden da ebenso im Überfluss angeboten wie beispielsweise Scheinwerferschalter von VW oder BMW-Embleme für die Motorhaube. Vieles wird als Originalherstellerware beschrieben - doch was wirklich echt ist und was (gut) gefälscht, bleibt für Laien oft im Dunkeln.
Glaubt man den großen Autoherstellern, handelt es sich dabei um ein wachsendes Problem. Immer mehr Kriminelle böten immer mehr gefälschte Originalteile auf immer mehr Plattformen an, ist aus der Branche zu hören. Hauptvertriebsort der Machenschaften ist - ebenso wie in anderen kriminellen Bereichen - das Internet, wie unter anderem der deutsche Zoll bestätigt. Die Corona-Pandemie hat die Online-Umsätze branchenübergreifend in die Höhe schnellen lassen - und angesichts weltweit vielerorts zumindest zeitweise geschlossener Werkstätten und Autohäuser auch den Autoteilefälschern geholfen.
Hunderte Razzien
Der Volkswagen-Konzern berichtete auf Anfrage allein für seine Kernmarke VW Pkw von global mehr als 100 Razzien im Jahr 2020, bei denen Produkte im Wert von rund 6,5 Millionen Euro beschlagnahmt worden seien. Bei Daimler ist sogar von 550 Razzien und 1,7 Millionen gefälschten Produkten im Vorjahr die Rede, einen Gegenwert in Euro nennt der Konzern nicht. Die für Integrität und Recht zuständige Vorständin Renata Jungo Brüngger sagt der Deutschen Presse-Agentur allerdings: „Da lässt sich Geld verdienen wie beim Drogenhandel.“ Der Onlinehandel und die Corona-Pandemie hätten das Geschäft der Fälscher vereinfacht. Auch BMW erklärt, von Produktfälschungen betroffen zu sein, nennt aber keine Zahlen.
Daimler verzeichnete im Vorjahresvergleich nach eigenen Angaben einen leichten Anstieg der beschlagnahmten Fälschungen. Dass die Zahl der sichergestellten Piraterieprodukte nicht noch deutlicher nach oben gegangen ist, führen die Stuttgarter vor allem auf die zahlreichen Corona-Lockdowns in etlichen Ländern zurück. So hätten viele Razzien aufgeschoben werden müssen, viele zuständige Gerichte vorübergehend ihre Arbeit eingestellt. Die Fälscher freute es.
Die meisten Imitate gehen nach Branchenangaben in die EU und in die USA - doch wenn es um Beschlagnahmungen geht, sind andere Orte für Fahnder deutlich lukrativer. Jene nämlich, an denen die Fälschungen hergestellt, gelagert und später umgeschlagen werden. Dabei handelt es sich meistens um Länder in Asien, im Nahen Osten und in Nordafrika. „Unser Ziel ist es, die Fälschungen direkt am Ort ihrer Entstehung oder an Umschlagsorten beschlagnahmen zu lassen, bevor sie in die Verbrauchermärkte gelangen“, teilt Daimler mit. In vielen Fällen ließen Fälscher aus der organisierten Kriminalität ihre Ware unter „menschenunwürdigen Bedingungen“ ohne Rücksicht auf Umweltstandards, Arbeitsschutz oder Menschenrechte produzieren.
Mühsamer Kampf gegen Produktpiraten
Mit aufwendigen Recherchen und juristischen Schritten versuchen sich die Konzerne gegen die Produktpiraterie zu wehren, doch das ist mühsam, wie zu hören ist. Das liegt etwa an schlecht funktionierenden staatlichen Strukturen in jenen Ländern, in denen die Fälscher sitzen, teils aber auch an fehlendem Detailwissen der Ermittler. Wer kann einen gefälschten Mercedes-Felgendeckel schon auf Anhieb von einem echten unterscheiden? Das ist auch ein Grund, weshalb die Unternehmen bei Razzien versuchen, mit eigenen Mitarbeitern vertreten zu sein - diese sollen lokalen Behörden quasi als Experten dienen.
Abseits dessen versuchen die Konzerne, auf Onlineverkaufsplattformen angebotene Fälschungen löschen zu lassen. Allein für die Volkswagen-Kernmarke VW Pkw entdecke man täglich mehrere Tausend Angebote mit markenrechtsverletzenden Produkten, sagt ein Sprecher.
Oft unentdeckt am Zoll vorbei
Wenn die Sendungen mit den bestellten Ersatzteilen erst mal unterwegs sind, müssen sie hierzulande in der Regel noch am Zoll vorbei. Manches wird entdeckt, das meiste aber vermutlich nicht. Die in Bonn ansässige Generalzolldirektion berichtet, vom Handel mit gefälschten Ersatzteilen seien inzwischen alle gängigen Automarken betroffen. Dabei handle es sich oft um Dinge, die der optischen Veränderung eines Fahrzeugs dienten. Daneben gehörten auch sicherheitsrelevante Ersatzteile wie Bremsbeläge, Filter, Auspuffanlagen und Felgen zum gängigen Fälschungsportfolio. Daimler-Vorständin Jungo Brüngger sagt: „Wir haben auch schon Bremsbeläge aus Sägemehl gesehen.“
Der Stuttgarter Konzern warnt, typische Alarmsignale für gefälschte Produkte seien etwa ein „auffällig“ niedriger Preis oder der Verkauf über dubiose Online-Quellen. Der Zoll rät, klassisch auf etablierte Geschäfte zu vertrauen. „Das sicherste Vorgehen, um den ungewollten Einkauf von gefälschten Produkten zu verhindern, ist gerade im sicherheitsrelevanten Automobilsektor sicherlich der direkte Einkauf beim oder über den Fachhandel“, heißt es. Bei einem Einkauf von Ersatzteilen beim Fachhändler sei die Fälschungsproblematik „gänzlich auszuschließen“. Bei einem Ankauf von Teilen im Internet auf Plattformen, die nicht vom Markenhandel selbst betrieben werden, sei das Risiko, einer Fälschung aufzusitzen, dagegen „ungleich höher“.
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