Tokio (dpa)

Typen in Tokio: Bladejumper, Playboy-Model, Außenminister

Holger Schmidt, dpa
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Von Holger Schmidt, dpa
| 22.08.2021 11:18 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Mit einem breiten und starken Kader geht Deutschland bei den am Dienstag beginnenden Paralympics in Tokio an den Start. Ein Abschneiden wie in Rio wäre aufgrund der gewachsenen Konkurrenz aber schon ein Erfolg.

Dabei sind ein „Bladejumper“, ein „German Wunderkind“ und ein „Außenminister“. Dazu erstmals ein im Einsatz verletzter Bundeswehrsoldat, eine stillende Mutter, zwei Olympioniken, ein „Playboy“-Model und „Tante Irmie“. Und begleitet werden sie von einem Song der Band „Rammstein“.

Es ist eine illustre Truppe, die Deutschland von Dienstag an bei den ungewöhnlichsten aller Paralympics ins Rennen schickt. Mit hohen sportlichen Zielen. Und mit einer klaren Vorgabe: „Ich hoffe nicht, dass wir für ähnliche Schlagzeilen sorgen werden wie die Olympia-Mannschaft“, sagt Karl Quade, in Tokio zum 13. Mal Deutschlands Chef de Mission.

Zwischenfälle wie der „Hol die Kameltreiber“-Ruf von Rad-Sportdirektor Patrick Moster oder das Verhalten von Fünfkampf-Bundestrainerin Kim Raisner gegen ein verweigerndes Pferd bei Olympia soll es keinesfalls geben. „Es geht uns um eine Demonstration sportlicher Leistungen, aber auch sozialer Kompetenz und die Verkörperung einer Vorbildfunktion“, betont Quade.

Auch Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, erklärt: „Disziplin ist im Leistungssport eine wichtige Tugend. Die Einhaltung der Disziplin werden wir überwachen.“ Er glaube zwar nicht an Zwischenfälle, man habe die Athletinnen und Athleten dennoch genau instruiert.

Die 133 Sportler und ihre drei Guides - darunter die früheren Olympia-Teilnehmer Alexander Kosenkow im Sprint und Robert Förstemann beim Radfahren - sollen im Wettkampf für Aufsehen sorgen. „Es geht darum, sportlich gut abzuschneiden. Corona hin oder her“, sagt Quade.

In Rio belegte der DBS Rang sechs im Medaillenspiegel. Damit wäre man diesmal wohl zufrieden, auch wenn ein offizielles Ziel nicht ausgegeben wird. Doch die Konkurrenz erscheint in vielen Sportarten und Disziplinen größer. „Der paralympische Sport gewinnt weltweit an Bedeutung“, sagt Beucher. „Deshalb hat ein förmliches Aufrüsten stattgefunden. Das haben die wenigen internationalen Vergleichskämpfe zuletzt gezeigt. Aber wenn unsere Athleten im Wettkampf das abrufen, was sie im Vorfeld gezeigt haben, ist mir um eine große Erfolgsausbeute nicht bange.“

Sicherster Gold-Kandidat ist Weitspringer Markus Rehm (33). Mit seinem Weltrekord bei der EM von 8,62 Meter lag der „Bladejumper“ mehr als anderthalb Meter vor der Konkurrenz. In Tokio will er „den Rekord nochmal angreifen“. Rollstuhlsprinterin Merle Menje, nach zwei Goldmedaillen bei der EM vom IPC als „German Wunderkind“ betitelt, bremst derweil die Erwartungen. „Meine Konkurrenz kommt vor allem aus Übersee“, sagt Menje, die am Abreisetag zu den Spielen 17 wurde. „Ich will bei diesen Spielen vor allem lernen.“

Zu den Goldkandidatinnen gehört auch Irmgard Bensusan (30), die 2016 in Rio dreimal Silber gewann. Kürzlich machte die von allen „Tante Irmie“ genannte Sprinterin ihre Depressionen nach ihrem Unfall 2009 öffentlich. Ebenfalls um Gold stößt der kleinwüchsige Rio-Sieger Niko Kappel (26), wegen seines Sitzes im Gemeinderat von Welzheim und seinem Mandat als Athletensprecher auch „Außenminister des DBS“ genannt.

Im Schießen ist Afghanistan-Veteran Tim Focken der erste im Einsatz verletzte Bundeswehrsoldat. Im Einer-Kajak kann Ex-Basketballerin Edina Müller (38), die kürzlich als Vize-Präsidentin des Fußball-Zweitligisten Hamburger SV kandidieren wollte, teilnehmen, weil die stillende Mutter Sohn Liam entgegen erster Planung mitnehmen darf. Vor allem den Goalballern wird zugetraut, den Mannschafts-Fluch von Olympia in den Teamsportarten zu beenden. Ihr Ziel: Gold.

Wiedergutmachung müssen die Schwimmer betreiben, die in Rio erstmals goldlos blieben. Größte Hoffnungsträgerin ist Elena Krawzow (27). Die sehbehinderte Berlinerin sorgte im Vorjahr nicht nur als „Playboy“-Coverstar für Aufsehen, sie hält auch fünf Weltrekorde.

Kurz für Aufsehen sorgte die Tatsache, dass die Para-Athleten bei der Einkleidung ein kleineres Paket bekamen als die Olympioniken. Das lag jedoch daran, dass der Ausrüster Sponsor des DOSB, aber nicht des DBS ist.

Musikalische Unterstützung bekommt das deutsche Para-Team von der Gruppe Rammstein. Ihr Kultsong „Ich will“ von 2001 untermalt den Trailer der #MeinWeg-Kampagne des Teams Deutschland mit mehreren Para-Sportlerinnen und -Sportlern, darunter Sandra Mikolaschek (Tischtennis), Alhassane Baldé (Rennrollstuhl), Rehm und Johannes Floors (Leichtathletik). Die Szenen werden jeweils unterbrochen von dem kraftvollen „Ich will“ von Rammstein-Sänger Till Lindemann.

© dpa-infocom, dpa:210822-99-926066/3

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