Brüssel (dpa)
Neue Antibiotika-Regeln geplant: Sind Haustiere in Gefahr?
EU-Parlamentarier wollen schärfere Regeln bei Antibiotika in der Tiermedizin. Tierärzte sind dagegen. Gekämpft wird mit harten Bandagen und Hundeblick.
Müssen Hoppel, Bello, Simba und Mautzi bald sterben, weil EU-Parlamentarier strengere Regeln für den Antibiotikaeinsatz bei Tieren durchsetzen wollen? Das suggeriert zumindest eine Kampagne des Bundesverbands praktizierender Tierärzte, der Unterschriften gegen die Pläne sammelt.
Mit großen Augen guckt in dem Aufruf ein Hund den Betrachter von unten an, darüber die Worte: „Mein Leben ist in Gefahr“. Hintergrund ist, dass der Umweltausschuss des Europaparlaments die EU-Kommission auffordert, fünf Antibiotika-Gruppen offiziell als sogenannte Reserveantibiotika einzustufen. Das hätte zur Folge, dass diese Antibiotika nicht mehr in der Massentierhaltung verwendet werden dürfen. Reserveantibiotika sind Medikamente, die bei Infektionskrankheiten verwendet werden, wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken. Ziel ist ein möglichst restriktiver Einsatz dieser Mittel, um ihre Wirksamkeit beim Menschen durch sich entwickelnde Antibiotikaresistenzen nicht zu gefährden.
Gleichzeitig soll die Kommission einen Gesetzesentwurf vorlegen, der die sogenannte Einzeltierbehandlung auch mit diesen Reserveantibiotika zulassen soll. Sprich: Haustiere dürften weiterhin mit den Wirkstoffen behandelt werden.
Also alles reine Panikmache? Hier gehen die Aussagen auseinander: Während der Bundesverband praktizierender Tierärzte, der in dieser Frage etwa auch vom Tierschutzbund unterstützt wird, davon ausgeht, dass ein Verbot von bestimmten Antibiotika für alle Tierarten „kaum mehr abzuwenden sei“, sollte sich das EU-Parlament im September hinter den Umweltausschuss stellen, widerspricht der Abgeordnete Martin Häusling (Grüne) vehement.
Sorge vor multirestistenten Erregern
Nachdem er namentlich in der Kampagne gegen die Position des Umweltausschusses angegriffen wurde, teilte er mehrfach mit, dass Haustiere nicht das Ziel der strengeren Maßnahmen seien. Wörtlich heißt es: „Die medizinische Versorgung von Haus- und Einzeltieren mit Antibiotika ist weder aktuell noch zukünftig gefährdet.“
Rückendeckung bekommt der Abgeordnete von der Deutschen Umwelthilfe. Diese hat eigenen Angaben zufolge ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass zeige, dass es rechtssicher möglich sei, Haustiere wie Pferde, Hunde oder Katzen von den neuen Regeln auszunehmen.
Bei der emotional geführten Debatte gerät der eigentliche Hintergrund recht schnell aus dem Fokus. Denn dass weniger Antibiotika eingesetzt werden sollten, darin sind sich alle einig. Denn der massenhafte und früher auch prophylaktische Einsatz von Antibiotika hat weitreichende Folgen. Der Grund: Je mehr ein Antibiotikum eingesetzt wird, desto eher setzen sich Erreger-Subtypen durch, denen das Medikament nichts anhaben kann - die resistent sind.
„Multiresistente Erreger breiten sich weltweit aus und könnten schon in der nahen Zukunft die sichere Behandlung von tödlichen Infektionskrankheiten bedrohen“, schreibt das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung. Nach Angaben von Häusling verursachen diese Resistenzen in der EU jedes Jahr 33.000 Todesfälle. „Es ist unglaublich wichtig, dass Antibiotika weise eingesetzt werden“, betont Petra Gastmeier, Professorin und Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité in Berlin.
Es gibt auch schon Erfolge: „Noch vor ungefähr zehn Jahren sind in der Tiermedizin 1700 Tonnen Antibiotika eingesetzt worden, jetzt sind wir runter auf ungefähr 700 Tonnen“, erläutert Gastmeier.
Bessere Haltung - weniger Antibiotika?
Aber was bringt die geplante Wirkstoffbeschränkung in der Tiermedizin? Franziska Richter Assencio, Professorin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und Fachtierärztin für Pharmakologie und Toxikologie sagt: „Es gibt die klare wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Anwendung von antimikrobiellen Wirkstoffen - also Antibiotika - in der Tiermedizin nicht für die Therapienotstände bei den Intensivpatienten in der Humanmedizin verantwortlich sind.“
Es gebe bereits strenge Auflagen die in Kombination mit gezielter Diagnostik und lückenloser Dokumentation der richtige Weg für Mensch, Tier und Umwelt seien. „Pauschal bestimmte Wirkstoffe zu verbieten, ist sehr kritisch zu betrachten.“ Dem widerspricht Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik bei der Umweltschutzorganisation Umweltinstitut München. Er sagt: „Pauschale Verbote von Wirkstoffen helfen uns, diese länger zu Verfügung zu haben.“ Wobei er zu bedenken gibt, dass es größere Probleme als den Einsatz dieser Medikamente in der Tiermedizin gibt. So sieht er die Vergabepraxis von Antibiotika in der Humanmedizin, Hygienesituation in Krankenhäusern und Mängel bei der Herstellung von Antibiotika als größere Probleme.
Um den Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin weiter zu senken, gäbe es zudem noch einen weiteren Weg: Die Haltungsbedingungen vor allem in der Geflügelzucht deutlich verbessern. In industriellen Hühnermastanlagen leben nicht selten Zehntausende Tiere. Krankheiten können sich dann verhältnismäßig schnell ausbreiten. Wenn man weniger Tiere pro Stall und mehr Platz pro Tier gesetzlich durchsetzen würde, könnte also möglicherweise auch die Menge an notwendigen Medikamenten reduziert werden.
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