Berlin/München (dpa)
Bedingt sondierungsfähig? Wachsende Fliehkräfte in der Union
Vor den Gesprächen der Union mit FDP und Grünen wirkt die CDU auf viele konfus. Immer weniger glauben, dass sich Armin Laschet am Ende doch noch ins Kanzleramt retten kann. Und was macht Markus Söder?
Armin Laschet redet nicht lange drumherum. „Ich hätte gerne ein anderes Geschenk mitgebracht, lieber Edmund“, sagt der CDU-Chef am Freitagabend zu Beginn seiner Laudatio auf den früheren CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber, seinen Vorvorgänger als Kanzlerkandidat der Union.
„Die Wahl ist nicht so ausgegangen, wie wir uns das erträumt haben“, räumt er ein. Ansonsten will er zur aktuellen Lage aber nichts sagen: Er wolle nicht über die bremsende Wirkung von Ampeln oder das pulsierende Wesen von Jamaika sprechen.
Wie es der Zufall will: Inmitten der aktuellen Nachwahl-Turbulenzen feiert die CSU Stoibers 80. Geburtstag - mit Laschet mittendrin. Und natürlich drängen sich beim historischen Rückblick Vergleiche mit dem aktuellen Kampf ums Kanzleramt auf. Auch wenn CSU-Chef Markus Söder, der im Frühjahr ja selbst gerne Kanzlerkandidat geworden wäre, in seiner Rede betont, seine Worte hätten „keine aktuellen Bezüge“.
Zur Erinnerung: Angela Merkel hatte Edmund Stoiber 2002 die Kanzlerkandidatur überlassen - und der scheiterte nur knapp: 38,5 Prozent holte die Union mit Stoiber damals, nur 6000 Stimmen weniger als die SPD. Mit Laschet kam die Union diesmal auf nur 24,1 Prozent.
„Das war einer der wenigen Momente, wo du einmal etwas nicht erreicht hast“, sagt Laschet. Und: „Die menschliche Größe, mit der du damit umgegangen bist, ist mir auch Maßstab und Kompass in diesen Tagen.“
Auffällig ist zudem, wie Laschet, Söder und Stoiber an diesem Abend das Wort „Loyalität“ bemühen. Kritik nach innen, geschlossen nach außen, sagt Laschet. Söder sagt mit Blick auf das Verhältnis von CDU und CSU: Immer eng verbunden, aber dennoch keine Zwillinge. Und Stoiber sagt, es hört sich an wie eine Mahnung, er nennt es „Appell“: Man könne nur gemeinsam für Deutschland etwas erreichen. Beide Seiten müssten einen Beitrag leisten, den Laden zusammenzuhalten, sagt er.
Tatsächlich steht die Union vor Beginn der vorentscheidenden Gespräche über ein mögliches Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP. Doch den Takt am Freitag gibt nicht Laschet vor. „Wir sind bereit zu Jamaika. Wir sind bereit zu schnellen Gesprächen, zu kompakten und auch vor allem zu sehr konzentrierten Gesprächen“ - diese Sätze sagt am Vormittag nicht der CDU-Vorsitzende und Unionskanzlerkandidat. Sie kommen von Markus Blume, dem Generalsekretär der CSU. Der ergänzt nach einer Schalte des CSU-Präsidiums noch: „Wir als CSU wollen alles dafür tun, dass die Möglichkeit, die besteht, auch genutzt wird.“
Gut möglich, dass Blumes Worte in den Ohren mancher in der CDU-Spitze wie Hohn klingen. Zwar sprach Söder noch am Wahlabend vom „klaren Ziel“, dass Laschet Kanzler werde. Doch in den Tagen danach sind andere Töne zu hören. „Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz - eindeutig“, sagte er am Dienstag. Für etliche in der CDU wirkt Söder wieder so, als wolle er Laschet schwach und unsicher aussehen lassen, wie schon in den Wahlkampfmonaten.
Blumes Auftritt zeigt vor allem eines: Die CSU will und muss - erst recht nach dem Hin und Her bei der Terminfindung - unter allen Umständen den Eindruck vermeiden, den Jamaika-Sondierungen am Sonntag mit der FDP und am Dienstag mit den Grünen nicht die nötige Bedeutung beizumessen. Denn klar ist: Sollte es nicht zum angepeilten Bündnis kommen, soll die Schuld daran nicht bei der CSU hängen bleiben. Denn CSU-intern glaubt eine Mehrheit offenbar nicht mehr an Jamaika.
