Brasília (dpa)

Schwere Vorwürfe gegen Bolsonaro wegen Corona-Politik

Martina Farmbauer, dpa
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Von Martina Farmbauer, dpa
| 20.10.2021 17:24 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Verharmlost das Coronavirus seit Beginn der Pandemie und lehnt Schutzmaßnahmen sowie Einschränkungen ab: Jair Bolsonaro. Foto: Eraldo Peres/AP/dpa
Verharmlost das Coronavirus seit Beginn der Pandemie und lehnt Schutzmaßnahmen sowie Einschränkungen ab: Jair Bolsonaro. Foto: Eraldo Peres/AP/dpa
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In Brasilien belastet ein Untersuchungsausschuss Präsident Jair Bolsonaro teilweise schwer. Die Vorwürfe reichen von Scharlatanerie bis Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

In Brasilien hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Corona-Politik der Regierung schwere Vorwürfe gegen Präsident Jair Bolsonaro erhoben und eine Anklage empfohlen.

Die Regierung habe fahrlässig gehandelt und „die Bevölkerung absichtlich der konkreten Gefahr einer Masseninfektion ausgesetzt“, um die Herdenimmunität zu erreichen, sagte Senator Renan Calheiros bei der Verlesung des Abschlussberichts am Mittwoch in Brasília.

Mit diesem Verhalten habe die Regierung, die sich nachweislich von einem parallelen Kabinett habe beraten lassen, den Tod von Brasilianern billigend in Kauf genommen. Der Untersuchungsausschuss habe „die Fingerabdrücke“ des Präsidenten bei Tausenden von Covid-19-Toten nachgewiesen, sagte Calheiros, der Verfasser des Berichts, weiter. Darin werden Bolsonaro neun teilweise schwere Verbrechen während der Corona-Pandemie zu Last gelegt.

Insgesamt sollen laut der Empfehlung außer Bolsonaro weitere 65 Personen, unter ihnen drei Söhne des Präsidenten, und Geschäftsleute sowie zwei Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden. Völlig unklar bleibt vorerst, welche Folgen der Bericht haben wird.

Die Vorwürfe gegen Bolsonaro reichen von Scharlatanerie über die Anstiftung zu Straftaten bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zwei der schwersten Verbrechen, Völkermord an der indigenen Bevölkerung und Mord, hatte eine Gruppe von sieben unabhängigen oder gegen Bolsonaro eingestellten Senatoren Medienberichten aus der Liste der Vorwürfe entfernt.

Der Untersuchungsausschuss besteht aus elf Mitgliedern, von denen sieben zur Opposition gehören oder als unabhängig gelten. In der kommenden Woche soll der Ausschuss voraussichtlich über den Abschlussbericht abstimmen. Eine Mehrheit ist notwendig, um den Bericht zu verabschieden. Dann kann er an Institutionen wie die Generalstaatsanwaltschaft geschickt werden.

Unklar bleibt für Kommentatoren, ob die Empfehlungen auch zu Anklagen führen werden - oder ob der Untersuchungsausschuss nach fast sechs Monaten Arbeit mit mehr als 50 Aussagen in Samba oder Pizza endet, wie es in Brasilien heißt, wenn etwas im Sande verläuft.

Auch die Beantragung eines Amtsenthebungsverfahrens, für dessen Einleitung der Bericht als Grundlage dienen könnte, ist fraglich. Die Eröffnung eines solchen Verfahrens hängt vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer ab - dieser gilt als Verbündeter der Regierung Bolsonaros.

Der Untersuchungsausschuss hatte auf dem Höhepunkt einer außer Kontrolle geratenen Corona-Pandemie im April seine Arbeit aufgenommen. Sein Auftrag lautete, die Handlungen und Unterlassungen der Regierung des Rechtspopulisten Bolsonaro in der Pandemie zu beleuchten und die mögliche Veruntreuung von Bundesmitteln im Kampf gegen das Coronavirus zu überprüfen.

Die Brasilianer verfolgten den Ausschuss bisweilen wie eine Telenovela. Auch wenn sie dabei nicht immer wirklich Neues erfuhren, so wurden doch die Ausmaße von bereits Bekanntem deutlich. Etwa, dass die Regierung mehr als 50 E-Mails des Pharmaunternehmens Pfizer, das Corona-Impfstoffe nach Brasilien liefern wollte, unbeantwortet ließ.

Die absichtliche Verzögerung beim Beschaffen von Impfstoffen war für den Verfasser des Abschlussberichts das schwerwiegendste Versäumnis der Regierung. „Sie war ein Faktor, der entscheidend zu der hohen Rate an Neuerkrankungen und Sterblichkeit im Land beigetragen hat“, sagte Renan Calheiros bei der Verlesung des Berichts.

Nach den USA und Indien verzeichnet Brasilien mit fast 22 Millionen Fällen die meisten Corona-Infektionen. Zuletzt überschritt das größte Land in Lateinamerika die Marke von 600.000 Corona-Toten. Das Gesundheitssystem brach im März und April vielerorts zusammen.

Bolsonaro verharmlost das Coronavirus trotzdem seit Beginn der Pandemie und lehnt Schutzmaßnahmen sowie Einschränkungen ab. Auch den Sinn von Impfungen zieht er in Zweifel. Der Präsident hat mehrmals betont, dass er selbst noch nicht gegen das Coronavirus geimpft sei. Ihm wird vorgeworfen, den Erwerb von Corona-Impfstoffen ausgeschlagen und verschleppt zu haben.

Seit Beginn der landesweiten Impfkampagne im Januar sind nun insgesamt mehr als 261 Millionen Impfdosen verabreicht worden, mehr als 100 Millionen Brasilianer sind komplett gegen das Coronavirus geimpft. Die Beschleunigung ist einer der Erfolge, den der Präsident des Untersuchungsausschusses, Senator Omar Aziz, diesem auf die Fahnen schreibt.

Die Zustimmung zur Amtsführung Bolsonaros ist im Laufe der Corona-Pandemie dagegen immer weiter gesunken. 53 Prozent der Befragten lehnten die Politik des Präsidenten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha im September ab. Das war das schlechteste Ergebnis für Bolsonaro seit seinem Amtsantritt 2019.

© dpa-infocom, dpa:211020-99-670016/5

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