Warschau/Brusgi (dpa)
Polens Grenzschutz: Noch etwa 10.000 Migranten in Belarus
Seit Wochen gibt es keine Lösung für den Konflikt an der polnischen Grenze zu Belarus. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko will das „Problem“ bald lösen.
In Belarus halten sich nach Einschätzung des polnischen Grenzschutzes weiterhin rund 10.000 Migranten auf, die in die EU gelangen möchten.
„Wir wissen nicht, wie viele von ihnen direkt an der Grenze sind, und wie viele in der Tiefe des Landes“, sagte eine Sprecherin der Behörde am Dienstag. Direkt an der polnischen Grenzbefestigung gebe es auf belarussischer Seite derzeit keine Zeltlager mehr. Jedoch würden belarussische Sicherheitskräfte regelmäßig Flüchtlinge mit Lastwagen zur Grenze bringen.
Den Angaben zufolge registrierten die Grenzschützer innerhalb von 24 Stunden 134 Versuche, die Grenze zu überwinden. Am frühen Dienstagmorgen habe in der Nähe der Ortschaft Szudzialowo eine größere Gruppe „aggressiver Ausländer“ Steine, Metallstangen und Feuerwerkskörper auf die polnischen Beamten geworfen. Ein weiterer solche Vorfall ereignete sich in der Nähe der Ortschaft Mielnik.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sagte der russischen Staatsagentur Ria Nowosti, er habe der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel bei einem Telefonat gesagt, er wolle das „Problem“ bis Jahresende lösen. „Die Leute treiben sich mal in Minsk, mal in Grodno herum.“ Er werde die Leute aus dem Nahen Osten bitten, in die Heimat zurückzukehren, „weil es keinen humanitären Korridor geben wird“. Er hatte zuletzt mehrfach Deutschland zur Aufnahme Tausender Migranten aufgefordert.
Unterdessen wurde ein geplanter weiterer Rückführungsflug von Irakern aus Belarus kurzfristig abgesagt. Die Maschine der irakischen Fluggesellschaft Iraqi Airways sollte am frühen Nachmittag nach Erbil aufbrechen, wie der Flughafen in Minsk im Nachrichtenkanal Telegram mitteilte. Warum der Flug nicht stattfand, wurde nicht gesagt. Erst am vergangenen Wochenende waren Hunderte an der EU-Außengrenze gestrandete Migranten zurück in ihre Heimat geflogen worden.
An der Notunterkunft in einer Logistikhalle in Brusgi direkt an der Grenze zu Polen harrten weiter viele Menschen aus. Viele benötigten medizinische Hilfe. Nach Angaben der belarussischen Staatsagentur Belta wurde nun eine kleine Krankenstation eröffnet. Die Notfallversorgung sei dort nun rund um die Uhr gewährleistet.
Seit Wochen versuchen Tausende Migranten und Flüchtlinge, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Die EU wirft dem autoritären belarussischen Machthaber vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen und so die Lage im Westen zu destabilisieren. Die EU-Staaten hatten Stacheldrahtzäune errichtet, um die Migranten aufzuhalten.
Polens Parlament stimmte indessen einem Gesetz zum Schutz der Grenze zu, das eine zeitweise Einschränkung der Bewegungs- und Pressefreiheit an der EU-Außengrenze zu Belarus möglich macht. Eine klare Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Dienstag in Warschau für die Änderungen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Wenig später wurde das Gesetz von Präsident Andrzej Duda unterschrieben und im amtlichen Anzeiger veröffentlicht. Damit ist es in Kraft. Es gilt auch für die polnischen Grenzgebiete zu Russland und der Ukraine.
Polen hatte Anfang September für einen Streifen von drei Kilometern entlang der Grenze zu Belarus den Ausnahmezustand verhängt. Ortsfremde, Journalisten und Hilfsorganisationen dürfen seitdem nicht in diese Zone. Deshalb lassen sich Angaben der polnischen Sicherheitskräfte dazu, was sich dort abspielt, nicht unabhängig überprüfen. Der Ausnahmezustand läuft am Dienstag um Mitternacht aus und kann laut Verfassung nicht mehr verlängert werden.
Die Änderung sieht nun vor, dass künftig der Innenminister bei einer Gefahrenlage allen Ortsfremden den Zugang zu einem von ihm definierten Grenzgebiet verbieten kann. Über Ausnahmen - besonders für Journalisten - soll der örtliche Grenzschutz entscheiden. Innenminister Mariusz Kaminski kündigte per Kurznachrichtendienst Twitter an, noch am Dienstag einen Erlass zu verabschieden, der Ortsfremden den Zugang zur Grenzregion zu Belarus vorübergehend verbiete.
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