Gefahrenabwehr
Friesland: Welche 8557 Leute sollen nochmal zur Corona-Impfung?
Nach Kochsalz-Impfungen: 8557 Personen, die im Friesländer Corona-Impfzentrum eine oder zwei Spritzen erhalten haben, können jetzt ein bis zwei weitere Impftermine bekommen. Wer ist konkret betroffen?
Friesland - Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seit April gegen eine – inzwischen ehemalige – DRK-Mitarbeiterin des Impfzentrums Roffhausen im Landkreis Friesland, die sechs Impf-Spritzen nur mit Kochsalzlösung gefüllt haben soll. Obwohl es laut Staatsanwaltschaft Oldenburg keine Hinweise auf weitere Kochsalz-Impfungen gibt, sollen jetzt alle Personen nochmal geimpft werden, deren Impfstoff-Spritzen von der Beschuldigten aufgezogen worden sein könnten. Dieses Vorgehen habe das Niedersächsische Landesgesundheitsamt mit dem Robert-Koch-Institut und der Ständigen Impfkommission abgestimmt beziehungsweise an deren Empfehlungen orientiert, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung des Landkreises Friesland und des Landesgesundheitsamtes.
Die meisten Betroffenen sollen eine, manche sogar zwei zusätzliche Spritzen bekommen. Letzteres dann, wenn beide bisherigen Impftermine in einen Zeitraum gefallen sind, in dem die erwähnte Krankenschwester die Spritzen vorbereitet hat. Das kann bedeuten, dass manche Leute letztlich vier Biontech-Dosen bekommen werden. Alternativ zu zwei (weiteren) Biontech-Spritzen können sie sich einmal mit Johnson & Johnson impfen lassen. „Auch wenn Personen bereits zweimal korrekt geimpft wurden, sind entsprechende Nachholimpfungen gesundheitlich unbedenklich und sollten unbedingt in Anspruch genommen werden“, so Dr. Matthias Pulz, Präsident des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes. „Die bekannten Impfreaktionen können gegebenenfalls ausgeprägter sein“, merkt die Friesländer Kreisverwaltung auf ihrer Internetseite an.
Impfreaktionen sind keine Garantie, dass Impfstoff in der Spritze war
Weiter heißt es auf der Kreis-Homepage: „Nach der“ – bisherigen – „Impfung aufgetretene Impfreaktionen sind kein Indikator für die Effektivität einer Impfung und ob wirklich der Impfstoff verwendet wurde.“ So könnten beispielsweise Schmerzen an der Einstichstelle auch auftreten, wenn die Impfung mit einer Kochsalzlösung erfolgt sei: „Daher sollte unabhängig von aufgetretenen Impfreaktionen auf jeden Fall eine neue Impfung erfolgen“ – oder eben in manchen Fällen auch zwei.
Die ehemalige Impfzentrums-Mitarbeiterin, gegen die ermittelt wird, habe vom 5. März bis zum 20. April Spritzen für die Impfungen vorbereitet. Das teilen die Friesländer Kreisverwaltung und der DRK-Kreisverband Jeverland mit, bei dem sie beschäftigt war. Es seien aber nicht alle Personen betroffen, die in diesem Zeitraum Spritzen erhalten hätten.
Welche Personen können neue Corona-Impftermine bekommen?
Alle Leute, bei denen die Kreisverwaltung ausschließen möchte, dass sie keinen oder einen mangelhaften Impfschutz haben, werden auf dem Postweg oder auch per E-Mail angeschrieben. Wer für sich sofort klären will, ob er oder sie einen zusätzlichen Impftermin bekommt, kann auf der Internetseite des Landkreises Friesland seine Impftermine mit den dort angegebenen Impf-Zeiträumen vergleichen. „Personen, die in diesem Zeitraum geimpft wurden, werden gebeten, sich telefonisch unter 0800/ 0005160 (kostenfrei) zu melden, so dass eine Impfung nachgeholt werden kann.“
Die neuen Impftermine müssen laut Kreisverwaltung nicht in Friesland nachgeholt werden. Auch die Impfzentren in Wittmund, Wilhelmshaven und Ammerland kämen dafür infrage.
Aufgrund welcher Ermittlungsergebnisse werden Impfungen wiederholt?
