Berlin (dpa)
Mord an afghanischer Frau löst Entsetzen aus
Die Tat erinnert an den tragischen Tod von Hatun Sürücü, die 2005 von ihrem Bruder erschossen wurde. Und wie vor 16 Jahren wird über Integrationsdefizite diskutiert.
Ein ausgebeulter Koffer mit einem grauenhaften Inhalt: Nach dem Mord an einer zweifachen Mutter aus Afghanistan mutmaßlich durch zwei Brüder sind nun weitere Details der Tat bekannt geworden.
Die Verdächtigen zogen demnach die Leiche ihrer Schwester am 13. Juli in einem großen Rollkoffer zwischen vielen Menschen im belebten Bahnhof Berlin-Südkreuz durch. Das zeigen Fotos aus Überwachungskameras, die die „Bild“-Zeitung am Dienstag veröffentlichte. Die Brüder im Alter von 22 und 25 Jahren sollen ihre 34-jährige Schwester in Berlin getötet und die Leiche nach Bayern gebracht und dort vergraben haben.
Die Staatsanwaltschaft hatte die Videoaufnahmen der Überwachungskameras ausgewertet, wollte sich aber zu den Bildern nicht äußern. Parallel entbrannte über die Tat und ihre integrationspolitischen Hintergründe eine Debatte.
Der Koffer auf den Bildern der Kameras auf dem Bahnhof sah ausgebeult aus und wirkte sehr schwer. Zu zweit wuchteten die beiden jungen Männer ihn in den ICE, umgeben von wartenden Reisenden. Die Kriminalpolizei zeigte später durch einen Versuch, dass sich ein Frauenkörper in dem Koffermodell unterbringen lässt.
Die Brüder sollen die Tat „aus gekränktem Ehrgefühl“ begangen haben, weil das Leben der Schwester nicht ihren Moralvorstellungen entsprochen habe. Seit dem 4. August sitzen die beiden in Untersuchungshaft. Die Frau und die Brüder kamen vor einigen Jahren aus Afghanistan nach Deutschland.
Die Frau hatte zwei Kinder im Alter von 9 und 13 Jahren und war von einem afghanischen Mann geschieden. Nach Angaben von Ermittlern wurde sie massiv besonders von einem der Brüder, der auch in Berlin lebte, unter Druck gesetzt. Er soll kontrolliert haben, ob sie ein Leben nach den Vorschriften einer rückständigen, männerdominierten islamischen Gesellschaft führte.
Morde im Namen der vermeintlichen Ehre, sogenannte Ehrenmorde, sorgten bereits in der Vergangenheit deutschlandweit für Aufsehen. Im Februar 2005 wurde die 23-jährige Deutsch-Türkin Hatun Sürücü in Berlin von ihrem Bruder mit drei Schüssen getötet. Frauenrechtsorganisationen sprechen von zahlreichen derartigen Taten in jedem Jahr.
Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) wandte sich gegen den Begriff des „Ehrenmords“ und wollte lieber von „Femizid“ sprechen. „Hinter all diesen Morden steht keine Religion, steht keine Kultur, hinter all diesen Morden stehen patriarchale Strukturen“, sagte sie am Dienstag. Diese Strukturen gebe es in unterschiedlicher Form und Ausprägung. „Aber so zu tun, als sei Gewalt an Frauen und der Mord an Frauen importiert, das ist auch nicht richtig.“ Es gebe auch deutsche Männer, die ihre Frauen und Partnerinnen ermordeten. Der Mord durch einen Bruder an einer Schwester, wie im aktuellen Fall, gehöre auch in anderen Ländern „nicht zur Tagesordnung“.
Die Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin Seyran Ates widersprach im RBB-Inforadio deutlich. Man müsse klarstellen, dass es bei diesen Taten um die westliche Lebensweise von Frauen und Morde im Namen einer angeblichen Familienehre gehe. Das werde in Deutschland nicht genug thematisiert und man sehe da nicht genau hin. Es gebe diesen speziellen Ehrbegriff der Familie in bestimmten Gesellschaften und die männlichen Täter handelten danach. In klassischen deutschen Familien würden Brüder keine Schwester töten, weil sie zu westlich lebe.
„Ehrenmorde sind aber nur die Spitze des Eisbergs“, sagte Ates. Es gebe weiterhin große Probleme in Parallelgesellschaften mit der Unterdrückung von Frauen und Gewalt. Wenn die Integrationspolitik das nicht sehe, „ist das ein Armutszeugnis für die Politik“.
Auch der Psychologe und Autor Ahmad Mansour wies im „Tagesspiegel“ auf große Unterschiede beim Thema Frauenrechte und Sexualität zwischen Teilen der arabischen Gesellschaften und Deutschland hin. Er kritisierte, Integrationspolitik und Flüchtlingsinitiativen würden diese Probleme oft verdrängen. Die Leidtragenden seien die Frauen.
Der Berliner CDU-Vorsitzende Kai Wegner hatte am Samstag gefordert: „Wir brauchen eine offene Debatte über gescheiterte Integration aufgrund archaischer Wertvorstellungen, die aus den Herkunftsländern nach Deutschland mitgebracht werden.“
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