Minsk (dpa)

Belarus: Elf Jahre Haft für Oppositionelle Kolesnikowa

Ulf Mauder und Christian Thiele, dpa
|
Von Ulf Mauder und Christian Thiele, dpa
| 06.09.2021 11:21 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Maria Kolesnikowa bei einem Prozesstermin im August. Foto: Ramil Nasibulin/BelTA/AP/dpa
Maria Kolesnikowa bei einem Prozesstermin im August. Foto: Ramil Nasibulin/BelTA/AP/dpa
Artikel teilen:

Die frühere Stuttgarter Kulturmanagerin Maria Kolesnikowa muss nach ihrem Widerstand gegen Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus für viele Jahre in Haft.

Bei den Protesten gegen Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus war Maria Kolesnikowa ein Symbol der Freiheit - nun muss die 39-Jährige dafür elf Jahre in ein Straflager.

Ein Gericht in der Hauptstadt Minsk verurteilte die frühere Stuttgarter Kulturmanagerin am Montag in einem umstrittenen Verfahren wegen angeblicher versuchter illegaler Machtergreifung. Der mit ihr angeklagte Anwalt Maxim Snak erhielt zehn Jahre Haft. Nach dem Urteil gab es massive internationale Kritik - auch aus Deutschland.

Kolesnikowa stand in dem Gericht in einem Gitterkäfig hinter Glas. Obwohl ihr Handschellen angelegt wurden, formte sie die Hände zu einem Herz - ihr Markenzeichen. Mit einem Freispruch hatte niemand gerechnet. Trotzdem wirke Kolesnikowa im Gerichtssaal energisch und fröhlich, schrieb die Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja in sozialen Netzwerken. „Sie singt, tanzt, lächelt.“

Kolesnikowa war im Zuge der Präsidentenwahl am 9. August vergangenen Jahres zusammen mit Tichanowskaja und Veronika Zepkalo international bekannt geworden. Die beiden anderen Frauen sind im Ausland im Exil. Nach den Fälschungsvorwürfen gegen die Abstimmung schloss sich Kolesnikowa den Massenprotesten gegen Lukaschenko an. Der Machthaber ließ die Demonstrationen mitunter blutig niederschlagen und sagte seinen Gegnern den Kampf an. Auch Kolesnikowa.

Vom Geheimdienst entführt

Die Aktivistin und Musikerin wurde Anfang September vorigen Jahres vom Geheimdienst KGB in Minsk entführt. Als sie in die Ukraine abgeschoben werden sollte, zerriss sie kurz vor dem Grenzübergang ihren Pass und vereitelte so Pläne, sie aus dem Land zu vertreiben. Dafür erhielt sie international Anerkennung. Die Politikerin, die auch Deutsch spricht, hatte immer wieder deutlich gemacht, den Kampf gegen Lukaschenko nicht aus dem Ausland zu führen.

Straßenproteste gibt es in Belarus schon seit Monaten nicht mehr. Gerichte haben im Auftrag des Machthabers Dutzende Andersdenkende in Haft gesteckt. Der Prozess gegen Kolesnikow und Snak, der Anfang August begonnen hatte, war nur einer von vielen. Verhandelt wurde hinter verschlossenen Türen. Nur der Urteilsspruch war öffentlich.

Belarussische Opposition ernüchtert

„Unschuldig! Das wissen alle Belarussen, (...) nur das Gericht weiß es nicht“, kommentierte die Opposition. Die beiden politischen Gefangenen hätten lediglich versucht, ihr Land zum Besseren zu verändern. Kolesnikowa und Snak forderten einen demokratischen Wandel, den Rücktritt von Lukaschenko und eine neue Präsidentenwahl. Sie engagierten sich im Koordinierungsrat für eine friedliche Machtübergabe. Auch deshalb gerieten sie ins Visier der Behörden.

Die Anwälte der beiden Verurteilten wollen die Entscheidung vor dem Obersten Gericht in Belarus anfechten. Es gebe keine Rechtsgrundlage für eine Verurteilung, teilten die Verteidiger mit. Die Behörden des autoritär geführten Landes hatten beiden eine Verschwörung mit dem Ziel einer illegalen Machtergreifung sowie die Gründung und Führung einer extremistischen Vereinigung vorgeworfen.

Kritik aus Berlin

Die Bundesregierung kritisierte die Urteile scharf. „Sie sind für uns ein Sinnbild für das rücksichtslose Vorgehen, die Repressionen und Einschüchterungen des belarussischen Regimes gegen Oppositionspolitiker und Zivilgesellschaft“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts. Die Justiz in Belarus werde zur politischen Verfolgung instrumentalisiert. „Die Bundesregierung fordert die Freilassung aller politischen Gefangenen in Belarus.“

Die Grünen im Bundestag forderten als Konsequenz aus den Urteilen humanitäre Visa für politisch Verfolgte und ein „wirksames Anziehen der EU-Sanktionen“.

USA sprechen von „politisch motivierte m“ Urteil

US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem „politisch motivierten“ Urteil, das „beschämend“ sei. „Bedauerlicherweise sind diese Urteile ein weiterer Beleg für die völlige Missachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten des belarussischen Volkes durch das Regime“, beklagte er.

Für den britischen Außenminister Dominic Raab steht mit dem Richterspruch fest, dass „die belarussischen Behörden ihren Angriff auf die Verteidiger von Demokratie und Freiheit“ fortsetzten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte das Urteil willkürlich. Das österreichische Außenministerium versprach, weiter an der Seite der Demokratie-Verteidiger zu stehen.

Der ins Ausland geflüchtete Experte Artjom Schraibman erwartet nun, dass der Westen den Druck auf den autoritären Machtapparat in Belarus weiter erhöht. „Die Opposition kann die Gefangenen ja nicht selbst mit eigenen Truppen aus dem Gefängnis holen“, sagte der Politologe dem Radiosender Echo Moskwy.

Wegen des Vorgehens gegen Andersdenkende hatten auch die EU und die USA wiederholt Sanktionen gegen Belarus erlassen. Der Machtapparat in Minsk zeigte sich davon stets unbeeindruckt. Lukaschenko, der als „letzter Diktator Europas“ gilt, wird vor allem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützt.

© dpa-infocom, dpa:210906-99-110785/8

Ähnliche Artikel