Berlin (dpa)

Die Infektionen steigen rasch - Neue Debatte ums Impfen

Gisela Gross und Simone Humml, dpa
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Von Gisela Gross und Simone Humml, dpa
| 24.10.2021 16:12 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Die steigende Zahl an Corona-Infektionen befeuert die Debatte über Impfungen. Foto: Oliver Berg/dpa
Die steigende Zahl an Corona-Infektionen befeuert die Debatte über Impfungen. Foto: Oliver Berg/dpa
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Der zweite Winter in der Corona-Pandemie steht bevor, die Inzidenz ist bereits auf über 100 gestiegen und das Impfen kommt kaum voran. Zugleich stößt ein Fußballer eine heftige Debatte ums Impfen an.

Die Infektionszahlen steigen rasch, Experten raten zum Impfen und die Äußerungen eines Fußballers darüber lösen eine große Debatte aus. Die Impfzahlen stiegen zuletzt nur noch langsam. Wie geht es weiter in der Pandemie?

Menschen mit Bedenken

Er finde es schade, dass es in der Debatte „nur noch geimpft oder nicht geimpft“ gebe, sagte der deutsche Nationalspieler Joshua Kimmich vom FC Bayern München. Bedenken von Menschen „solle man respektieren, vor allem, so lange man sich an die Maßnahmen hält“, meinte er. Er habe „persönlich noch ein paar Bedenken, gerade, was fehlende Langzeitstudien angeht“, sagte Kimmich. „Es ist wichtig zu sehen, was in Kimmich vorgeht. Es ist gut, dass er überhaupt darüber nachdenkt“, sagte der Physiker Dirk Brockmann vom Institut für Biologie der Humboldt-Universität Berlin. Experten geben einige konkrete Antworten auf die Bedenken.

Studienlage zu Covid-19-Impfungen

„Der große Vorteil bei den Covid-19-Impfungen ist ja, dass wir diesen Impfstoff in kurzer Zeit bei vielen Menschen angewendet haben“, sagte Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. In Deutschland seien es über 100 Millionen Dosen, weltweit über sechs Milliarden. „Daher kennen wir die seltenen Nebenwirkungen wie Sinusvenenthrombosen, Myokarditis und andere bereits.“ Die Covid-19-Impfstoffe seien in Bezug auf seltene Nebenwirkungen bereits besser erforscht als andere Vakzine. „Nebenwirkungen einer Impfung treten immer innerhalb von wenigen Wochen nach der Impfung auf“, betonte Watzl. „Dass ich heute geimpft werde und nächstes Jahr eine Nebenwirkung auftritt, das gibt es nicht, hat es noch nie gegeben und wird auch bei der Covid-19-Impfung nicht auftreten.“

Impfung versus Infektion

Einige Dinge sind aus Expertensicht klar: „Die gesundheitlichen Risiken bei Covid-Infektionen sind viel, viel größer als bei Impfungen. Hinzu kommt: Durch die Impfung vieler Menschen werden vulnerable Gruppen wie Ältere und Vorerkrankte geschützt“, sagte Brockmann. Und: Eine Corona-Infektion von Ungeimpften sei quasi unausweichlich. „Das Coronavirus wird in der Welt bleiben, es wird sicher neue Varianten bilden, aber es wird nicht verschwinden.“

Im Gegensatz zum Impfstoff bringe das Virus Bauanleitungen für sehr viele Proteine in den Körper ein. Durch das Virus werde die Hauptwirkung des Impfstoffs im Körper ebenfalls ausgelöst, „gleichzeitig aber noch viele andere Sachen, deren Folgen wir noch nicht alle verstehen“, sagte Brockmann. Kurz: „Die Infektion mit Sars-CoV-2 bedeutet eben auch eine Art Impfung - nur mit unkontrollierter Menge des Impfstoffs, weil das Virus sich ja im Körper vervielfältigt. Und zwar unkontrolliert.“ Was nach einer Impfung geschehe, sei relativ gut untersucht. Bei Langzeitwirkungen nach einer Infektion sei hingegen noch vieles unverstanden.

Herdenimmunität nicht realistisch

Bisher haben sich rund 69 Prozent der Menschen in Deutschland mindestens eine Dosis gegen Covid-19 spritzen lassen. Etwa 66 Prozent gelten als vollständig geimpft . Reicht das angesichts der Pandemie-Entwicklung? Die Inzidenz - die Zahl der Infektionen in sieben Tagen pro 100.000 Einwohner - hat in Deutschland gerade den Wert von 100 überschritten. In der frühen Phase der Pandemie galt, dass zum Erreichen der Herdenimmunität etwa zwei Drittel der Bevölkerung durch Impfung oder Infektion immun geworden sein müssten. Doch seit dem Aufkommen der ansteckenderen Delta-Variante gehen Experten nicht mehr davon aus. Keiner kann sich nun darauf verlassen, durch ein weitgehend geimpftes Umfeld geschützt zu sein.

