Del Rio/Port-au-Prince (dpa)

Haitianer an US-Grenze werden in „die Hölle“ zurückgeschickt

Nick Kaiser, dpa
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Von Nick Kaiser, dpa
| 23.09.2021 08:35 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Migranten, viele von ihnen aus Haiti, überqueren den Rio Grande in Del Rio, um nach Ciudad Acuna zurückzukehren. Foto: Fernando Llano/AP/dpa
Migranten, viele von ihnen aus Haiti, überqueren den Rio Grande in Del Rio, um nach Ciudad Acuna zurückzukehren. Foto: Fernando Llano/AP/dpa
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Vor Jahren flohen sie aus ihrer Heimat - und finden sich nun dort wieder. Die Verhältnisse an der US-Grenze mit Mexiko haben für Entsetzen gesorgt. Viel besser sieht es in Haiti aber nicht aus.

Am Flughafen von Port-au-Prince kommt es zu chaotischen Szenen. Aus den USA abgeschobene Haitianer versuchen am Dienstag, zurück in das Flugzeug zu steigen.

Sie gehören zu den Tausenden Menschen, die unter einer Brücke im texanischen Del Rio an der Grenze zu Mexiko kampierten. Und finden sich nun in der haitianischen Hauptstadt wieder. Manche sagen Journalisten, ihnen sei nicht erklärt worden, wohin sie geschickt wurden.

Einige geben auch an, ihr Heimatland sei ihnen inzwischen fremd - sie wüssten jetzt nicht, wohin. Die haitianischen Migranten unter der Brücke kamen größtenteils nicht direkt aus Haiti, sondern waren bereits vor Jahren nach Südamerika ausgewandert. „Für diese Menschen ist Haiti die Hölle“, sagt der Chef der haitianischen Migrationsbehörde, Jean Negot Bonheur Delva. Dem Karibikstaat fehlen die Mittel, sich um sie zu kümmern.

Haiti zur Zeit kein sicheres Land

Im Mai entschied die US-Regierung, jenen Haitianern vorübergehenden Schutzstatus (TPS) zu gewähren, die in den USA wohnen und bestimmte Kriterien erfüllen. Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas teilte mit: „Haiti erlebt derzeit ernste Sicherheitsprobleme, soziale Unruhen, eine Zunahme von Menschenrechtsverletzungen, lähmende Armut und einen Mangel an grundlegenden Ressourcen, was durch die Covid-19-Pandemie noch verschärft wird.“

Besser geworden ist die Lage in dem ärmsten Staat Amerikas seitdem nicht - im Gegenteil. In der Nacht zum 7. Juli wurde Staatspräsident Jovenel Moïse von einer Kommandotruppe in seiner Residenz erschossen. Aufgeklärt wurde die Tat bis heute nicht - Querelen innerhalb der Interimsregierung behinderten zuletzt die Ermittlungen. Ein beschlussfähiges Parlament gibt es seit Anfang 2020 nicht mehr. Kommenden Sonntag waren eigentlich Wahlen geplant - wann sie wirklich stattfinden können, steht in den Sternen.

Entführungen an der Tagesordnung

Kämpfe zwischen Banden um Territorium legen Teile der Hauptstadt immer wieder lahm und führen zu Versorgungsengpässen. Entführungen stehen auf der Tagesordnung. Der Süden ist oft vom Rest des Landes abgeschnitten, weil die Gangster die Hauptstraße blockieren.

Das erschwert auch die Hilfseinsätze nach einem Erdbeben der Stärke 7,2 im Südwesten Haitis, bei dem Mitte August mehr als 2200 Menschen ums Leben kamen. Nach UN-Angaben brauchten einen Monat später noch immer rund 650.000 Menschen dringend Hilfe. In den kommenden Monaten würden voraussichtlich eine Million Bewohner der Region unter akuter Lebensmittelknappheit leiden. Das schon zuvor überstrapazierte Gesundheitssystem ist ohnehin mit der Pandemie überfordert.

