Berlin (dpa)
Härtetest für den „Agrarfrieden“ nach der Wahl
Mehr Platz für Tiere im Stall - aber auch mehr Geld dafür an die Bauern: Nach viel Zoff wurde eine Lösungsformel für einen Wandel der Landwirtschaft gefunden. Aber was macht die nächste Regierung daraus?
Für die Landwirtschaft kommt die Bundestagswahl jetzt eigentlich nicht ganz so günstig. Nach langen Auseinandersetzungen ist gerade ein breiter Konsens für einen großen Umbau zu mehr Umwelt- und Tierschutz gefunden.
Doch die Empfehlungen, die eine Kommission mit Vertretern aller Seiten im Juli an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übergab, fallen nun erst einmal in ein politisches Vakuum. Knüpft die nächste Regierung daran an, oder stellt sie womöglich doch vieles wieder auf null? Klar ist: Die Bedingungen der Lebensmittelproduktion sollen sich wandeln - mit Folgen für Landwirte und viele Supermarktkunden.
Aus Sicht von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) ist der Weg über die Wahl hinaus geebnet. „Wir haben ein Momentum geschaffen, das es vorher nicht gab“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist gelungen, ein gemeinsames Bewusstsein zur Zukunft der Landwirtschaft bei den verschiedenen Gruppen zu erreichen, die vorher nur übereinander statt miteinander geredet haben.“ Und: „Hinter die Ergebnisse wird keine Bundesregierung mehr zurückfallen können.“ Parteiübergreifend kamen dazu auch schon erste positive Signale.
„Agrarfrieden“ kam überraschend
Tatsächlich waren sogar manche Beteiligte erstaunt, dass es nach allen gegenseitigen Attacken nun plötzlich eine Art Agrarfrieden gibt. Den Anstoß für die Kommission hatte Merkel 2019 gegeben, als empörte Bauern mit Traktoren in die Städte rollten - um gegen neue Auflagen und für mehr Wertschätzung zu demonstrieren. Das Gremium brachte Vertreter von Ernährungsbranche und Bauern, Natur- und Verbraucherschützern, Handel und Wissenschaft zusammen. Heraus kamen geeinte Vorschläge für einen Systemumbau als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und verbunden mit Milliarden-Investitionen: etwa für mehr Ökolandbau, Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, für bessere Ställe.
„Es gibt jetzt einen wichtigen, einstimmig ausgedrückten Konsens“, sagte Klöckner: „Höhere Standards ja, aber die kosten mehr Geld. Und diese Mehrkosten können nicht allein die Landwirte tragen.“ Für die Finanzierung liege ihr Vorschlag für eine Tierwohlabgabe oder eine Mehrwertsteuererhöhung für tierische Produkte auf dem Tisch. Denkbar wären nach Empfehlungen einer anderen Kommission etwa 40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch. Konkret zu entscheiden ist das nach der Wahl. Um einen Startschuss gehe es aber nicht, machte Klöckner klar und verwies etwa auf ein 300-Millionen-Euro-Förderprogramm für den Umbau von Ställen. „Wir sind mittendrin in der Umsetzung.“
Grüne und SPD für flächenbezogene Obergrenze
In den Wahlprogrammen listen die Parteien teils weitreichende Pläne auf. „Industrielle Massentierhaltung und Billigfleischexport in alle Welt sind mit einer klimagerechten Zukunft nicht vereinbar“, heißt es bei den Grünen. Tierhaltung solle an die Fläche und Obergrenzen pro Stall gebunden werden. Kommen solle eine Umbauförderung für Bauern, finanziert durch einen „Tierschutz-Cent“ und begleitet von einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung für tierische Produkte. Für weniger Chemie auf dem Acker solle eine neue Pestizid-Abgabe sorgen.
Die SPD will in der Nutztierhaltung eine „Verbesserung des Tierwohls bei Einführung einer flächenbezogenen Obergrenze“ erreichen und den Einsatz von Antibiotika in Ställen reduzieren. „Wir werden für die Einführung eines verpflichtenden staatlichen Tierwohllabels mit nachvollziehbaren Regeln sorgen.“ Um „Wildwuchs an selbst kreierten Labeln von Unternehmen zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte“ zu beenden, soll ebenfalls ein verbindliches staatliches Logo entwickelt werden.
Union: Landwirtschaft „aus Hamsterrad befreien“
Im Wahlprogramm der Union heißt es zur Landwirtschaft: „Wir wollen sie aus dem Hamsterrad der permanenten Effizienzsteigerung unter Industriebedingungen befreien.“ Für Tierwohl-Umbauten soll die Finanzierung über staatliche Verträge abgesichert werden, zudem soll es 15 Jahre Bestandsschutz bei Stall-Investitionen geben. Ziel sei eine „verpflichtende europäische Haltungs-/Tierwohlkennzeichnung“. Ergänzend zum Öko-Siegel solle ein „Nachhaltigkeitssiegel für konventionelle Agrarprodukte“ entwickelt werden.
Die FDP betont: „Für uns ist Tierwohl keine Frage der Stallgröße, sondern des Zustands des einzelnen Tieres.“ Tierschutzstandards auf Höfen müssten regelmäßig und mindestens alle fünf Jahre kontrolliert werden. „Die überholte Anbindehaltung wollen wir schrittweise überwinden“. Kommen solle zudem ein „einfaches, transparentes und verpflichtendes Tierwohllabel in der gesamten Europäischen Union“.
Im Linke-Wahlprogramm heißt es unter anderem: „Wir wollen eine Tierhaltung, die flächengebunden und auf die einheimische Nachfrage bezogen ist.“ Für Regionen und Standorte sollten Bestandsobergrenzen eingeführt werden. „Megaställe lehnen wir ab.“ Damit auch Verbraucher zu mehr Tierschutz beitragen können, solle eine „verbindliche staatliche Haltungskennzeichnung“ kommen.
AfD will Verantwortung bei Nationalstaaten
Die AfD fordert eine Abkehr von der milliardenschweren gemeinsamen EU-Agrarpolitik, die „mehr Schaden als Nutzen“ gebracht habe. Die Zuständigkeit solle in alleinige Verantwortung der Nationalstaaten gelegt werden. Weder deutsche noch EU-Behörden sollten sich bei Bauern in die „Wirtschaftsweise einmischen, etwa bei der Wahl der Fruchtfolge“. Kommen solle eine Kopplung der Tierhaltung an die Fläche. Anlagen, die den Umwelt- und Tierschutz verbessern, sollten innerhalb von drei Monaten und mit weniger Auflagen genehmigt werden.
Für den neuen breiten Agrarkonsens kommt der Härtetest nach der Wahl. Landwirtschaftsvertreter mahnen für die konkreten Entscheidungen Planungssicherheit an. Klöckner sagte: „Es gibt nicht den einen Knopfdruck, und dann ist alles anders. Das verlangt man auch bei keiner anderen Branche.“ Der Weg hin zu mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit mit Unterstützung für die Landwirte sei aber ganz klar. „Das kann man nicht mehr zurückdrehen. Und das ist gut so.“
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