Berlin (dpa)
Inzidenz bei 201,1 - Höchster Wert seit Beginn der Pandemie
Die Corona-Zahlen steigen immer weiter. Intensivmediziner rechnen mit einer weiteren Zunahme an Patienten in den kommenden Wochen. In manchen Regionen greifen jetzt verschärfte Corona-Regeln.
Die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen in Deutschland ist auf einen Höchstwert seit Pandemiebeginn gestiegen. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der bestätigten Fälle pro 100.000 Einwohner und Woche am Montagmorgen mit 201,1 an.
Der bisher höchste tagesaktuell vom RKI berichtete Wert war auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle am 22. Dezember 2020 mit 197,6 erreicht worden (ohne Nachmeldungen). Intensivmediziner befürchten eine dynamische Entwicklung auch bei der Zahl der zu versorgenden Covid-19-Patienten in den kommenden Wochen. Regional wird es auf Intensivstationen bereits eng. Die Krankenhaus-Ampel des bayerischen Gesundheitsministeriums ist am Montag auf Rot gesprungen. Mehrere Bundesländer verschärfen nun ihre Corona-Regeln.
Anders als vor einem Jahr sind mittlerweile viele Menschen geimpft. Experten gehen deshalb davon aus, dass das Gesundheitssystem jetzt mehr Neuinfektionen aushalten kann als zuvor. Die Impfungen schützen sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen. Jedoch gilt die Impfquote in Deutschland noch nicht als hoch genug, um eine Überlastung von Kliniken auszuschließen. Bei Menschen ab 60 sind laut Statistik noch immer über drei Millionen ohne vollständigen Impfschutz, auch die Quote bei Auffrischimpfungen in der Altersgruppe ist relativ niedrig. Zudem unterscheiden sich die Bundesländer stark bei der Impfquote.
Steigende Patientenzahlen
Auf den Intensivstationen werden laut Divi-Intensivregister vom Montag mehr als 2600 Covid-19-Patienten versorgt, das sind annähernd so viele wie vor einem Jahr. Zu Hochzeiten waren es über 5700, nun stehen laut Divi wegen Personalmangels aber weniger Betten zur Verfügung. Der Leiter des Registers, Christian Karagiannidis, sagte der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag), dass sich die Patientenzahl in den kommenden Wochen voraussichtlich fast verdoppeln werde, wenn die Zahl der Neuinfektionen weiter so steige wie bisher. „Bei einer Inzidenz von 300 erwarten wir bundesweit etwa 4500 Covid-Patienten mit großen regionalen Unterschieden.“
Deutschlandweit seien 5000 Patienten vielleicht zu schaffen, erläuterte Karagiannidis im WDR - aber es könne trotzdem sein, dass man bereits bei insgesamt 3000 Patienten „in Bayern absolut größte Schwierigkeiten“ haben werde, Platz für einen Covid-Patienten zu finden. Wichtig seien regionale Maßnahmen, damit Inzidenzen nicht ins Uferlose stiegen. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft mahnte, die vierte Welle müsse dringend gebrochen werden. Sonst drohten je nach regionaler Betroffenheit Einschränkungen: „Es werden wieder Patienten auf ihre geplanten Operationen warten müssen“, sagte Vorstandschef Gerald Gaß den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Die derzeit am stärksten betroffenen Regionen - bei den Neuinfektionen wie auf den Intensivstationen - sind Sachsen mit einer Inzidenz von 491,3 vor Thüringen mit 427,5 und Bayern mit 316,2. In den drei Ländern liegt jeweils in rund jedem fünften Intensivbett ein Covid-19-Fall. Mehrere Landkreise in den Hotspot-Regionen haben laut Divi-Intensivregister nur noch wenige oder keine freien Intensivbetten mehr. In Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen seien Intensivstationen regional vereinzelt komplett ausgelastet, könnten aber noch innerhalb des Bundeslandes den Mangel an Intensivbetten ausgleichen, sagte Karagiannidis im WDR.
Verschärfte Corona-Regeln
Sachsen, Thüringen und Bayern reagieren mit einer Verschärfung der Corona-Regeln. In Sachsen etwa haben seit Montag nur noch Geimpfte oder Genesene Zugang zu vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, in Bussen, Bahnen und Taxis sind nun FFP2-Masken wieder Pflicht. In Thüringen gilt ab Montag in allen Kreisen und kreisfreien Städten eine Testpflicht an Schulen.
In Bayern haben jetzt nur noch Geimpfte, Genesene und Menschen mit negativem PCR-Test Zutritt zu Gasthäusern und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen. Außerdem muss generell wieder eine FFP2-Maske getragen werden. Mit dem Umspringen der Krankenhaus-Ampel wegen der hohen Zahl von mehr als 600 Patienten auf den Intensivstationen gelten ab Dienstag Verschärfungen der Zutritts- und Testregeln.
Angesichts einer sich zunehmend verschärfenden Lage auch in Baden-Württemberg rechnet das Sozial- und Gesundheitsministerium in Kürze mit der Ausrufung der sogenannten Alarmstufe, die drastische Einschränkungen für viele Ungeimpfte im Land nach sich zieht.
Aus mehreren Regionen kamen am Montag Hinweise, dass die Nachfrage nach Impfungen wieder steigt. Die bundesweite Inzidenz war zuletzt rasant gestiegen, sie hatte vor einer Woche bei 154,8 und im Vormonat bei 63,8 gelegen. Die meisten Nachweise (358,3 pro 100 000 und Woche) stammen von Kindern zwischen 5 und 14 Jahren - eine Altersgruppe, die größtenteils mangels Impfstoff-Zulassung noch nicht immunisiert werden kann.
Hohe Dunkelziffer vermutet
Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 15.513 Corona-Neuinfektionen. Das geht aus Zahlen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 04.15 Uhr wiedergeben. Deutschlandweit wurden den neuen Angaben zufolge binnen 24 Stunden 33 Todesfälle verzeichnet. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 4.782.546 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Dunkelziffer dürfte sich zuletzt vergrößert haben - das legt die auf 12 Prozent gestiegene Rate positiver Tests nahe.
Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen - den für eine mögliche Verschärfung der Corona-Beschränkungen wichtigsten Parameter - gab das RKI am Montag mit 3,93 an (Freitag: 3,91). Bei dem Indikator muss berücksichtigt werden, dass Krankenhausaufnahmen teils mit Verzug gemeldet werden. Ein bundesweiter Schwellenwert, ab wann die Lage kritisch zu sehen ist, ist für die Hospitalisierungsrate unter anderem wegen großer regionaler Unterschiede nicht vorgesehen. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit bei rund 15,5.
© dpa-infocom, dpa:211108-99-907581/5