Belgrad (dpa)
Licht und Schatten über Merkels letzter Balkan-Reise
Die Besuche in Serbien und Albanien werfen die Frage nach dem Vermächtnis einer 16-jährigen Kanzlerschaft auf. Doch auf dem Balkan ist nicht alles einfach schwarz oder weiß.
Mit militärischen Salutschüssen, die über die Wohnstadt Neu-Belgrad hinwegdonnerten, hat der serbische Präsident Aleksandar Vucic am Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangen.
Wenige Wochen vor ihrem Ausscheiden aus der Politik kündigte sich die deutsche Regierungschefin zu einer zweitägigen Visite in Serbien und Albanien an. Sie gilt der gesamten Region: Am Dienstag redet sie in Tirana mit den Regierungschefs aller sechs Westbalkan-Staaten, also Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Albanien und Kosovo.
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Vucic im Palast Serbiens - dem ehemaligen Regierungspalast des viel größeren ehemaligen sozialistischen Jugoslawiens - wurde klar: Es geht um Abschiednehmen, aber auch um das Vermächtnis einer 16-jährigen Kanzlerschaft und um den Blick auf eine Region, die für Europa nach wie vor wichtig ist, auch wenn sie von Europa zuletzt ein wenig vernachlässigt wurde.
„Europa hat ein absolutes geo-strategisches Interesse, diese Länder in die EU aufzunehmen“, brachte es Merkel auf den Punkt. Die sechs Länder streben eine EU-Mitgliedschaft an, haben aber noch einen weiten Weg vor sich. Praktisch überall mangelt es - in unterschiedlicher Ausprägung - an Rechtsstaatlichkeit und an fachlicher Kompetenz der Verwaltungen. Korruption und Nepotismus grassieren. Unabhängige Medien und kritische Zivilvereine geraten zunehmend unter Druck. Autoritäre Tendenzen setzen sich da und dort durch.
Merkel verweist an diesem Montagabend auf kleine Fortschritte, die die düstere Bilanz ein wenig aufhellen. 2014 brachte sie den sogenannten Berliner Prozess auf den Weg, ein neues Gesprächsforum. Es soll die in der Vergangenheit oft verfeindeten Westbalkan-Länder einander näherbringen. Den EU-Beitrittsprozess ersetze es nicht, beeilte sich Merkel zu betonen. „Aber die Gesprächsbereitschaft in der Region hat massiv zugenommen, und das hilft beim Beitritt“, fügte sie hinzu. Beobachter werten die Gründung eines regionalen Jugendwerks nach deutsch-französischem Vorbild als greifbares, gutes Ergebnis des Berlin-Prozesses.
Vucic verhehlte wiederum nicht, wie sehr er die scheidende Kanzlerin verehrt: „Sie ist eine Autorität, der jeder in der Region gerne zuhört.“ Auch bei Meinungsunterschieden bleibe sie eine Pragmatikerin, die „für jeden ein offenes Ohr“ habe. Er lobte auch ihr Engagement für die Wirtschaft. „Ihr verdanken wir, dass sich der deutsch-serbische Außenhandel seit 2014 verdreifacht hat“, schwärmte er.
Im eigenen Land kehrt Vucic, der seit 2012 die Politik dominiert, eher die autoritäre Seite hervor. Seit letztem Sommer regiert er praktisch ohne Opposition. Kritiker und unabhängige Stimmen sehen sich brutalen Angriffen seitens der von Vucic-Leuten kontrollierten Boulevard-Medien konfrontiert. Seine Diplomaten und Geheimdienstler unterstützen Kritikern zufolge serbische Nationalisten in Bosnien und Montenegro.
Insofern sehen serbische Oppositionelle Merkels zuvorkommende Aufmerksamkeit für Vucic in einem kritischen Licht. Er erwarte sich nichts von ihrem Besuch, meinte Andrej Ivanji, Redakteur der oppositionellen Wochenzeitung „Vreme“. „Das ist alles nur eine Politik der symbolischen Schritte.“
Noch harscher drückten es Aktivisten der Bürgerbewegung Preokret (Kehrtwende) aus. Vor dem Palast Serbiens entrollten sie ein Plakat mir der deutschen Aufschrift: „Gehen Sie endlich Frau Merkel. Seit 9 Jahren unterstützen Sie die Diktatur.“
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