Kranj (dpa)
EU-Staaten: Bedingungen für Zusammenarbeit mit Taliban
Kann die EU eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan verhindern und gleichzeitig ihre Werte verteidigen? Mit dieser Frage sehen sich die EU-Staaten nach der Machtübernahme der Taliban konfrontiert.
Die Außenminister der EU-Staaten haben sich auf Bedingungen für eine beschränkte Zusammenarbeit mit den militant-islamistischen Taliban in Afghanistan verständigt.
Das von Deutschland und Frankreich initiierte Vorgehen sieht vor, möglichst schnell wieder Entwicklungshilfe zu ermöglichen, um eine humanitäre Katastrophe und Fluchtbewegungen in Richtung Europa zu verhindern.
Die Taliban sollen dafür eine Regierung bilden, die möglichst viele Bevölkerungsteile abbildet und unkomplizierte Hilfslieferungen ermöglichen. Zudem sind sie aufgefordert, die Einhaltung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit zu gewähren, schutzbedürftigen Menschen die Ausreise zu garantieren und dafür zu sorgen, dass Afghanistan nicht wieder zu einer Basis für international operierende Terrorgruppen wird.
Deutschland hält Zahlungen noch zurück
„Wir sind uns hier sehr einig gewesen, dass Europa in der Afghanistan-Krise eine Rolle spielen muss und auch eine Rolle spielen wird“, kommentierte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag nach den EU-Beratungen in Slowenien. Um eine bereits im kommenden Winter drohende „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern, müsse man nun schnell handeln. „Ich glaube, es macht sich niemand Illusionen darüber, dass das, was für uns wichtig ist, in den nächsten Tagen alles zu 100 Prozent erfüllt wird“, sagte Maas weiter.
Der SPD-Politiker hatte den Taliban bereits am Donnerstagabend in Aussicht gestellt, dass Deutschland die derzeit gestoppten Entwicklungshilfe-Zahlungen für Afghanistan unter bestimmten Bedingungen wieder aufnehmen könnte. Insgesamt könnte das Land damit auch in diese Jahr rund 430 Millionen Euro aus der Bundesrepublik erhalten.
EU-Präsenz in Kabul geplant
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell betonte am Freitag, bei den geplanten Kontakten mit den Taliban gehe es um ein „operatives Engagement“, das in Abhängigkeit vom Verhalten zunehmen könne - und nicht um politische Anerkennung.
Nach Angaben von Borrell verständigten sich die EU-Staaten auch darauf, ihre Kontakte mit den Taliban untereinander zu koordinieren. Dazu soll es auch eine gemeinsame Präsenz der Europäischen Union in Kabul geben, wenn es die Sicherheitsbedingungen zulassen.
Mit den Nachbarländern Afghanistans soll laut Borrell verstärkt über die Steuerung von Flüchtlingsbewegungen und die Bekämpfung von Terrorismus und Drogen- und Menschenhandel gesprochen werden. Dazu wird den Planungen zufolge eine neue politische Plattform initiiert.
„Niemand hat ein Interesse daran, dass die ganze Region destabilisiert wird, dass es eine neue humanitäre Katastrophe in Afghanistan gibt und vor allen Dingen auch, dass Afghanistan wieder zu einem Hort von terroristischen Gruppen wird“, kommentierte Maas.
Weiter offen ist, ob es von der EU konkrete Aufnahmezusagen für fluchtwillige Afghanen geben wird. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sprach sich bei dem Treffen in Slowenien erneut klar dagegen aus. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kritisierte hingegen, manche Regierungen in der EU glaubten, Europa könne nur bestehen, wenn es so wenig wie möglich Flüchtlinge habe. „In dieser Situation müssen wir bereit sein, den Menschen in Afghanistan zu helfen, die um ihr Leben kämpfen“, sagte er. Europa müsse selbstverständlich Menschen aufnehmen.
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