Verlässlich ist bei der Union eines: der Schwesternzwist
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hatte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Donnerstag mit Blick auf die Gespräche mit CDU/CSU gesagt: „Ich sehe im Moment nicht, dass man die Union für sondierungsfähig halten könnte, geschweige denn für regierungsfähig.“ Auch intern sollen Grüne und FDP der Union signalisiert haben, zunächst müsse geklärt werden, wie stabil eine gemeinsame Regierung überhaupt sein könne. Denn verlässlich scheint bei der Union nur eins: der Schwesternzwist. Und bei der CDU wachsen die Fliehkräfte.
Offenbar bereiten sich in der CDU viele intensiver darauf vor, einen der wenigen in der Opposition verbleibenden machtvollen Posten zu bekommen, als auf mögliche Jamaika-Verhandlungen. So gerieten im Ringen um den Fraktionsvorsitz am Dienstag der Wirtschaftsexperte Friedrich Merz und Fraktionschef Ralph Brinkhaus aneinander. In kleiner Runde: Neben Laschet, Merz und Brinkhaus waren nach einem auch der Deutschen Presse-Agentur bestätigten „Spiegel“-Bericht der Außenpolitiker Norbert Röttgen sowie CDU-Vize Jens Spahn dabei.
Alle kommen wie Laschet aus Nordrhein-Westfalen, alle wollen in einer Nach-Laschet-Zeit weiter eine wichtige Rolle in der Partei spielen. Im Verlauf des Wortwechsels, schreibt der „Spiegel“, habe Merz ein Glas Orangensaft auf den Tisch geknallt. Es läuft mal wieder nicht allzu freundschaftlich - nach stabiler CDU sieht das auch nicht aus.
Am Freitag macht Merz, den Laschet in der Wahlkampf-Schlussphase in sein „Zukunftsteam“ geholt hatte, dann auch noch öffentlich seinem Ärger über das desaströse Wahlergebnis Luft. „Die CDU ist denkfaul geworden“, ätzt er in den Funke-Zeitungen. Die CDU habe „das thematische Arbeiten verlernt“. Er richte sich darauf ein, „ein normaler und hoffentlich guter Abgeordneter zu sein“. Das klingt nicht so, als traue Merz es Laschet zu, doch noch ein Jamaika-Bündnis zu schmieden. Denn eigentlich wäre Merz wohl gerne Minister geworden.
Merz schließt erneute Kandidatur nicht aus
Am Freitagabend macht dann ein „Bild“-Bericht die Runde, Merz halte sich unter bestimmten Bedingungen - bei einer Mitgliederbefragung oder Basiswahl - eine erneute Kandidatur für den CDU-Vorsitz offen. Merz selbst twittert daraufhin am Abend: „Wir haben einen gewählten Vorsitzenden und ich unterstütze ihn bei seinen Bemühungen, eine Koalition mit FDP und Grünen aufzustellen.“ Und: „Alle anderen Fragen stellen sich derzeit nicht, sie sind rein spekulativ.“
Wie lange sich Laschet noch halten kann, ist offen. Ihm bleibt im Moment nur eines: Er muss auf die Gespräche mit FDP und Grünen setzen - trotz aller internen Querschüsse. Obwohl etliche in der CDU-Spitze glauben, dass es zuerst nur Koalitionsgespräche der SPD mit Grünen und FDP geben werde, hofft Laschet wohl, dass diese am Ende doch noch scheitern könnten. Dann wäre die Union nämlich wieder im Spiel.
Und Söder? Der hatte schon zu Wochenbeginn betont, was man jetzt mache, stelle die Weichen für die bayerische Landtagswahl in zwei Jahren. Dann muss er liefern, dann ist er allein der Verantwortliche. Klar ist: Die Wahlergebnisse seines langjährigen Mentors Edmund Stoiber, wird Söder wohl nie wieder erreichen können. Stoibers Spitzenwert bei einer Landtagswahl lag jenseits der 60-Prozent-Marke.
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