Berlin (dpa)

Jamaika oder Neuanfang: Wie lange kann sich Laschet halten?

Jörg Blank, Andreas Hoenig, Marco Hadem und Christoph Trost, dpa
|
Von Jörg Blank, Andreas Hoenig, Marco Hadem und Christoph Trost, dpa
| 28.09.2021 21:51 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Armin Laschet verlässt die Sitzung der Landesgruppe NRW der CDU im neugewählten Bundestag. Foto: Michael Kappeler/dpa
Armin Laschet verlässt die Sitzung der Landesgruppe NRW der CDU im neugewählten Bundestag. Foto: Michael Kappeler/dpa
Artikel teilen:

Die politische Zukunft von CDU-Chef Laschet hängt am seidenen Faden. Doch selbst für den Fall, dass der Union noch eine Koalition mit FDP und Grünen gelingen sollte, gibt es möglicherweise einen Plan B.

Peinlicher Realitätsverweigerer, klarer Wahlverlierer, wer sagt Armin Laschet, dass es vorbei ist? Am Tag zwei nach dem historischen Unionsdesaster bei der Bundestagswahl ist die Kommentarlage für den CDU-Chef katastrophal.

Selbst in der eigenen Parteispitze heißt es zur Frage, ob der schwer angezählte Kanzlerkandidat am Ende doch noch eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP schmieden und sich ins Kanzleramt retten kann: „Das wird sehr, sehr schwer.“ In der Unionsfraktion werden an diesem Dienstagabend wichtige Weichen gestellt - unabhängig davon, ob die Union in die Opposition stürzt oder es noch in die Regierung schafft.

Die Dynamik in den Unionsparteien ist immens. Zwar glaubt ein Teil auch in der CDU-Spitze eher nicht, dass Laschet schnell aus dem Amt als Parteichef gefegt werden könnte. Solange SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz noch keine Ampel-Regierung mit Grünen und FDP gebildet hat und noch eine Machtoption für Laschet und die Union besteht, werde der Parteichef kaum hinwerfen. Wie Laschet kämpfen kann, habe er schon mehrfach unter Beweis gestellt. Zumal es für ihn (wieder) um alles oder nichts gehe. Eine Rückkehr nach Düsseldorf im Falle eines Scheiterns in Berlin hatte der NRW-Ministerpräsident ausgeschlossen.

Am Dienstagmittag machen dann passend zur allgemeinen Lage neue Gerüchte in Berlin die Runde: So wünschten sich Teile der CDU, dass CSU-Chef Markus Söder bei möglichen Jamaika-Verhandlungen eine führende Rolle übernehme, um sich im Erfolgsfall für die Wahl zum Bundeskanzler aufstellen zu lassen, berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Aus der CSU-Landesgruppe heißt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, es gebe hierzu keine Bestrebungen, das Drängen komme aus einigen CDU-Landesgruppen.

Tatsache ist, dass Söder in der Unionsfraktion schon im April im Machtkampf mit Laschet um die Kanzlerkandidatur großen Rückhalt erfahren hatte. Damals ergriffen auch viele CDU-Abgeordnete das Wort für den bayerischen Ministerpräsidenten. Söder berichtete später auch von Zuspruch aus der CDU-Basis, sogar von Personen, die er zuvor nicht einmal gekannt hatte. In München stößt das neueste Gerücht auf durchaus offene Ohren. „Der Gedanke hat Charme“, heißt es etwa.

Die Bundestagsfraktion ist massiv geschrumpft, um 50 Parlamentarier. Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU), der eine besondere Rolle im unionsinternen Machtgerangel nach dem desaströsen Ergebnis der Bundestagswahl spielt, stellt sich am Dienstag noch vor der ersten Fraktionssitzung klar hinter Laschet - trotz aller Kritik an dessen Performance im Wahlkampf. „Armin Laschet ist der Parteivorsitzende der CDU, deswegen ist er der geborene Verhandler“, genauso, wie es Söder als CSU-Chef sei, betont Brinkhaus.

