Regensburg (dpa)
Totes Baby im Müll - Staatsanwalt rückt von Mord-Vorwurf ab
Wie das Neugeborene starb, das von seiner Mutter an Ende 2020 in Regensburg in einer Mülltonne geworfen wurde? Ungeklärt. Nun hielten Staatsanwalt und Verteidiger ihre Plädoyers.
Schweigend und weitgehend regungslos hat eine 25 Jahre alte Frau in Regensburg bislang den Prozess verfolgt, der ihr vor dem Landgericht wegen der Tötung ihres Neugeborenen gemacht wird. Auch auf ein letztes Wort verzichtete sie.
Der Staatsanwalt plädierte am Donnerstag auf Totschlag und eine sechsjährige Haftstrafe. Die beiden Verteidiger der Frau forderten eine Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung.
Unstrittig ist: Die Frau hat am ersten Weihnachtsfeiertag 2020 um die Mittagszeit im Badezimmer einer Regensburger Wohnung ein Mädchen zur Welt gebracht. Laut Rechtsmediziner war das Neugeborene gesund und lebte mindestens eine halbe Stunde oder eine Stunde. Was die Mutter dann machte, blieb im Laufe des Prozesses unklar. Irgendwann packte sie jedenfalls das Baby - noch lebend oder bereits tot - samt Handtüchern in eine Plastiktüte und diese wiederum mit Abfall in einen Beutel. Den Beutel legte sie in eine Mülltonne vor dem Haus.
Dem Obduktionsbericht nach starb das Kind durch Ersticken oder Unterkühlung oder eine Kombination aus beidem. Der Staatsanwalt ist überzeugt davon, dass die 25-Jährige - eine deutsche Staatsangehörige - das Neugeborene tötete. Motiv sei „krasse Eigensucht“ gewesen.
Die Frau, die aus schwierigen familiären Verhältnissen stammt und zeitweise ohne festen Wohnsitz lebte, habe erst kurz zuvor eine Bleibe in einer WG gefunden und den Mitbewohnern gegenüber die Schwangerschaft geleugnet, sagte der Staatsanwalt. Sie habe nicht als Lügnerin gelten und das Zimmer verlieren wollen. Das seien objektiv niedere Beweggründe. In der Anklage hatte der Staatsanwalt der Frau deswegen Mord vorgeworfen.
Jedoch, erläuterte er in seinem Plädoyer, sei das der Frau subjektiv nicht bewusst gewesen. Als sie das Baby getötet habe, sei ihr nicht klar gewesen, dass das in der Gesellschaft als verwerfliche Tat angesehen werde. Deswegen rückte der Ankläger vom Mord-Vorwurf ab.
Die Verteidiger folgten der Version, die die Frau direkt nach der Geburt des Babys erzählte. Nachdem die WG-Mitbewohner damals das Blut im Bad bemerkt hatten, sprach die Frau zunächst von einer Totgeburt und gab dann an, das Baby für tot gehalten zu haben. Das sagte sie auch später gegenüber der Polizei. Die Verteidiger gingen davon aus, dass die Frau das Kind fälschlicherweise für tot hielt und stuften das Geschehen - das vermeintlich tote Kind in einen Beutel und in die Mülltonne zu packen - als fahrlässige Tötung ein.
Richter, Verteidiger und Staatsanwalt hatten im Prozess ausführlich mit dem Rechtsmediziner und zwei Gynäkologinnen diskutiert, ob es möglich sei, ein atmendes Neugeborenes tatsächlich etwa eine Stunde lang für tot zu halten. Die Gynäkologinnen sagten, es komme vor, dass ein Neugeborenes direkt nach der Entbindung nicht schreit oder sich bewegt - allerdings griffen dann sofort die Ärzte ein. Insofern hatten sie keine Erfahrungswerte für einen längeren Zeitraum.
Die psychiatrische Sachverständige hatte die Angeklagte als voll schuldfähig eingestuft - trotz der Belastungssituation durch die Geburt und einer bei einem Wert von 74 leicht unterdurchschnittlichen Intelligenz. Die Frau hat bereits ein älteres Kind, das bei einer Pflegefamilie lebt. Der Vorsitzende Richter Michael Hammer hatte im Laufe des Prozesses darauf verwiesen, dass eine Verurteilung wegen Totschlags in einem minderschweren Fall oder wegen fahrlässiger Tötung denkbar sei. Das Urteil wird am Freitag erwartet.
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