Witzenhausen (dpa)
Schulkinder angefahren: Ermittler gehen von Vorsatz aus
Ein Auto fährt in eine Gruppe von Schulkindern. Ein Mädchen stirbt, zwei weitere werden schwer verletzt. Was zunächst wie ein Unfall aussah, könnte vorsätzlich geschehen sein.
Nach der tödlichen Kollision eines Autos mit einer Gruppe von Schulkindern wird nicht mehr wegen eines Unfalls, sondern wegen Mordes ermittelt. Es bestehe der Verdacht, dass der Fahrer den Wagen vorsätzlich in die Gruppe gelenkt habe, teilten Staatsanwaltschaft und Polizei mit.
Der 30-Jährige wurde zwischenzeitlich in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Es gebe Verdachtsmomente dafür, dass er „an einer beträchtlichen psychiatrischen Erkrankung leidet und diese nach derzeitigem Erkenntnisstand ursächlich für den Tatentschluss gewesen sein könnte“, berichteten die Ermittler weiter.
Der 30-jährige türkische Staatsangehörige soll am Freitag im nordhessischen Witzenhausen mit einem Auto in die Gruppe von Schülerinnen und Schülern auf einem Gehweg vor einer Kita gefahren sein. Ein achtjähriges Mädchens erlag wenige Stunden später im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Zwei Mädchen im Alter von sieben und acht Jahren wurden schwer verletzt.
Zeuge meldet sich
Die Ermittler waren zunächst von einem Unfall ausgegangen, Hinweise auf einen Vorsatz hatten sie anfangs nicht. Im Lauf der weiteren Untersuchungen habe sich aber ein bis dahin unbekannter Zeuge gemeldet, hieß es. Dessen Angaben ließen das Geschehen „in einem völlig anderen Licht“ erscheinen. Dies sowie die vorläufige Stellungnahme eines Sachverständigen führten zur Neubewertung des Falles, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel erläuterte.
Nun besteht laut Staatsanwaltschaft und Polizei der „dringende Verdacht, dass der 30-Jährige eine aktive Lenkbewegung in Richtung der Grundschüler getätigt und folglich den Tod eines Kindes und die Verletzung mehrerer Kinder vorsätzlich herbeigeführt hat“. Hinweise für einen extremistischen oder terroristischen Hintergrund lägen nicht vor. Ermittelt wird wegen des Verdachts des versuchten und vollendeten Heimtückemordes, der gefährlichen Körperverletzung und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Der 30-Jährige soll in seiner Vernehmung von einem „Blackout“ gesprochen haben.
„Stimmung sehr bedrückend“
Witzenhausens Bürgermeister Daniel Herz (parteilos), der früher bei der Kripo gearbeitet hat, telefonierte noch am Nachmittag mit Polizei und Staatsanwaltschaft. „Die Stimmung im Ort ist seit Freitag sehr bedrückend, gleich ob das jetzt ein Unfall war oder Vorsatz“, sagte Herz der dpa. Die Wendung in dem Fall sei „überraschend“. Die meisten Bürger hätten angenommen, „dass etwas Medizinisches dahintersteckt“. Allerdings habe es wohl keine Bremsspuren gegeben.
Zu den weiteren Ermittlungen in dem Fall gehört unter anderem die Analyse einer Blutprobe des 30-Jährigen auf mögliche Substanzen wie Drogen, Alkohol oder Medikamente. Zudem wird es um die Frage von dessen Schuldfähigkeit gehen.
Die tödliche Autofahrt von Witzenhausen erinnert an mehrere Vorfälle in der jüngeren Vergangenheit, bei denen Fußgänger von Autos erfasst und ums Leben gekommen sind oder Verletzungen erlitten. Für Entsetzen sorgte etwa die mutmaßliche Auto-Attacke auf den Rosenmontagszug im nordhessischen Volkmarsen im Februar 2020. Ein heute 31-Jähriger soll absichtlich in die Zuschauermenge gefahren sein. 90 Menschen erlitten teils schwere Verletzungen. Insgesamt geht die Staatsanwaltschaft von mehr als 150 Betroffenen aus. Derzeit läuft der Prozess gegen den 31-jährigen Deutschen, es geht unter anderem um versuchten Mord.
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