Anschließend pocht Brinkhaus noch darauf, dass die Fraktion selbstverständlich ein gewichtiges Wörtchen bei Gesprächen mit Grünen und FDP mitreden werde. „Es kann keine Sondierungen geben ohne die Fraktion“, sagt er. Und sicherheitshalber gibt er Laschet schon eine Vorgabe mit: Sehr, sehr offen gehe man in solche Gespräche und auch demütig. „Aber wir werden auch nicht alles mitmachen, weil wir unseren Markenkern natürlich auch erhalten wollen“, sagt Brinkhaus.

Hintergrund: In den Spitzen von CDU und CSU gibt es Befürchtungen, Laschet könne vor allem den Grünen auch das nach 16 Jahren der Ära von Angela Merkel verbliebene konservative „Tafelsilber“ hinterherwerfen, nur um sich mit deren Hilfe ins Kanzleramt zu retten. Beispielsweise bei Grünen-Forderungen wie nach einem Tempolimit 130 oder anderen für die Grünen wichtigen Symbolprojekten.

Der Druck ist groß auf den Bergmannssohn Laschet - gut möglich, dass er in den nächsten Tagen weiter zunimmt. Einen Showdown in der ersten Sitzung der neuen Unionsfraktion kann der als Vermittler und Versöhner bekannte NRW-Ministerpräsident allerdings vermeiden.

Am Montag hatte Laschet noch vorgeschlagen, dass Brinkhaus erstmal quasi kommissarisch im Amt bleiben solle. Doch der machtbewusste Brinkhaus pochte darauf, sich wie üblich für ein Jahr wiederwählen zu lassen. Hinter Laschets Plan steckte der Gedanke, dass die wichtige Personalie offen bleibt, bis die Regierungsbildung entschieden ist: In der Opposition wäre der Fraktionsvorsitz neben dem Parteivorsitz das wichtigste Amt, das die Union zu vergeben hat.

Zwischenzeitlich sieht es so aus, als könnte es sogar auf eine Kampfabstimmung hinauslaufen. Neben Brinkhaus sind die Namen von Jens Spahn, Norbert Röttgen und Friedrich Merz im Spiel. Laschet will eine Kampfkandidatur verhindern - sie würde das Bild einer zerrissenen Union nur verstärken, wird befürchtet. Was folgt, sind Verhandlungen zwischen allen Beteiligten, am Ende steht ein Kompromiss. Laschet und Söder schlagen die Wiederwahl von Brinkhaus zunächst bis Ende April 2022 vor, dieser und die potenziellen Gegenkandidaten willigen ein - am Ende wird er mit knapp 85 Prozent gewählt. Schon vor der Fraktionssitzung hatte er vor Journalisten ja etwas süffisant gesagt, er sei sehr an einem „harmonischen Start“ interessiert.

Laschet räumt in der konstituierenden Sitzung der geschrumpften Fraktion nach Teilnehmerangaben ein, er habe als Spitzenkandidat auch selbst Fehler gemacht. Er bedaure das sehr. Und er wolle sich bei denen, die es betroffen habe, entschuldigen. Brinkhaus berichtet nachher, die ganze Diskussion sei sehr sachlich gewesen, auch wenn die eine oder andere enttäuschte Wortmeldung dabei gewesen sei. Man habe aber gesehen, dass in der Krise der Zusammenhalt da sei.

Und Söder? Der hatte sich mit weiteren Spitzen gegen Laschet direkt nach dem Wahldesaster zurückgehalten. Auf die neuesten Gerüchte über seine Person reagiert der mächtige Bayer am Dienstag ausweichend wie schon vor Monaten, als er öffentliche Aussagen zu seinen Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur regelmäßig weglächelte: Er habe jetzt seine Aufgaben hier als Parteivorsitzender, sagt Söder. „Alles andere ist eine Spekulation, die, glaube ich, keinen Nährboden hat.“

Aber wie geht es nun weiter? Söder sagt am Dienstag klar: „Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz - eindeutig.“ Es sei wichtig, das Wahlergebnis zu respektieren. Daher wolle er auch Scholz dazu gratulieren, dass die SPD die meisten Stimmen bekommen habe. Von Laschet sind derartige Glückwünsche noch nicht bekannt.

Erstmal nur abwarten also - oder vielleicht doch nicht? Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt jedenfalls kündigen am Abend an, Grünen und FDP auch „aktiv“ noch einmal Gespräche anzubieten.

© dpa-infocom, dpa:210928-99-403235/2

Ähnliche Artikel