Berlin (dpa)
Vom neuen Stil in der deutschen Politik
Andere Zeiten in der Politik bringen auch andere Bilder mit sich. Aber wie inszenieren sich die Mächtigen heute?
Vom Selfie bei Instagram bis zum Kostüm von Franziska Giffey: Nach den Wahlen im Bund und in Berlin ändert sich einiges - im Auftreten, in der Mode und im Stil. Das war in den vergangenen Wochen schon zu sehen.
„Die Gesichter der Gewinnerparteien inszenieren einen Wechsel, einen Neubeginn, für den sie mit ihrer Person und ihrem Stil einstehen“, sagt die Historikerin Claudia Gatzka über die sich bildende Ampelkoalition im Bund.
Deshalb - unter dem Aspekt der Gleichberechtigung von Frauen und Männern - erst einmal zum Äußeren von Olaf Scholz: Schließlich musste auch Angela Merkel mit Kabarettwitzen und ungebetenen Modetipps leben, bevor sie über die Jahre ihren eigenen Stil fand - mit Blazern, Haaren und der heute ikonischen Rautengeste der Hände.
Ihr wahrscheinlicher Nachfolger trägt das Haupt kahl rasiert, ohne Mogel-Scheitel über der Glatze. Der 63-Jährige hatte früher wuschelige Locken, was man sieht, wenn man „Olaf Scholz mit Haaren“ googelt. Seine abgewetzte Aktentasche hütet er seit Jahrzehnten. Als der Finanzminister mit der Tasche und mit einem über der Hose hängenden T-Shirt einst aus einem Flugzeug in Washington stieg, meinten manche: Scholz sieht aus wie das wandelnde Mathelehrer-Klischee. Ansonsten gibt es über die schnieken Anzüge und das Ruderoutfit, in dem der drahtige Scholz schon fotografiert wurde, nicht viel zu meckern.
Franziska Giffey und die Küchenrolle
Mit einer anderen (wohl) künftig Regierenden hält derweil ein ganz eigener Typus im Roten Rathaus in Berlin Einzug. Nach dem Parkett-König Klaus Wowereit und dem wenig auffälligen Michael Müller wird aller Voraussicht nach Franziska Giffey die neue Regierende Bürgermeisterin. Kostüme, konservative Kleider und Hochsteckfrisur, das hat die SPD-Politikerin schon als Verantwortliche im Brennpunkt Neukölln getragen, als sie sich darüber aufregen konnte, dass die Leute dort ihre alte Matratze gerne auf der Straße entsorgen.
Für Giffey ist das Outfit eine Frage der Haltung. Sie findet, in der Politik müsse man angemessen auftreten und nicht „wie frisch vom Campingplatz“, sagte Giffey in der Talkshow „Riverboat“. Auch für Berlin sei wichtig, dass „wir nicht so dahergeschlumpst kommen“.
Aber geht es denn andernorts im politischen Betrieb besonders lässig zu? Das lässt sich nicht klar beantworten. Die Garderobe von Grünen-Chefin Annalena Baerbock sieht sorgsam kuratiert aus, weit weg vom ohnehin überholten Wollsocken-Image ihrer Partei aus den 80ern. Ihr Kollege Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner fielen mit Dreitagebärten auf. Bei Habeck wünschte sich Designer Wolfgang Joop im „Spiegel“ eine Krawatte: „Es gibt Berufe, da erwarte ich eine gewisse Perfektion“, so Joop. Noch ein Hingucker: SPD-Jungstar Kevin Kühnert, der bei seiner ersten Rede im Bundestag den Kapuzenpulli gegen ein Sakko tauschte.
Und auch bei der CDU tut sich was, zumindest bei der Generation unter 50: Hendrik Wüst, der nach Armin Laschets Niederlage im Bund der neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wurde, kam demonstrativ mit Kinderwagen zum Landtag.
Instagram als neue Homestory
Einblicke ins Familienleben sind kein neues Phänomen: Früher sah man Willy Brandt beim Rasieren, Konrad Adenauer mit seinen Rosen. Und schon im Kaiserreich gab es private Fotos - etwa von Reichskanzler Bernhard von Bülow mit Hund. Heutzutage hat die klassische Homestory in der Presse als Format auf alle Fälle ausgedient, sagt die Freiburger Wissenschaftlerin Gatzka. Abgelöst wurde sie von Facebook und vor allem von Instagram. „Der wichtige Unterschied ist, dass die Storys dort nun stärker in der Hand der Politik und ihrer Berater liegen, nicht mehr in der Hand der Journalisten und Pressefotografen.“
Aber die Inhalte, die vermittelt werden, sind laut Gatzka natürlich ähnlich, und Politikerinnen und Politiker lassen die Öffentlichkeit in den sozialen Medien heute meist viel näher an sich heran als früher in den Homestorys.
Wie eine Indie-Band und ihre Fans
Merkel verzichtete zu Beginn auf Inszenierungen, sie galt als blass und gewann erst über die Jahre an Markenzeichen. Ihre Vorgänger Schröder und Vizekanzler Joschka Fischer waren ein Kontrast, sie inszenierten 1998 vor allem sich selbst und ihren Triumph, ließen sich dabei fotografieren, wie sie sich feierten - als „Männer in Machtpositionen“, wie Gatzka beobachtet.
Bei Scholz, Baerbock und Co. sei das völlig anders, bescheidener und demütiger, zumindest auf den ersten Blick. „Wirksam und machtvoll sind die Bilder von ihnen natürlich nicht minder. Aber sie drücken Dienstbeflissenheit aus, Fleiß, Dynamik, den Willen, es anpacken zu wollen.“ Das Foto der Ampelpolitiker auf dem Weg zu den Sondierungsgesprächen bringe das gut zum Ausdruck. „Sie sehen aus wie die Mitglieder einer Indie-Band, die gerade aus dem Flieger gestiegen sind und auf dem Weg sind zum Gig - zu ihren Fans.“
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