Idar-Oberstein/Gießen (dpa)

Kriminologin: „Als Gesellschaft sensibler werden“

| 25.09.2021 04:20 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Britta Bannenberg ist Professorin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Foto: Michael Hanschke/dpa
Britta Bannenberg ist Professorin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Foto: Michael Hanschke/dpa
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Die Tat von Idar-Oberstein hat viele Menschen erschüttert und aufgerüttelt. Wie kann die wachsende Gewaltbereitschaft gestoppt werden? Die Kriminologin Britta Bannenberg zeigt Wege auf.

Der tödliche Angriff auf einen Tankstellen-Kassierer in Idar-Oberstein ist nach Einschätzung der Kriminologin Britta Bannenberg keine überraschende Tat.

„Wir haben seit Jahren einen Anstieg von Aggressionspotenzial, von Extremismen und Gewaltbereitschaft“, sagte die Professorin von der Universität Gießen der Deutschen Presse-Agentur. Dies habe sich zunächst in der Gewaltbereitschaft gegenüber Amtsträgern aller Art wie Polizisten, Einsatzkräften, Mitarbeitern von Jobcentern und Bürgermeistern geäußert.

„Das Klima ist insgesamt rauer geworden und das spüren viele“, sagte Bannenberg, die seit Jahren auch zur Kriminalprävention forscht. „Es ist ein Groll gegen die Gesellschaft spürbar, und an den Corona-Maßnahmen entzündet sich vieles. Aber sie sind nicht die Ursache.“ Sich jetzt nur auf Corona-Leugner zu fokussieren, sei zu einseitig. „Es ist breiter.“

Einleitung eines Strafverfahrens oft ausreichend

Sachlichkeit und eine konsequente Strafverfolgung seien wichtig, sagte Bannenberg. Das gelte auch für die Äußerungen im Internet, in denen Taten wie die von Idar-Oberstein gelobt oder zur Nachahmung aufgerufen werde. Das Strafgesetzbuch sehe dafür die Möglichkeit der Strafverfolgung vor. „Da reicht oft schon die Einleitung eines Strafverfahrens, mit der die Schreihälse nicht gerechnet haben, auch wenn dieses gegen eine Geldbuße wieder eingestellt wird“, sagte Bannenberg. Es sei auch gut, dass die Polizei durchgreife, „bei denen, die als Nachahmer auf der Welle reiten“.

Aber auch die Bürger selbst hätten eine gewisse Verantwortung: „Wie kommt die Information, dass ein Mensch bedrohlich ist oder sich so äußert, zur Polizei?“, fragte die Rechtswissenschaftlerin. „In der Bevölkerung ist viel mehr Wissen vorhanden, wer wirklich schräg wird“, berichtete sie aus ihrer Erfahrung und Gesprächen mit beunruhigten Menschen im Beratungsnetzwerk „Amok-Prävention“.

Dies habe nichts mit Denunziantentum zu tun. Wenn man mit solchen besorgten Menschen spreche, könne man auch Konzepte überlegen. Seit 2016 habe es keine Amoktat eines jungen Täters mehr in Deutschland gegeben. „Aber mehr Taten durch Erwachsene.“

Hemmung vor Gang zur Polizei

„Viele Menschen scheuen sich aber ungemein, eine Bedrohung, die sie schon wahrnehmen, eine Angst, die sie vor einer bestimmten Person haben, auch nur Kollegen oder Nachbarn mitzuteilen - oder noch den Schritt weiter zu gehen und zur Polizei zu gehen“, berichtete Bannenberg. „Wenn Menschen wirklich beunruhigt sind, dass sich jemand in ihrem Umfeld bedrohlich entwickeln könnte, geschieht dies meist nicht durch eine einzige Äußerung. Es ist das Verhalten, der soziale Rückzug, sowas Spürbares von Groll gegen Alle und Jeden, eine übermäßige Frustration und die Drohung und Ankündigung einer schweren Gewalttat.“

Viele hätten trotzdem Angst, dumm dazustehen oder falschzuliegen. „Es erfordert aber auch, dass die Polizei sachlich und ernsthaft mit Menschen umgeht, die solche Bedrohungen äußern - und sie nicht an der Wache abwimmelt.“

Bannenberg sieht auch Geschäftsinhaber, Unternehmer und Behördenleitungen in der Pflicht, über Schutzmaßnahmen und Konzepte mit ihren Beschäftigten zu sprechen oder diese zu schulen. „Viele, die da einzeln an der Kasse stehen, fragen sich sicherlich, ob sie das in Zukunft noch machen.“ Das Personal in kleineren Einrichtungen wie etwa Fitnessstudios stehe auch ganz schön unter dem Druck der Ordnungsämter, auf die Einhaltung der Corona-Regeln zu achten.

Auch ein Busfahrer solle lieber still die Polizei verständigen, „und zwar nicht nur, weil der Mann die Maske nicht trägt, sondern weil er aggressiv aufgetreten ist, auch schon durch Körpersprache“, sagte Bannenberg. „Bringe dich nicht unnötig in Gefahr, das kann böse enden, wenn Solidarität gar nicht möglich ist, weil man irgendwo allein auf sich gestellt ist.“

Bevölkerung wolle „Vergewisserung der Regeln“

Es müsse auch versucht werden, die Hasskommentare im Internet zurückzudrängen, sagte Bannenberg. „Wenn es sich dann in kleinere Zirkel verlagert, kann man das hinnehmen. Es ist schon ein Unterschied, ob Hassposts in einer großen, erreichbaren Community längere Zeit sichtbar sind, oder ob das in einem kleineren Telegram-Kanal sichtbar ist.“

Solche Beschränkungen reichten jedoch nicht. „Wir müssen auch insgesamt als Gesellschaft sensibler für diese Dinge werden.“ Plakat-Aktionen mit positiven Botschaften, die den Zusammenhalt betonten, „erreichen in der Regel nicht die Extremeren, aber für die Mehrheit bedeutet dies eine Vergewisserung der Regeln“.

„Wer richtig abgedreht ist, den erreicht man schwer“, sagte Bannenberg. „Aber es gibt ja immer eine breitere Masse, die unentschieden ist, ob sie sich mitreißen lässt von den Aggressiven, oder ob sie wieder auf den Boden der Tatsachen kommt.“ Notwendig sei daher „eine ruhige, sachliche Diskussion und Vergewisserung, über das, was die Mehrheit der Gesellschaft nicht will, nämlich diese Aggression und diese Gewalttaten oder sogar noch eine Zunahme von Attentaten“. Dies könne in den Medien erörtert werden. „Das müssen aber auch die Politiker und Amtsträger in gewisser Funktion vorleben.“

© dpa-infocom, dpa:210925-99-351747/5

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