Minsk/Kuznica/Berlin/New York (dpa)

Lukaschenko droht mit scharfer Antwort auf neue Sanktionen

| 11.11.2021 04:17 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Migranten versammeln sich an der belarussisch-polnischen Grenze an einem Feuer, um sich zu wärmen. Foto: Ramil Nasibulin/BelTA/AP/dpa
Migranten versammeln sich an der belarussisch-polnischen Grenze an einem Feuer, um sich zu wärmen. Foto: Ramil Nasibulin/BelTA/AP/dpa
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Tausende Menschen reisten mit Unterstützung aus Minsk an die Grenze zwischen Belarus und Polen. Die EU will mit Sanktionen dagegenhalten. Der belarussische Machthaber droht mit einer scharfen Reaktion.

Angesichts steigender Migrantenzahl an der östlichen EU-Außengrenze haben eine Reihe westlicher Staaten Belarus zum Einlenken aufgefordert.

Machthaber Alexander Lukaschenko instrumentalisiere Menschen, um Nachbarländer und die Außengrenze der Europäischen Union zu destabilisieren. Das teilten die USA, Großbritannien, Estland, Frankreich, Irland, Norwegen und Albanien am Donnerstag nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York mit. „Wir fordern die belarussischen Behörden auf, diese unmenschlichen Handlungen einzustellen und das Leben der Menschen nicht aufs Spiel zu setzen.“

Im Konflikt mit der EU um die Migranten in Belarus drohte Machthaber Alexander Lukaschenko im Fall neuer Sanktionen währenddessen mit einer scharfen Antwort. „Und wenn wir das Gas abstellen dorthin?“, sagte er in Minsk in einer Sitzung mit ranghohen Funktionären, darunter Militärs. Der Konflikt um Tausende Migranten in Belarus an der Grenze zu Polen, die in der EU Asyl beantragen wollen, spitzt sich seit Tagen zu. Die Europäische Union diskutiert angesichts der Eskalation, Belarus mit neuen Sanktionen zu belegen.

„Wir beheizen Europa, und sie drohen uns noch damit, die Grenze zu schließen“, reagierte Lukaschenko auch auf Erwägungen Polens, die Grenze zu Belarus komplett zu schließen, sollte die Führung in Minsk ihre Aktivitäten nicht einstellen. Durch Belarus verläuft ein Teil der wichtigen russisch-europäischen Pipeline Jamal-Europa. Über die Leitung wird allerdings nur ein geringer Teil des Gases aus Russland nach Europa transportiert. Die Hauptmengen fließen durch die Ukraine und durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1.

„Staatlich organisiertes Schlepperwesen“ in Minsk

Die Menschen würden in inakzeptabler Weise von der politischen Führung in Minsk instrumentalisiert, um politischen Druck auf die Europäische Union auszuüben, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag bei einem Treffen mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja in Berlin nach Angaben einer Sprecherin.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) warf Lukaschenko im Bundestag ein skrupelloses Spiel mit Menschenleben vor und drohte erneut mit Sanktionen - nicht nur gegen Belarus, sondern auch gegen beteiligte Transitländer und Fluggesellschaften: „Niemand sollte sich ungestraft an Lukaschenkos menschenverachtenden Aktivitäten beteiligen dürfen.“

Das neue EU-Sanktionsinstrument, das etwa gegen Fluggesellschaften oder Reiseveranstalter zum Einsatz kommen könnte, soll nach Angaben von Diplomaten bereits am kommenden Montag bei einem EU-Außenministertreffen formell beschlossen werden. Im nächsten Schritt könnten dann konkrete Strafmaßnahmen verhängt werden.

Migranten versuchen Grenzzaun zu zerstören

Die Lage an der östlichen EU-Außengrenze hat sich seit Wochenbeginn dramatisch verschlechtert, als Tausende Migranten sich von belarussischer Seite aus auf den Weg in Richtung EU machten. Mehrfach versuchten größere Gruppen laut polnischen Behördenangaben vergeblich, die Zaunanlage zu durchbrechen, mit der Polen sie von einem Grenzübertritt abhalten will.

In der Nacht zum Donnerstag habe eine größere Gruppe von mehr als 100 Migranten Soldaten mit Gegenständen beworfen und dann versucht, den Grenzzaun zu zerstören, twitterte das Warschauer Verteidigungsministerium. „Soldaten feuerten Warnschüsse in die Luft.“ Viele Angaben aus dem Grenzgebiet lassen sich nicht abschließend überprüfen, weil unabhängigen Journalisten bislang der Zutritt verwehrt wurde. Nach Angaben des Grenzschutzes in Belarus gelangten inzwischen weitere Schutzsuchende an die EU-Grenze. Insgesamt leben dort Tausende im Wald bei gefährlicher Kälte in Zelten.

Polen hat an der östlichen EU-Außengrenze Tausende Soldaten stationiert, die einen Durchbruch der Grenzanlagen verhindern sollen. Lukaschenko warf dem Nachbarland eine Militarisierung des Konflikts vor. Wegen der gespannten Lage fliegen in Belarus russische strategische Langstreckenbomber zur Grenzüberwachung. „Ja, diese Bomber sind in der Lage, Nuklearwaffen zu transportieren“, sagte er.

Merkel telefoniert erneut mit Putin

Wegen der wachsenden Spannungen um die Lage der Migranten in Belarus telefonierten der russische Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut miteinander. Es sei wichtig, die schwere Migrationskrise an den Grenzen von Belarus mit der EU auf Grundlage internationaler humanitärer Normen zu lösen, teilte der Kreml am Donnerstag nach dem Telefonat mit. Die Kanzlerin habe betont, „das belarussische Regime“ instrumentalisiere „wehrlose Menschen in einem hybriden Angriff gegen die Europäische Union“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Merkel und Putin hatten bereits am Mittwoch miteinander gesprochen. Der russische Präsident hat einen direkten Draht zu Lukaschenko. Russland drohen inzwischen selbst Sanktionen wegen der Lage in Belarus.

Am Donnerstag soll die Situation an der östlichen EU-Außengrenze auch den UN-Sicherheitsrat beschäftigen. Frankreich, Estland und Irland beantragten die Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums für den Nachmittag (Ortszeit) in New York, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitsratskreisen erfuhr. Der Rat soll hinter verschlossenen Türen tagen. Litauen wollte sich dort für die Schaffung eines humanitären Korridors für rückkehrwillige Migranten einsetzen.

Polens Regierung stellte sich derweil auf verstärkte Einsätze an seiner Grenze zu Belarus ein, wie der stellvertretende Innenminister Bartosz Grodecki sagte. Nach Sicherung eines großen Marsches zum Unabhängigkeitstag in Polen sollten am Abend weitere Sicherheitskräfte aus Warschau an die Grenze verlegt werden.

© dpa-infocom, dpa:211111-99-949615/8

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