Kranj (dpa)
EU entzweit über Umgang mit Westbalkan
Mehr Mitglieder, mehr Ärger? Oder mehr Länder, mehr Schlagkraft? Diese Frage stellt sich für die EU beim Thema Erweiterung. Bei einem Gipfel in Slowenien werden die Westbalkan-Staaten ungeduldig.
Die Befürworter einer klaren EU-Beitrittsperspektive für Länder wie Albanien und Serbien haben eindringlich vor den Gefahren einer Hinhaltetaktik gewarnt.
„Wenn wir als Europäische Union keine ernsthafte Perspektive für diese Region bieten, dann müssen wir uns bewusst sein, dass andere Supermächte wie China, Russland oder auch die Türkei dort eine immer stärkere Rolle spielen“, sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwoch bei einem EU-Westbalkan-Gipfel in Slowenien.
Lettlands Ministerpräsident Krisjanis Karins warnte ebenfalls, wenn die EU den Westbalkanländer nicht die Hand ausstrecke und in ihre Richtung ziehe, werde dies jemand anders tun. Dabei müsse man bedenken, dass Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht überall auf der Welt die leitenden Werte für Regierungshandeln seien.
Beide wandten sich damit klar gegen den Kurs von Ländern wie Frankreich, die die EU derzeit nicht in der Lage sehen, neue Mitglieder aufzunehmen.
Für ein klares Bekenntnis zur Integration der Region in die Europäische Union warb auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Wir sind eine europäische Familie. Wir teilen die gleiche Geschichte, wir teilen die gleichen Werte - und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir auch das gleiche Schicksal teilen“, sagte sie am Rande der Gespräche mit den Staats- und Regierungschefs von Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und dem Kosovo. Eine Aufnahme der Länder in die EU sei gut für den Westbalkan, aber auch gut für die EU. „Wir möchten den Westbalkan in der Europäischen Union haben“, sagte sie.
Von der Leyen forderte die Westbalkan-Staaten auf, dennoch an den Reformanstrengungen festzuhalten. „Jetzt Kurs halten, nicht aufgeben, weitermachen. Das Ziel ist vor den Augen“, sagte sie. Es seien bereits enorme Anstrengungen unternommen worden, in Bereichen wie Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit müsse aber noch Arbeit geleistet werden.
Bei dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs mit den Spitzen der Balkanstaaten standen neben der EU-Beitrittsperspektive auch weitere Finanzhilfen auf der Tagesordnung. Um die Länder bei ihren Reformanstrengungen zu unterstützen, sollen sie nach der vorbereiteten Gipfelerklärung allein in diesem Jahr über einen Wirtschafts- und Investitionsplan rund 1,1 Milliarden Euro an EU-Mitteln erhalten. Die Kommission wolle dafür noch ein neues Paket in Höhe von 600 Millionen Euro vorschlagen, heißt es in dem Text. Insgesamt sollen in den kommenden sieben Jahren rund 30 Milliarden Euro für die Region mobilisiert werden - unter anderem auch über neue Garantien.
In den Balkanstaaten hielt sich die Begeisterung dennoch in Grenzen - vor allem, da ihr die EU weiter eine konkrete zeitliche Perspektive für den Beitritt verweigert. „Natürlich bin ich kritisch. Es hätte besser sein können“, sagte der kosovarische Premierminister Albin Kurti. Er hege aber immer noch Hoffnung. „Innere Konsolidierung der EU und äußere Erweiterung schließen einander nicht aus, ganz im Gegenteil“, sagte er.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte sich erst nach dem Ende des Gipfels bei einer Pressekonferenz zu den Gesprächen in Slowenien äußern. Deutschland steht allerdings klar an der Seite der Länder, die sich für eine glaubwürdige Beitrittsperspektive aussprechen. Als besonders ärgerlich gilt, dass die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien bereits seit rund einem Jahr von Bulgarien aus innenpolitischen Gründen blockiert wird - und das, obwohl eigentlich bereits im März 2020 ein klarer EU-Beschluss für den Start von Verhandlungen getroffen wurde. Von der Blockade ist auch Albanien betroffen, mit dem gleichzeitig mit Nordmazedonien Gespräche aufgenommen werden sollen.
Am Rande des Gipfels berieten Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem bulgarischen Präsidenten Rumen Radew und dem Ministerpräsidenten Nordmazedoniens, Zoran Zaev, über den Konflikt. Eine Lösung wurde nach Angaben aus EU-Kreisen allerdings nicht erzielt.
© dpa-infocom, dpa:211006-99-497775/7