Braunschweig (dpa)
VW-Diesel-Betrugsprozess weiter ohne Winterkorn
Der gerade gestartete Betrugsprozess gegen ehemalige Manager von VW rund um „Dieselgate“ läuft in der bisherigen Form weiter. Doch eine zentrale Figur fehlt.
Es bleibt dabei: Der frühere VW-Konzernchef Martin Winterkorn muss im Diesel-Betrugsprozess gegen ehemalige Führungskräfte zunächst nicht am Landgericht Braunschweig erscheinen.
Die kürzlich eröffnete Hauptverhandlung, in der auch vier andere Manager und leitende Ingenieure angeklagt sind, wird vorerst ohne den Ex-Vorstandsvorsitzenden weitergehen. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Braunschweiger Oberlandesgerichts (OLG), die am Mittwoch bekannt wurde. Winterkorn behält in dem Strafkomplex damit den Status eines „gesondert Verfolgten“.
Vorangegangen war eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Ankläger wollten den langjährigen VW-Chef zeitnah im Gericht sehen und hatten einen Abtrennungsbeschluss des Landgerichts zu dessen Sitzungen kritisiert. Nun wies das OLG als übergeordnete Instanz die Einwände aber zurück. Die ersten Verhandlungstermine mit Winterkorn dürften also erst für einen späteren, aktuell noch offenen Zeitpunkt terminiert werden. Grund für die Abspaltung war, dass der einstige Topmanager nach einer Hüft-OP als nicht vernehmungsfähig gilt.
Der Vorsitzende Richter am Landgericht hatte argumentiert, in dieser Situation solle trotzdem möglichst rasch mit den übrigen Angeklagten begonnen werden. Diese „Beschleunigung und Konzentration“ führte der Erste Strafsenat des OLG nun auch als Begründung an, der Beschwerde der Anklage nicht stattzugeben. „Aufgrund der festgestellten Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten Winterkorn, deren Dauer derzeit nicht belastbar prognostiziert werden könne, hätte der anberaumte Verhandlungsbeginn am 16.09.2021 ohne die erfolgte Abtrennung auch gegen die weiteren Angeklagten auf nicht absehbare Zeit verschoben werden müssen“, hieß es in einer Mitteilung.
Sowohl die Strafverteidiger der vier schon vor Gericht stehenden Männer als auch die Staatsanwälte waren den Vorsitzenden wegen der Vertagung im Fall Winterkorn scharf angegangen. Während die Anwälte eine Vermengung der Vorwürfe an ihre Mandanten mit denen an den Ex-Konzernlenker und so eine mögliche Vorverteilung befürchten, will die Anklage, dass sich Winterkorn so bald wie möglich persönlich einlassen muss. Es geht um mutmaßlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betrug im Zusammenhang mit Millionen manipulierten Dieselautos.
Winterkorn gilt schon seit längerem als gesundheitlich angeschlagen. Im Kern befreite ein medizinisches Gutachten den in München Lebenden vorläufig von der Anwesenheit in Braunschweig. Aus Ermittlerkreisen verlautete bereits, dies müsse gegebenenfalls nochmals näher geprüft werden, womöglich auch durch das Einschalten eines Amtsarztes.
Andere Kritiker wollen ebenfalls nicht ausschließen, dass sich eine Prozessteilnahme Winterkorns immer mehr verzögert. Das OLG konnte in dem Beschluss der Kollegen vom Landgericht indes keine Fehler erkennen. Dieser beruhe „auf einer umfassenden und sorgfältigen Ermessensausübung“. Die Wirtschaftsstrafkammer habe außerdem geprüft, ob das gesamte Verfahren gegen alle Fünf verschoben werden könnte.
Zuletzt hatten sich Zweifel gemehrt, ob der jahrelang vorbereitete Strafprozess fortgesetzt werden kann. Für die Hauptverhandlung setzte das Landgericht zunächst 133 Tage bis in den Sommer 2023 an.
Gegenstand des Verfahrens (Az.: 6 KLs 23/19) waren am Mittwoch weitere Aussagen eines der vier anwesenden Ex-Führungskräfte. Mehrere Stunden berichtete der Angeklagte über interne Mails, Protokolle und Unterlagen aus dem Herbst 2007. Damals hatten sich Schwierigkeiten vor der Einführung eines „sauberen Diesels“ auf dem US-Markt gehäuft. Im September 2015 flogen die Täuschungen dort dann auf.
Es habe sehr viele Probleme im Projekt „US 07“ gegeben, sagte der frühere Chef der VW-Aggregateentwicklung. Aber die sogenannte Akustikfunktion spielte ihm zufolge dabei keine besondere Rolle. Nach seiner Erinnerung habe es nie eine Präsentation gegeben, bei der sie gesondert vorgestellt wurde. Der Begriff dieser Funktion gilt im Kontext der „Dieselgate“-Ermittlungen als eine Art Deckmantel für das Programm, das die Abgasreinigung nur in Tests voll aktivierte.
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