Was kann also noch bevorstehen in diesem Jahr? Sind ein extrem steiler Anstieg der Fallzahlen-Kurve, ein anhaltender Anstieg bei den Patientenzahlen in Kliniken und ein erneuter Lockdown ausgeschlossen? Die Antworten, die Fachleute geben, lassen sich auf die kurze Formel bringen: Es ist gerade schwer vorherzusagen. Das liegt nicht nur an Daten-Unschärfen, etwa die Impfquote betreffend. Auch das Verhalten der Bevölkerung, politische Entscheidungen und etwaige Veränderungen des Virus' ließen sich schwer abschätzen.

Wo Impfungen fehlen

In jedem Fall bestehe noch eine Impflücke bei der am stärksten gefährdeten Gruppe über 60 Jahre, erklärte Ralf Bartenschlager, der Präsident der Gesellschaft für Virologie. Man müsse bedenken, dass in dieser Altersgruppe etwa 20 Prozent aller übermittelten Covid-19-Fälle stationär versorgt werden müssten. „Daher sollten wir sehr darauf achten, dass ältere Menschen in unserem Umfeld geimpft sind und, wenn die vollständige Immunisierung bereits länger als sechs Monate zurückliegt, eine dritte Immunisierung erhalten.“ Bezogen auf die Gesamtbevölkerung haben mehr als 25 Millionen keinen Impfschutz - darunter 9,2 Millionen Kinder unter zwölf Jahren, für die es bislang in Europa keinen zugelassenen Impfstoff gibt. Es gibt damit unter dem Strich weitaus mehr ungeschützte Menschen als sich in bisherigen Wellen in Deutschland nachweislich infiziert haben.

Umfrage sieht Möglichkeiten bei Impfbereiten fast ausgereizt

Resultate der Cosmo-Erhebung, für die seit März 2020 regelmäßig knapp 1000 Erwachsene befragt werden, lassen es jedoch fraglich erscheinen, ob die Impflücken bei Erwachsenen durch Impfangebote geschlossen werden können: Demnach haben sich fast alle impfbereiten Erwachsenen unter 75 Jahren bereits die Spritzen geben lassen. Nur noch sechs Prozent in dem Alter seien impfbereit. „30 Prozent der Ungeimpften sind zögerlich, 64 Prozent sagen, sie wollen sich auf keinen Fall impfen lassen.“ Die RKI-Zielimpfquoten lauten: mindestens 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und mindestens 90 Prozent bei Menschen über 60. Zudem werden Maske, Abstand und Co. bis zum Frühjahr empfohlen.

Impfquote nicht allein maßgeblich

Bartenschlager macht aber auch deutlich: Eine bestimmte Impfquote sei nicht allein ausschlaggebend dafür, wie ein Land in nächster Zeit mit der Pandemie zurechtkomme. Er verweist auf Faktoren wie zum Beispiel die Bevölkerungsdichte, das Durchschnittsalter, Test- und Interventionsstrategien sowie den Anteil der Vorerkrankungen. In der Annahme, dass die Infektionszahlen nun im Herbst weiter deutlich steigen dürften, sind sich viele Experten einig. Die Zeit, in der sich die Menschen viel drinnen aufhalten, wo das Ansteckungsrisiko höher ist, hat schließlich begonnen.

Der Immunologe Watzl zeigte sich vorsichtig optimistisch angesichts der vom RKI vermuteten Untererfassung bei der offiziellen Impfquote. „Wir könnten es mit den aktuellen Maßnahmen schaffen, gut durch den Winter zu kommen.“ Aber man müsse die Situation genau beobachten und Maßnahmen - etwa von 3G auf 2G - verschärfen, sollte es einen deutlichen Anstieg der Krankenhausbelegung geben.

Aber auch Geimpfte sind nicht gänzlich außen vor und können sich infizieren. „Solche Fälle sehen wir beim Personal im Krankenhaus zunehmend.“ Darauf müsse man sich mit der Zeit einstellen - es sei denn, es werde ein drittes Mal geimpft, sagte die Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Jana Schroeder. Der Schutz auf den Schleimhäuten vor Ansteckung und Weitergabe schwinde in den Monaten nach der Impfung. „Der Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod hält hingegen länger.“

© dpa-infocom, dpa:211024-99-718101/8

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