Kiew (dpa)
Ukraine: Merkel und Selenskyj warnen Russland
Kanzlerin Merkel trifft kurz nach ihrem Besuch bei Kremlchef Putin den ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Auch diesmal geht es um mangelnde Fortschritte und Ängste im Ukraine-Konflikt - auch hinsichtlich Nord Stream 2.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem ersten Besuch bei dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Kiew Unterstützung in der Dauerkonfrontation mit Moskau zugesichert.
Merkel und Selenskyj warnten Russland am Sonntag davor, die fast fertige Ostseepipeline Nord Stream 2 als „politische Waffe“ einzusetzen. Es werde Sanktionen gegen Russland geben, „wenn die Pipeline als Waffe eingesetzt wird“, sagte Merkel. Mit Blick auf den blutigen Konflikt in der Ostukraine, wo prorussische Separatisten ukrainischen Regierungstruppen gegenüberstehen, sprach sie sich für einen neuen Gipfel aus.
Sie sei bereit für ein neues Ukraine-Treffen mit Beteiligung der Staatschefs aus Russland, Frankreich und der Ukraine, sagte Merkel. „Das würde uns Fortschritte bringen nach meiner Auffassung.“ Die Bilanz bei den Versuchen für eine Lösung des Konflikts in den Regionen Luhansk und Donezk sei trotz des Minsker Friedensplans bisher nicht zufriedenstellend.
Besonders groß aber, das machte Selenskyj sehr deutlich, ist die Sorge in der Ukraine über die Fertigstellung der russisch-deutschen Ostseepipeline. Bei ihrem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Freitag in Moskau erfuhr Merkel, dass nur noch 15 Kilometer bis zur Fertigstellung fehlten.
„Ich halte das für eine gefährliche Waffe nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa“, sagte Selenskyj. Die Ukraine befürchtet, dass sie nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2 als Transitland für russische Gaslieferungen nach Europa keine Rolle mehr spielt. Damit gingen dem chronisch klammen Land Milliardeneinnahmen verloren, auf die es eigentlich angewiesen ist.
Merkel betonte, sie betrachte die deutsch-amerikanische Einigung zu Nord Stream 2 als eine Verpflichtung der Bundesregierung, den Sorgen der Ukraine vorzubeugen, dass Energie als Waffe eingesetzt werde. Das Abkommen binde auch zukünftige Bundesregierungen, sich dem Thema Energiesicherheit zuzuwenden.
Die CDU-Politikerin sagte, Deutschland werde die Verhandlungen über eine Verlängerung des Vertrags über den Gastransit nach 2024 mit einem Sondergesandten schon jetzt beginnen, damit es Sicherheit für die Ukraine gebe. Putin hatte Merkel am Freitag gesagt, dass es einen Gastransit über die Ukraine nach 2024 nur dann geben könne, wenn es dafür noch einen Bedarf gebe.
Zusätzlich verpflichte sich Deutschland, so Merkel, für die Erneuerung des Energiemixes in der Ukraine einen Beitrag von 175 Millionen Dollar für einen Fonds zu leisten. Diese sollten mit weiteren Investitionen auf insgesamt eine Milliarde Dollar „gehebelt“ werden. Dabei gehe es um bilaterale Projekte. Merkel sagte, dass das Leitungsnetz der Ukraine künftig etwa für den Transport von Wasserstoff genutzt werden könne. Schon im September solle es dazu mit der Ukraine auf Staatssekretärsebene Gespräche geben.
„Beim grünen Wasserstoff geht es um die Zukunft, aber Nord Stream 2 ist heute“, sagte dagegen Selenskyj. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich von Deutschland mehr Unterstützung und bessere Garantien erhofft. Das dürfte er einmal mehr auch deutlich machen, wenn er sich Ende dieses Monats mit US-Präsident Joe Biden in Washington trifft. Die USA sind wie die Ukraine gegen Nord Stream 2 - sie beklagen eine zu hohe Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen.
Belastend wirkt sich auf die Beziehungen zwischen Berlin und Kiew auch die bisherige Weigerung Deutschlands bei Waffenlieferungen an die Ukraine aus, während hier etwa die USA offensiv vorgehen. Deutschland sei da zurückhaltend, sagte Merkel. Hilfe sei etwa in der Ausbildung von Soldaten möglich. Aber: „Ich habe keine konkreten Angebote gemacht“, meinte sie.
Selenskyj hat ein ums andere Mal eine zu russlandfreundliche deutsche Politik beklagt, was in Berlin mit Verärgerung aufgenommen wurde. Kiew setzt deshalb nun immer offener auf eine mögliche grüne Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl am 26. September mit einem möglichen härteren Kurs der Deutschen gegen Russland.
Trotzdem fanden Merkel und Selenskyj auch freundliche Worte füreinander. Die Kanzlerin verurteilte zur Freude Selenskyjs einmal mehr die Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland 2014. „Wir sind der deutschen Seite dankbar für die harte Position und die Unterstützung unserer Souveränität“, sagte Selenskyj. Merkel erinnerte am Grabmal des Unbekannten Soldaten auch an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und wurde mit „Angie, Angie“-Rufen und dem „Angie, Danke!“ begrüßt. Sie winkte zurück.
Vor allem aber ließ die Kanzlerin aufhorchen mit ihrem Lob zu Reformen unter Selenskyj, der gerade am Samstag erst wieder mit der populären Internetseite strana.ua eine beliebte Oppositionsplattform hatte schließen lassen. Merkel meinte in Kiew, Deutschland wolle den „mutigen und reformorientierten Weg“ unterstützen. „Ich will meine Hochachtung ausdrücken für das, was der Präsident unternimmt, gerade auch im Justizbereich, auch in vielen anderen Bereichen, um die Ukraine zu reformieren, zu einem transparenten Rechtsstaat zu machen, die Korruption zu bekämpfen.“
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