Tokio (dpa)

Teil zwei der Pandemie-Spiele in Tokio als Mutmacher

Holger Schmidt und Lars Nicolaysen, dpa
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Von Holger Schmidt und Lars Nicolaysen, dpa
| 23.08.2021 12:13 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Mit einem Jahr Verspätung beginnen am Dienstag die Sommer-Paralympics in Tokio. Im Vorfeld hatten viele Athleten Bedenken aufgrund der Corona-Situation in Japan. Doch spätestens seit dem Eintreffen in Japan gilt die volle Konzentration dem Wettkampf.

Die Corona-Lage hat sich nach Olympia weiter zugespitzt, dennoch soll Teil zwei der Pandemie-Spiele von Tokio als Mutmacher dienen.

Bei Sportlern und Funktionären ist das flaue Gefühl vor dem Start der Paralympics am Dienstag jedenfalls nahezu verschwunden. „Die Vorfreude überwiegt ganz klar“, sagt Weitsprung-Weltrekordler Markus Rehm: „Ich bin sicher, dass es trotz aller Umstände tolle Paralympics werden.“

Andrew Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), antwortete auf die immer wieder gestellte Frage, ob die Paralympics trotz Corona sicher über die Bühne gehen können, knapp und unmissverständlich: „Ja.“ Man wäre sonst jetzt nicht in Tokio.

Erleichterung bei Athleten

Bei den Athleten ist die Erleichterung darüber, dass die Spiele der Behindertensportler mit einem Jahr Verspätung stattfinden können, groß. Das Vertrauen in die japanischen Organisatoren ebenso. „Viele Athleten haben zu mir gesagt: Friedhelm, tu alles, dass die Spiele stattfinden. Wir haben unser ganzes Leben danach ausgerichtet“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher: „Da hängen schließlich Lebensbilder dran. Ganze Planungen für den Beruf oder das Studium.“

Nun gelte das Motto: „Hauptsache Wettkampf! Das überwiegt die Anspannung und die traurige Gewissheit, dass die Spiele ohne Zuschauer stattfinden.“ Deshalb habe er im Endeffekt „keinen einzigen getroffen, der mit einem flauen Gefühl in den Flieger gestiegen ist“. Im Gegenteil: „Die Athleten bersten förmlich vor Spannung.“

„Respekt vor der Gefährlichkeit des Virus“

Dass der Verzicht auf Zuschauer außer 130.000 Kindern im Laufe der Spiele richtig ist, steht für Beucher und die deutschen Athleten aber außer Zweifel. Er habe noch „die unverantwortlichen Bilder von der Fußball-EM vor Augen“, sagt der Präsident: „Wir dürfen uns nicht sehenden Auges in eine Ansteckungssituationen bewegen. Es geht viel Seele der Spiele verloren. Aber der Respekt vor der Gefährlichkeit des Virus gebietet es, auf liebgewonnene Gewohnheiten zu verzichten.“

Der Glaube an das Gesundheitskonzept der Japaner ist groß. Die Olympischen Spiele haben ihn trotz 547 registrierten Corona-Fällen mit direktem Olympia-Bezug gestärkt. „Das Prinzip der Blase, bei dem die Sportler kontaktfrei zur Bevölkerung sind, hat ja bei Olympia weitgehend funktioniert“, sagt Beucher.

„Wir sind während der Spiele die am lückenlosesten überwachte Gruppe auf dem Planeten“, sagt Rad-Paralympicssieger Michael Teuber, gemeinsam mit Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier: „Es wurde sehr viel dafür getan, dass es nicht zu einem globalen Superspreader-Event kommt.“

Vertrauen in Gastgeber Japan

Kugel-Paralympicssieger Niko Kappel ist „froh, dass die Spiele in Japan stattfinden. Ich glaube, dass kein Land der Welt so gut organisiert ist wie Japan. Nicht einmal Deutschland.“ Es sei „schade, dass vieles wegfällt und man keine Zeit hat, sich etwas von Tokio anzuschauen. Aber das ist diesmal eben so.“ Das Eigentliche, den Wettkampf, wisse man so vielleicht noch mehr zu schätzen.

So sieht es auch Irmgard Bensusan. „Sehr wenige können von sich sagen, dass sie bei Paralympics dabei waren“, sagt sie: „Wir können sogar sagen, dass wir bei historischen Paralympics dabei waren.“ Auch Johannes Floors, wie Bensusan Gold-Hoffnung im Sprint, glaubt, „dass das wahrscheinlich einzigartige Spiele werden, wie es sie nie gegeben hat und hoffentlich nie wieder geben wird“.

Sprint-Kollege Felix Streng erklärt, dass eine Absage „für das Athleten-Herz sehr schwer gewesen wäre. Aber lässt man den Kopf etwas mehr zu Wort kommen, habe ich auch Verständnis für die Bevölkerung in Japan, die sich sehr einschränken muss und so einem Großevent skeptisch gegenüber steht.“ Man sei den Japanern „gegenüber verpflichtet, uns an die Regeln zu halten“, ergänzt Rehm deshalb. 

Rehm hofft auf einen gesellschaftlichen Effekt durch die Spiele. „Es geht auch darum, etwas zu hinterlassen“, sagt der 33-Jährige: „In Japan gilt es immer noch als schwach und negativ, im Rollstuhl zu sitzen oder eine Prothese zu haben.“ Deshalb wolle er eine Botschaft senden: „Vor ein paar Jahren hättet ihr vielleicht noch gesagt, ich soll mich verstecken. Heute springe ich vielleicht weiter als jeder bei Olympia und ihr jubelt mir zu“, erklärt Rehm: „Und auch eure Mitmenschen mit Behinderung können vielleicht eine spezielle Sache besser als alle anderen.“

© dpa-infocom, dpa:210823-99-936490/2

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