Osnabrück (dpa)
Mord im Klosterwald Loccum: Ein Vater geht den Instanzenweg
Ein verurteilter Vergewaltiger hat Freigang, danach liegt eine junge Frau getötet im Wald. Dieser Fall wird zum dritten Mal verhandelt. Denn für die Familie ist der Täter bislang zu leicht davongekommen.
Der Vater hält den Angeklagten fest im Blick. Zwei lange Prozesse in Verden hat er im Gerichtssaal dem Mann schon gegenübergesessen, den er für den Mörder seiner Tochter hält. Nun wird der Fall ein drittes Mal aufgerollt, aber diesmal am Landgericht Osnabrück.
Seit Mittwoch wird dort gegen einen mehrfach vorbestraften Sexualstraftäter verhandelt: Er soll am 12. September 2015 die 23-jährige Tochter des Nebenklägers im Wald am Kloster Loccum im Kreis Nienburg in Niedersachsen ermordet haben.
Fast genau sechs Jahre liegt die Tat zurück, und um den neuen Prozess haben Vater, Mutter und Schwester der Toten lange gekämpft. Zweimal hat der Bundesgerichtshof (BGH), das oberste deutsche Strafgericht, auf ihre Revision hin Urteile aus Verden verworfen.
Nein, er empfinde deshalb keine Genugtuung, sagte der Vater der Deutschen Presse-Agentur. Auch sein Vertrauen in die Justiz sei nicht erschüttert: „Ich glaube schon an die Gerichte.“ Die Fehler bei der Aufklärung seien am Anfang der Polizei unterlaufen, sagte er. Der neue Prozess solle einen Schlussstrich ziehen, hofft er - in der Erwartung, „dass er jetzt wegen Mordes verurteilt wird“.
Anklage zum dritten Mal verlesen
Zum dritten Mal verliest die aus Verden angereiste Staatsanwältin ihre schon 2016 verfasste Anklageschrift. „Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“ und aus anderen niederen Beweggründen soll der Angeklagte die junge Frau ermordet haben. An jenem Tag habe er Freigang aus dem Maßregelvollzug in Rehburg gehabt. Im Wald habe er die 23-Jährige angefallen und sie erwürgt, um sich zu befriedigen. Den nackten Leichnam habe er abseits des Weges unter Ästen versteckt.
Dort fand sie Tage später der Vater, der als erfahrener Pfadfinder den dichten Wald Bahn um Bahn nach seiner vermissten Tochter absuchte. Doch langer Regen hatte die meisten Spuren verwischt. Es sei nicht zu klären, ob der Angeklagte vor oder nach dem Mord den Geschlechtsverkehr an seinem Opfer vollzogen habe, sagt die Staatsanwältin. Der Täter sei laut Gutachten ein „Psychopath mit sexuellem Sadismus“, der in Sicherungsverwahrung bleiben sollte.
Wie schon in den ersten Prozessen äußert sich der mittlerweile 53 Jahre alte Angeklagte nicht. Er verbirgt sein Gesicht nicht vor den Kameras, als er in den Saal geführt wird und Platz nimmt. Doch den Blicken des Vaters weicht er aus.
Rechtsfehlerhaftes Urteil?
In einem ersten Indizienprozess hatte das Landgericht Verden den Mann 2017 wegen Totschlags zu elfeinhalb Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Die Familie legte Revision ein, sie forderte eine Verurteilung wegen Mordes.
Aber der zweite Prozess in Verden endete für sie mit einem Schock: Die Kammer sprach den Angeklagten 2019 überraschend frei aus Mangel an Beweisen. Auch dieses Urteil fochten die Familie und die Staatsanwaltschaft an.
Der BGH gab ihnen Recht: „Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft“, hieß es in dem Spruch des 3. Strafsenats vom März 2021. So habe die Kammer in Verden die Vorgeschichte des Sexualstraftäters nicht genügend berücksichtigt. Er habe auch früher schon Opfer gewürgt.
Die Prozesse seien „ein enormer Kraftakt immer wieder“, sagt die Schwester der Toten vor Kameras. Die Familie sei froh, die Wiederaufnahme erreicht zu haben, erläutert Katharina Theuerkaufer, die Rechtsanwältin des Vaters. Zugleich sei die Verhandlung für die Angehörigen eine große Belastung.
Dass ein Verbrechen zum dritten Mal verhandelt wird, komme äußerst selten vor, sagt die Sprecherin des Landgerichts Osnabrück, Katrin Höcherl. Der BGH habe dafür von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Fall an ein anderes Gericht zu überweisen.
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