Bei den jetzt angebotenen Impfterminen handelt es sich um eine Gefahrenabwehr-Maßnahme. In strafrechtlicher Hinsicht gebe es „keinen weiteren Verdacht“ gegen die beschuldigte Ex-Mitarbeiterin des Impfzentrums, erklärt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg – also keinen Verdacht, der über das bisher angenommene Ausmaß von sechs Kochsalz-Impfungen hinausgehe.
Allerdings habe die Polizei bei ihren Ermittlungen gegen die Frau Erkenntnisse gewonnen, die „Richtung Querdenker-Szene und Impfkritik“ gehen. Demnach soll die Krankenschwester einen Text einer anderen Person weitergeleitet haben, in dem eine Impfstoffspritze als „Todesspritze“ bezeichnet worden sei, wie die Staatsanwaltschaft berichtet. Es gehe auch um Beiträge, welche die Frau auf Facebook geteilt habe. Die Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland teilte mit: „Der Inhalt der Beiträge ließ eine grundsätzlich kritische Einstellung zu den unterschiedlichen Maßnahmen der Regierung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erkennen.“
Warum betreibt die Friesländer Kreisverwaltung jetzt Gefahrenabwehr?
Die Polizei sei nicht nur für Ermittlungen nach dem Strafgesetzbuch zuständig, sondern auch für die Gefahrenabwehr nach dem Polizeigesetz, erklärt die Staatsanwaltschaft. Daher habe die Polizei vorsichtshalber den Landkreis informiert, der ebenfalls für Gefahrenabwehr zuständig sei. In strafrechtlicher Hinsicht seien die Verdachtsmomente aber „nicht stark genug“. Ein Ermittlungsstand, wie er in der Öffentlichkeit seit Anfang Mai bekannt ist.
Doch erst jetzt haben sich die Friesländer Kreisverwaltung und das Landesgesundheitsamt zu der Gefahrenabwehr-Maßnahme entschieden, 8557 Personen nochmal spritzen zu lassen. In deren Pressemitteilung heißt es: „Nach aktuellen polizeilichen Erkenntnissen besteht die Gefahr, dass die Verursacherin auch in weiteren Fällen anstelle des Impfstoffes nur eine Kochsalzlösung in den Spritzen aufgezogen hat.“ Das lasse sich „nicht ausschließen“.
Was wird der ehemaligen DRK-Mitarbeiterin strafrechtlich vorgeworfen?
Auf dem Aktendeckel des Ermittlungsverfahrens stehe „Gefährliche Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft“, berichtet der Sprecher der Staatsanwaltschaft. „Mittelbar“ deshalb, weil die Beschuldigte nur die Spritzen aufgezogen habe und sie dann jemand anderes – in der Annahme, da sei Impfstoff drin – verabreicht habe.
„Kochsalzlösung dient zum Verdünnen des eigentlichen Impfstoffes und ist als Substanz unschädlich“, schreibt die Friesländer Kreisverwaltung. Worin besteht dann die etwaige Körperverletzung? „Der Pieks“ der Spritze sei als Körperverletzung anzusehen, wenn nur Kochsalzimpfung drin sei, erklärt die Staatsanwaltschaft. Denn dem Pieks habe die betroffene Person ja nur unter der Bedingung zugestimmt, dass Impfstoff verabreicht und damit ein Schutz gegen das Corona-Virus erzielt wird. Zusammenfassend sagte der Presse-Staatsanwalt: „Strafrechtlich hat sich im Grunde nichts verändert.“ Unter gefahrenabwehrrechtlichen Gesichtspunkten aber offenbar schon. Deshalb können sich jetzt 8557 Personen nochmal spritzen lassen.
Könnte auch in anderen Impfzentren Kochsalz geimpft worden sein?
Unsere Zeitung hat sich beim niedersächsischen Gesundheitsministerium erkundigt, ob es inzwischen in allen Impfzentren ein Vier-Augen-Prinzip bei der Spritzen-Vorbereitung gibt. Das Ministerium antwortete, dass die Kochsalz-Impfung im April in Friesland zum Anlass genommen worden sei, mit allen 52 Impfzentren die Prozesse und Organisationsstrukturen genau zu durchleuchten. Am 26. April sei, „sofern es bis dahin noch nicht vorgesehen war, das Vier-Augen-Prinzip flächendeckend angewiesen“ worden.