München (dpa)
Menschen in Deutschland fehlt Kontakt zu jüdischem Leben
Schakschuka im Restaurant oder ein Klezmerkonzert ist oft alles, was viele Deutsche mit jüdischem Leben verbinden. Fast jeder Zweite hatte laut einer Umfrage noch nie einen direkten Berührungspunkt.
Fast jeder zweite Deutsche ist noch nie mit jüdischem Leben in Berührung gekommen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).
In diesem Jahr, dem Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“, wurden 10.000 Bundesbürger ab 18 Jahren befragt.
Dabei zeigte sich, dass viele Menschen nur wenig über jüdisches Leben wissen. Insgesamt 46 Prozent der Befragten sagten, sie seien noch nie direkt mit jüdischem Leben in Kontakt gewesen. So gaben nur 18,7 Prozent an, durch die Schule etwas über jüdisches Leben erfahren zu haben, 17,9 Prozent hatten schon einmal eine Synagoge besucht.
Bundesweit fielen die Ergebnisse allerdings sehr unterschiedlich aus. Während durchschnittlich 16,6 Prozent der Umfrageteilnehmer angaben, jüdische Freunde oder Bekannte zu haben, sagten dies 35,2 Prozent der Befragten in Frankfurt und 33,1 Prozent in Berlin. In München waren es 29,4 Prozent - in Städten mit großen jüdischen Gemeinden also war auch die Wahrscheinlichkeit von Kontakten höher.
In ländlichen Regionen mit kleinen Gemeinden und ohne regelmäßige jüdische Kulturveranstaltungen dagegen war die Zahl der Menschen ohne jeden Bezug zu jüdischem Leben besonders hoch - im Kyffhäuserkreis (Thüringen) etwa waren dies 61 Prozent der Befragten, im Saale-Orla-Kreis (Thüringen) 63,2 Prozent und im Neckar-Odenwald-Kreis (Baden-Württemberg) 53 Prozent.
Mit einem Anteil von 55 Prozent verband mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer jüdisches Leben am ehesten mit politischen und historischen Ereignissen und einer entsprechenden Medienberichterstattung. So nannte fast jeder Fünfte (19,5 Prozent) den Holocaust, 14,2 Prozent der Befragten nannten Antisemitismus und Angriffe auf Juden und 21,9 Prozent die Politik im Nahen Osten und Israel als Wahrnehmung des jüdischen Lebens.
„Das ist ein trauriges Ergebnis und zeigt, dass in der Gesellschaft, etwa in Schulen, Bildungseinrichtungen oder den Medien mehr über jüdisches Leben und den Beitrag von Juden für unsere Gesellschaft vermittelt werden muss“, kommentierte der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz die Resultate der Umfrage.
„Die Umfrage zeigt, dass jüdisches Leben in Deutschland für viele abstrakt bleibt“, sagte Philipp Hildmann, Leiter des Kompetenzzentrums Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Interkultureller Dialog der Hanns-Seidel-Stiftung. „Statt Neugierde ist eine Distanz entstanden, die durch mehr Bildung und Wissensvermittlung dringend aufgelöst werden muss.“ Indem die Wahrnehmung eher auf den Nahostkonflikt als auf die in Deutschland lebenden jüdischen Menschen konzentriert sei, „wird man den hier lebenden Juden in keiner Weise gerecht“, so Hildmann.
„Über die positiven Beiträge des Judentums zur deutschen und europäischen Kultur ist nach wie vor viel zu wenig bekannt, und es ist selten ein Thema an Schulen oder in Medien“, bedauerte auch der Vorstand der Rabbinerkonferenz. „Das sind elementare Bausteine, um Distanzen und Vorurteile abzubauen, damit Unwissenheit oder Angst vor dem Fremden nicht länger in Antisemitismus, auf einem falschen Nahostnarrativ basierenden Israel-Hass oder gar in Gewalt gegen hier lebende Jüdinnen und Juden umschlagen, die seit 1700 Jahren ein untrennbarer Teil Deutschlands sind.“
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