Berlin/Karlsruhe (dpa)
Rückkehrerinnen aus ehemaligem IS-Gebiet sollen in Haft
Sie lernten mit Sprengfallen umzugehen und erzogen ihre Söhne zu Terrorkämpfern. Obgleich die Ideologie der Islamisten Frauen an den Herd verweist, sind unter den deutschen IS-Frauen einige, die sich nicht nur um Haushalt und Kinder gekümmert haben.
Bei mehreren von der Bundesregierung aus Syrien zurückgeholten mutmaßlichen IS-Frauen wird vermutet, dass sie der Ideologie der Terrormiliz bis heute nicht abgeschworen haben.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gelten mindestens zwei von ihnen als „Gefährderinnen“. Das bedeutet, dass ihnen die Polizei schwere politisch motivierte Straftaten zutraut.
Die Bundesregierung hatte am Mittwoch acht Frauen mit ihren Kindern nach Deutschland fliegen lassen. Die Mütter, die dem Vernehmen nach alle freiwillig zurückkehrten, sollen sich alle dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben. Zuletzt lebten sie und ihre 23 Kinder mehrere Jahre im Gefangenenlager Roj im Nordosten Syriens, das unter kurdischer Verwaltung steht. Humanitäre Helfer berichten seit Jahren von erbärmlichen Lebensumständen in diesem und anderen Gefangenenlagern, in denen sich mutmaßliche IS-Familien aufhalten. Es wird geschätzt, dass dort noch etwas mehr als 100 deutsche Staatsbürger leben, darunter etliche Kinder, die im Ausland geboren wurden.
Eine Chartermaschine brachte die Frauen und Kinder kurz vor Mitternacht nach Frankfurt am Main. Ein Großteil der Rückkehrerinnen sei nach der Landung in Haft genommen worden, teilte Außenminister Heiko Maas (SPD) mit. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen lagen gegen sechs Frauen Haftbefehle vor.
Drei der Frauen ließ die Bundesanwaltschaft festnehmen. Heute wurden sie dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der die Haftbefehle gegen sie in Vollzug setzte. Wie aus einer Mitteilung hervorgeht, wird ihnen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Außerdem sollen sie ihre Kinder im Sinne der radikal-islamistischen Ideologie der Gruppe erzogen haben. Eine von ihnen habe ein Sturmgewehr besessen, hieß es. Sie soll in einer Frauenbrigade gedient haben und auch im Umgang mit Sprengfallen geschult worden sein.
Eine andere der drei soll Anhängerinnen für den IS angeworben haben. Den Angaben zufolge reiste sie im Dezember 2014 mit ihrer minderjährigen Tochter in das damals vom IS kontrollierte Gebiet. Zudem soll sie für eine 16-Jährige die Ausreise nach Syrien organisiert haben. Die nun nach Deutschland zurückgekehrte Frau habe in Syrien nacheinander mindestens sechs IS-Mitglieder nach islamischem Ritus geheiratet, heißt es in der Mitteilung. In sozialen Medien habe sie ihre Zustimmung zu Terroranschlägen in Europa ausgedrückt. Ihrer Tochter habe sie Hinrichtungsvideos gezeigt. Im syrischen Al-Rakka soll sie wahrscheinlich Ende 2016 eine vom IS versklavte Jesidin angewiesen haben, Arbeiten im Haushalt zu verrichten und das muslimische Gebet zu sprechen.
Diese Mutter aus Osnabrück hatte nach dpa-Informationen auch engen Kontakt zu der damals noch in Deutschland lebenden Jennifer W., die seit April 2019 in München vor Gericht steht. Die Frau aus Lohne in Niedersachsen war nach eigener Aussage 2014 in den Irak gereist, um dort aus ideologischer Überzeugung einen IS-Kämpfer zu heiraten. Der Anklage zufolge „kaufte“ das Paar eine Frau, die der vom IS systematisch verfolgten Religionsgemeinschaft der Jesiden angehörte, und deren Tochter als Sklavinnen. Im Sommer 2015 soll Jennifer W. zugesehen haben, wie das kleine Mädchen ungeschützt in praller Sonne unter anderem an einer Atemlähmung verstarb, nachdem ihr Ehemann es angebunden hatte.
Es war die vierte und bisher größte Rückholaktion für deutsche Staatsbürger mit IS-Bezug. Die Bundesregierung hatte 2019 damit begonnen, Kinder aus den Gefangenenlagern nach Deutschland zu bringen - zunächst über den Nordirak. Später kamen auch Frauen mit staatlicher Hilfe zurück.
Das Flugzeug, dass die Frauen und Kinder in der Nacht nach Frankfurt brachte, flog anschließend weiter nach Dänemark. Die dänischen Behörden bestätigten am Donnerstag, dass drei Mütter mit dänischer Staatsbürgerschaft und ihre insgesamt 14 Kinder aus dem Lager im Nordosten Syriens evakuiert wurden. Sie seien gegen 3.00 Uhr in der Nacht auf dem Flugplatz Karup eingetroffen, teilte die Sozialverwaltung mit. Bei der Ankunft seien die Frauen von der dänischen Polizei festgenommen worden. Die Kinder befänden sich wegen der Entscheidungen ihrer Eltern in einer schwierigen Lage.
Die Islamforscherin Susanne Schröter hält psychologische Betreuung für Kinder von IS-Rückkehrerinnen für dringend notwendig. „Sie sind radikalisiert und sie sind traumatisiert“, sagte die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam. „Das Zurückkommen nach Deutschland ist für sie ein traumatischer Prozess.“
In Frankfurt waren in der Nacht nach Angaben aus Sicherheitskreisen ungefähr zehn Mitarbeiter von Jugendämtern aus ganz Deutschland vor Ort, um sich um die Kinder zu kümmern, mit Plüschtieren und Schokolade, um die Situation ein wenig zu entspannen. Teilweise waren auch Angehörige wie Großeltern, Onkel, Tanten gekommen, um die Kinder in Empfang zu nehmen.
© dpa-infocom, dpa:211006-99-505829/6