Am 3. August verlängerte das US-Heimatschutzministerium die TPS-Bestimmungen um 18 Monate. Anspruch auf Schutz in Form temporärer Aufenthaltsgenehmigungen haben aber nur Haitianer, die seit spätestens 29. Juli in den USA wohnhaft sind. In Del Rio hat Mayorkas am Montag die Abschiebungen nun damit gerechtfertigt, nach Einschätzung der USA könne Haiti Menschen sicher aufnehmen.

Migranten stecken fest

Die Zahl der Migranten an der Brücke über dem Grenzfluss Rio Grande hatte fast 15.000 erreicht, bevor die Abschiebeflüge am Sonntag losgingen und rund 3000 Menschen verlegt wurden. Inzwischen sind noch knapp 5000 Migranten in Del Rio. Viel mehr haben es bisher nicht so weit geschafft. In der gefährlichen Grenzregion zwischen Kolumbien und Panama im Darién-Urwald stecken derzeit knapp 19.000 Migranten fest, die weiter Richtung Norden wollen - mehrheitlich Haitianer.

In der südmexikanischen Stadt Tapachula, nahe der Grenze zu Guatemala, harren Zehntausende Migranten aus, einige seit Monaten. Seit der Amtszeit des damaligen US-Präsidenten Donald Trump setzt Mexiko Soldaten ein, um Migranten auf dem Weg Richtung Norden aufzuhalten. Unter Trumps Nachfolger Joe Biden hat sich das nicht geändert.

Ein langer und gefährlicher Weg

Der Weg, den die Migranten auf sich genommen haben, ist äußerst lang und gefährlich. Sie sind monatelang unterwegs und erleben gewaltsame Todesfälle, Vergewaltigungen, Entführungen, Erpressung.

Ein Großteil von ihnen flüchtete nach dem Erdbeben von 2010, bei dem mehr als 200.000 Menschen in Haiti ums Leben kamen. Viele ließen sich in Brasilien oder Chile nieder. Diskriminierung dort und die Folgen der Pandemie haben sie nun nach Medienberichten Richtung Norden getrieben.

Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard sagte kürzlich, die Haitianer seien getäuscht worden - man habe ihnen gesagt, die TPS-Regelung bedeute, dass die USA sie aufnehmen würden. Viele sind aber wohl auch einfach deshalb aufgebrochen, weil der Einwanderungsgegner Trump nicht mehr im Amt ist und von seinem Nachfolger Biden freundlichere Töne kamen.

Vor allem auch durch Mexikaner und Mittelamerikaner hat es einen riesigen Andrang an der US-Grenze gegeben. Die Biden-Regierung hat aber, mit einer Ausnahme für unbegleitete Minderjährige, eine Regelung aus Trump-Zeiten beibehalten, mit der die Grenzen unter Verweis auf die Pandemie weitestgehend für Migranten dicht sind. Ihnen wird nicht einmal die Gelegenheit gegeben, einen Asylantrag zu stellen - was ihnen völkerrechtlich eigentlich zusteht. Um Asyl zu beantragen, haben sich wohl die meisten der Migranten unter der Brücke versammelt. Das kann man nur innerhalb der USA machen.

Die seit langem in Haiti tätige Organisation Partners in Health macht der US-Regierung schwere Vorhaltungen: „In einer für Haiti schwierigen und gefährlichen Zeit ist es unvorstellbar grausam, Männer, Frauen und Kinder in ein Land zurückzuschicken, das viele von ihnen nicht einmal mehr 'Heimat' nennen.“

Eine Konsequenz der Behandlung der Haitianer hat nun offenbar der US-Sondergesandte Daniel Foote gezogen: Er reichte seinen Rücktritt ein, wie das Außenministerium am Donnerstag auf Nachfrage mitteilt. Mehrere US-Medien zitierten aus dem Schreiben, Foote wolle nicht mit der „unmenschlichen“ und „kontraproduktiven“ Entscheidung der US-Regierung in Verbindung gebracht werden, Tausende Migranten nach Haiti abzuschieben.

© dpa-infocom, dpa:210923-99-322975/6

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