Frankfurt/Main (dpa)

Ende des Schönredens: Deutscher Sport will olympische Wende

Andreas Schirmer, dpa
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Von Andreas Schirmer, dpa
| 07.10.2021 11:11 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport des Deutschen Olympischen Sportbundes. Foto: picture alliance / Arne Dedert/dpa
Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport des Deutschen Olympischen Sportbundes. Foto: picture alliance / Arne Dedert/dpa
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Unter Führung des Deutschen Olympischen Sportbundes soll der Abwärtstrend bei Sommerspielen gestoppt werden. DOSB-Sportchef Schimmelpfennig fordert ein Ende von Interessenkonflikten und die Wende zum Gemeinschaftswerk.

DOSB-Sportchef Dirk Schimmelpfennig hat von der Schönfärberei genug und redet nach dem drei Jahrzehnte langen Abwärtstrend bei Olympischen Sommerspielen Tacheles.

„Wir stehen hier, weil dies das Ergebnis unserer Leistungssportstruktur in Deutschland der vergangenen 30 Jahre ist, die zu oft von sich widersprechenden Interessen, zu viel Bürokratie und langjährigen Umsetzungsproblemen geprägt ist“, sagte 59-jährige frühere Tischtennisspieler und -Trainer der Deutschen Presse-Agentur.

Appell zur Veränderung

„Wir schaffen keine Wende, wenn wir weiter stärker Partikularinteressen verfolgen, anstatt nach einem gemeinsamen Ziel ausgerichtet mit allen Kräften in die gleiche Richtung zu arbeiten“, bekräftigte Schimmelpfennig, der seit 2015 Vorstand Leistungssport des Deutschen Olympischen Sportbundes ist. „Wir haben derzeit noch zu viele Widerstände und Reibungsverluste an Stellen, wo wir besser abgestimmt zusammenarbeiten sollten.“

Diesen Appell, dass es grundlegender Veränderungen bedarf, hätten die Bundestrainer, Sportdirektoren der Verbände, die Leistungsreferenten der Landessportbünde und Olympiastützpunktleiter bei einer Tagung mit 220 Teilnehmern in Kienbaum verstanden. „Das ist genauso angekommen. Es ist der Wille, dass wir zukünftig das, was inhaltlich besprochen wurde, nun konkret umsetzen“, sagte er.

Mehr Geld bringt nicht zwingend mehr Medaillen

Die schwächste Medaillenausbeute seit der Wiedervereinigung bei den Tokio-Spielen mit 37 Medaillen (10 Gold, 11 Silber, 16 Gold und Platz neun im Medaillenspiegel) ist offenbar der letzte Warnschuss gewesen. Die 2016 gestartete Leistungssportreform mit der aufwendigen Potenzialanalyse (Potas) allein, mit der die Verbände strukturell auf Vordermann gebracht und ihr Zuwendungsbedarf ermittelt werden soll, hat bisher keinen entscheidenden Aufschwung gebracht. Dabei wurde die Sportförderung des Bundes auf 265 Millionen Euro verdoppelt.

„Der Bund als verlässlicher "Vertragspartner" hat seine Zusagen eingehalten, auch um den Spitzenverbänden die Chance zu geben, sich professioneller aufzustellen“, erklärte Dagmar Freitag (SPD), die scheidende Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. „Allerdings müssen wir heute feststellen, dass Umsetzungen zwingend notwendiger Reformen seitens des DOSB verschleppt wurden. Und nur mehr Geld allein geht eben nicht zwingend einher mit Medaillen.“

Trainer-Entlohnung „ist unbefriedigend“

Auch Schimmelpfennig bekennt, dass die Umsetzung des Konzepts zur Neustrukturierung des Leistungssports in „eine Schieflage“ geraten ist, weil die Spitzensportförderung „besser und aufwendiger“ entwickelt wurde als der Leistungssport. Zu lange sind zudem Themen wie die Trainersituation, die Nachwuchs- und Talentförderung sowie der Schulsport nur halbherzig oder gar nicht angepackt worden. Eine vor langer Zeit avisierte Traineroffensive ist verpufft.

„Das ist ein Gräuel und ein Witz, dass Trainerstellen immer noch meist befristet sind. Da muss sich etwas ändern“, forderte Thomas Weikert, der als einer der Anwärter auf das DOSB-Präsidentenamt gilt. „Die Bezahlung der Trainer lässt auch zu wünschen übrig. Trainer sind Mädchen für alles und die Entlohnung ist unbefriedigend.“

Der Weckruf von Kienbaum dürfte noch keinen Umschwung bis zu den Sommerspielen 2024 Jahren in Paris bringen. Es könnte der Start für ein erfolgreiches Langzeitprojekt gewesen sein. Um an der Seine nicht baden zu gehen, richtet der DOSB die Konzentration auf die Athleten, die in Tokio vorne mitgemischt haben und auf diejenigen, die es in diesen Kreis noch schaffen können.

„Aktuelles Niveau zumindest halten“

Das Ziel des DOSB-Sportchefs für Paris lautet: „Das aktuelle Niveau zumindest halten und möglichst wieder in den Medaillenkorridor von 40 bis 45 Medaillen vorzustoßen. In den nächsten drei Jahren wird der große Turnaround noch nicht möglich.“ Der wird nun für die Spiele in Los Angeles 2028 und Brisbane 2032 angestrebt. „Im Wintersport ist die Situation eine andere. Da hoffen wir, dass wir in Peking 2022 im Bereich der drei stärksten Nationen bleiben können“, sagte Schimmelpfennig.

„Im Hinblick auf die Akzeptanz dieser Erkenntnisse könnte die Leistungssportkonferenz in Kienbaum ein erfolgreicher Sportgipfel gewesen sein“, meinte er. „Aber letztlich nur dann, wenn dies in Paris, Los Angeles und Brisbane zu erkennen ist.“

© dpa-infocom, dpa:211007-99-511465/2

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