Wien (dpa)
Corona-Streit: Österreich vertagt weitere Entscheidungen
Ein Abendlockdown für alle gleich nach dem Lockdown für Ungeimpfte? Darüber wird in Österreich gerade gestritten. Der Gesundheitsminister steht unter Druck.
Die angekündigte Zwischenbilanz zu den jüngsten Einschränkungen für Ungeimpfte in Österreich ist von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein vorerst vertagt worden.
Um einen Streit zwischen dem grünen Minister und dem konservativen Koalitionspartner über noch schärfere Maßnahmen nicht weiter eskalieren zu lassen, seien auch neue Gespräche zwischen Bund und Ländern über die Vorgehensweise erst am Freitag geplant, hieß es am Mittwoch bei einer Regierungssitzung. Am Abend kam aber dann doch noch ein deutliches Signal aus Mücksteins Ministerium: Die jüngsten Maßnahmen seien zu schwach, befand sein Prognose-Gremium in einem Bericht.
Die Expertinnen und Experten bewerteten insbesondere das Zugangsverbot für Ungeimpfte in der Gastronomie sowie die von der Regierung propagierten Auffrischungsimpfungen. „Das Bremspotenzial dieser Maßnahmen ist aber aktuell unzureichend, um kurzfristig eine nachhaltige Senkung der Inzidenzen herbeizuführen“, hieß es. Intensivstationen in westlichen Regionen würden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in zwei Wochen an ihre Auslastungsgrenzen stoßen.
Mückstein hatte am Wochenende nächtliche Ausgangsbeschränkungen für Alle ins Spiel gebracht und eine Evaluation der Pandemielage für Mittwoch angekündigt. Damit zog er die geballte Kritik der Kanzlerpartei ÖVP auf sich, die trotz steil steigender Infektionszahlen keine weiteren Beschränkungen für Geimpfte akzeptieren will. Auch die ÖVP-Ministerpräsidenten haben seit dem Wochenende fast gleichlautend gegen den Vorstoß Mücksteins argumentiert, der bis zu seinem Amtsantritt im April als Arzt gearbeitet hatte.
Kritik an Lockdown für alle
Es könne nicht sein, dass die Mehrheit der Geimpften. eingesperrt werde, nur weil eine ungeimpfte Minderheit unsolidarisch sei, sagte Tirols Landeschef Günther Platter (ÖVP) am Mittwoch. Ein neuer Lockdown für alle, wie ihn auch viele Mediziner fordern, würde die Anreizwirkung der jüngsten Maßnahmen zunichte machen. „Da geht dann jegliche Motivation für das Impfen verloren“, betonte Platter.
Zu Monatsbeginn war in der Alpenrepublik die 3G-Regel am Arbeitsplatz eingeführt worden. Firmen müssen überprüfen, ob ihr Personal geimpft, von Covid-19 genesen oder getestet ist. Am 8. November folgte die 2G-Regel für Lokale, Hotels und Veranstaltungen, wo Ungeimpfte keinen Zutritt mehr haben. Seit Montag sind Menschen ohne Impfschutz zu einem Lockdown verpflichtet.
Die Kontrolle des Lockdowns für Ungeimpfte sei gut angelaufen, hieß es aus dem Innenministerium. Für die verstärkten Polizeistreifen in Geschäften oder Lokalen gebe es eine „hohe Kooperationsbereitschaft und großes Verständnis“ in der Bevölkerung. Bei 15.000 Kontrollen am Montag seien etwa 120 Übertretungen geahndet worden.
Noch immer Rekordwerte
Durch die neuen Maßnahmen sind zwar die Impfzahlen in den vergangenen Tagen gestiegen, doch die Virus-Verbreitung. hat sich noch nicht verlangsamt. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen erreichte am Mittwoch einen Rekordwert. Binnen 24 Stunden wurden laut Behörden 14.416 Neuansteckungen verzeichnet. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 953 Fälle pro 100.000 Einwohner. Den stärksten Anstieg gab es erneut im Bundesland Oberösterreich, das eine besonders niedrige Impfquote hat.
Auch ohne eine offizielle Zwischenbilanz des Gesundheitsministers wurde diese Woche offensichtlich, dass das Pandemiemanagement nicht rund läuft. In mehreren Bundesländern gab es Probleme mit der Beschaffung und Auswertung von PCR-Tests, die viele ungeimpfte Arbeitnehmer seit kurzem regelmäßig vorweisen müssen. Außerdem näherten sich nicht nur in den stark betroffenen Regionen Salzburg und Oberösterreich viele Spitäler ihren Kapazitätsgrenzen.
Mehrere Bundesländer haben in den vergangenen Tagen mit Maßnahmen abseits von Lockdowns auf die hohen Inzidenzen reagiert: mit der Wiedereinführung der Maskenpflicht für Innenräume, mit dem Vorziehen von Auffrischungsimpfungen von sechs auf vier Monate nach dem Zweitstich und mit Impfungen für Kinder unter 12, obwohl noch keine EU-Freigabe vorliegt.
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