Kiew (dpa)
Nagelsmann: Impfstatus spaltet Bayern-Team nicht
In der schwierigen Corona-Lage wird die emotionale Impffrage unter den Bayern-Stars „kontrovers“ diskutiert. „Erzieher“ Nagelsmann fehlen in Kiew gleich acht Profis. Der Trainer wagt eine Prognose.
Beim Wettschießen mit Weltfußballer Robert Lewandowski wirkte Julian Nagelsmann beinahe so, als würde sich der Trainer des FC Bayern wegen des Münchner Corona-Dilemmas schon mal auf seinen Noteinsatz vorbereiten.
Acht Stars fehlten dem kickenden Coach bereits beim Abschlusstraining. Und zwei weitere wackeln für das Champions-League-Spiel bei Dynamo Kiew, zu dem die Münchner mit Pandemie-Problemen wie Quarantäne und Gehaltsärger reisen mussten.
Nagelsmann beschwört in kniffligen Zeiten den Teamgeist. „Ich glaube nicht, dass die Mannschaft daran zerbricht. Am Ende musst du daran wachsen und füreinander da sein“, sagte er über die Gefahr einer Spaltung beim Serienmeister wegen der größeren Quarantäne-Gefahren für ungeimpfte Spieler wie Joshua Kimmich. „Das ist eine Situation, an der man wachsen kann, und in der wir als Bayern München wachsen sollten.“
Ziel: Gruppensieg
Mit dem schon gebuchten Achtelfinal-Ticket im Gepäck düste die arg reduzierte Bayern-Reisegruppe per Sonderflieger ins Hochrisikogebiet Ukraine. Dort soll am Dienstag (18.45 Uhr/DAZN) kurz nach dem 1:2 im Liga-Alltag gegen den FC Augsburg der Gruppensieg in Europas Fußball-Königsklasse finalisiert werden soll. Selbst eine Niederlage könnte unter Umständen reichen, um Platz eins vorzeitig zu feiern.
Angesichts der sportlich geschmälerten Bedeutung fällt nach den Corona-Erkrankungen von Niklas Süle und Josip Stanisic, die am Wochenende gegen Arminia Bielefeld wieder dabei sein sollen, das quarantäne-bedingte Fehlen von Kimmich, Serge Gnabry, Jamal Musiala, Eric Maxim Choupo-Moting und Michael Cuisance in diesem isolierten Spiel nicht besonders schwer ins Gewicht. „Es ist nicht so, dass wir mit irgendeiner Thekentruppe anreisen“, verkündete Nagelsmann.
Zwei Wochen vor dem Bundesliga-Gipfel in Dortmund bringen die zum Teil aus einem Impfverzicht resultierenden Ausfälle dem Rekordmeister aber Schwierigkeiten. Und die können geimpften Profis im Ensemble nicht gefallen. Ihre Belastung steigt, während die dem Vernehmen nach mit Gehaltseinbußen belegten Quarantäne-Profis an Rhythmus verlieren.
Sané wirbt für Impfung
„Wir als Team wollen sie gerne dabei haben“, sagte Leroy Sané. Als Gesicht einer Impfkampagne warb der Nationalspieler offensiv für den Corona-Piks. Einen Teil seiner Teamkollegen erreichte er damit ebenso nicht wie auch nicht in Gesprächen über das Reizthema. „Im Endeffekt respektiere ich deren Entscheidung“, sagte Sané.
Etwas anderes bleibt Mitspielern und Club nichts übrig. Wenngleich der Verein durch die kolportierten Gehaltskürzungen für Spieler in Quarantäne versucht, den Druck auf die Impfzauderer zu erhöhen. „Am Ende ist es immer schöner, wenn es ruhig ist und sportlich läuft. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir diese Themen drumherum zu sehr auf das Sportliche projizieren“, mahnte Nagelsmann drei Tage nach dem ärgerlichen Ausrutscher in Augsburg. „Es sind jetzt keine Dinge, die unseren sportlichen Erfolg extrem gefährden.“
Die aktuelle Bayern-Situation verdeutlicht gleichwohl abseits von allen gesellschaftlichen Debatten die Bredouille, in die ungeimpfte Spieler einen Club bringen können. „Am Ende ist es immer Auszeichnung eines Teams oder einer Gruppe, dass man nicht immer einer Meinung sein muss, sondern diese Themen kontrovers diskutieren darf. Das machen unsere Spieler garantiert“, sagte Nagelsmann zur Impffrage.
Debatte um 2G-Regel
Sogar das Gedankenspiel um eine eigene Trainingsgruppe für Kimmich und Co. geistert inzwischen durch München. Die öffentlich genau beäugte Bayern-Lage befeuert auch die Debatte, ob es eine 2G-Regel für Fußball-Profis geben sollte. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert hatte betont, dass man im Falle von rechtlichen Möglichkeiten durch die Politik „für eine Impf-Pflicht in bestimmten Berufsgruppen“ eine solche Option „umgehend intensiv“ diskutieren werde.
Neben den sieben Corona-Ausfällen müssen die Münchner, die nach vier Siegen in vier Spielen mit 17:2 Toren im Olympiastadion von Kiew Erfolg Nummer fünf anpeilen, auch noch auf den gelbgesperrten Dayot Upamecano verzichten. Die Einsätze der angeschlagenen Kingsley Coman und des möglichen Kimmich-Ersatzes Marcel Sabitzer sind fraglich.
„Es ist auch smart, mal eine kleinere Gruppe mit direkter Ansprache zu haben“, sagte Nagelsmann über sein übersichtliches Aufgebot - und scherzte mit einem Kindergartenvergleich. „Wenn man eine Erzieherin fragen würde, ist ein Betreuungsschlüssel von 1:15 besser als 1:22.“ Für eine „gewisse Zeit“ sei das okay, scherzte Nagelsmann.
Kiew noch mit Chancen
Kurzfristig sieht auch Sané in der Quarantäne-Problematik noch kein größeres Gefahrenpotenzial für die Saisonziele. Aber in den Köpfen spuken sie wohl schon herum. „Man muss schauen, was in Zukunft passiert, wenn die größeren und wichtigeren Spiele dann auf einen zukommen. Aber im Moment ist es ja noch nicht so weit“, sagte der seit Wochen starke Offensivspieler mit dem Blick ins Jahr 2022.
Dynamo Kiew hat nach der 0:5-Hinspielklatsche und erst einem Punkt auf dem Konto immer noch Chancen, die Bayern in die K.o.-Runde zu begleiten. Schwung geben das jüngste 6:1 bei Tschornomorez Odessa und Rang eins in der Liga. Abseits des Sportlichen scheint die Ukraine den Scheitelpunkt der aktuellen Corona-Welle hinter sich gelassen zu haben. Neuinfektionen und Hospitalisierungszahlen sind seit einer Woche rückläufig.
Die voraussichtlichen Aufstellungen
Dynamo Kiew: Buschtschan - Kedziora, Syrota, Sabarnyj, Mykolenko - Schaparenko, Buyalskyi, de Pena - Sydortschuk, Zyhankow - Harmasch
FC Bayern München: Neuer - Pavard, Nianzou, Hernández, Davies - Tolisso, Goretzka - Coman, Müller, Sané - Lewandowski
Schiedsrichter: Meler (Türkei)
© dpa-infocom, dpa:211122-99-97529/4