Berlin (dpa)
Im Bevölkerungsschutz stehen die Zeichen auf Veränderung
Fluten, Dürren, große Waldbrände, Pandemien und Hacker-Angriffe: Bis vor einigen Jahren wurde, wer vor solchen Gefahren warnte, meist als Schwarzseher verlacht. Das ist heute nicht mehr so.
Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, plädiert dafür, die Ressourcen des Bundes stärker als bisher zur Bewältigung von Naturkatastrophen, Gesundheitskrisen und anderen Gefahren zu nutzen.
Dafür gibt es Rückenwind von der neuen Bundesregierung. Und unter dem Eindruck der Herausforderungen der Corona-Pandemie steigt auch die Bereitschaft der sonst stets vor allem auf die Wahrung ihrer Zuständigkeiten bedachten Länder, hier neue Wege zu gehen.
Denn dass Deutschland auf Pandemien, Flutkatastrophen und Hackerangriffe gegen Einrichtungen der kritischen Infrastruktur nicht gut vorbereitet ist, haben die vergangenen zwei Jahre wohl deutlich gezeigt. Erst ging der bundesweite Warntag schief. Dann fehlten medizinische Masken und Schutzanzüge. Im vergangenen Juli starben mehr als 180 Menschen, als sich kleine Flüsse und Bäche nach Starkregen in reißende Fluten verwandelten.
Aufgabenteilung überholt
Bisher sind die Aufgaben laut Grundgesetz so verteilt, dass sich Länder und Kommunen um den Katastrophenschutz in Friedenszeiten kümmern, während der Bund Vorkehrungen für den Schutz der Bevölkerung im Fall eines militärischen Angriffs trifft. Diese strikte Trennung erscheint manchen inzwischen überholt.
Deutschland brauche „ein nationales Krisenkommando“, und zwar auch in Friedenszeiten, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) Anfang Dezember bei der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern in Stuttgart. Er sei ohnehin überzeugt, „dass die Trennung von Zivil- und Katastrophenschutz sich überlebt hat“.
Beim BBK in Bonn kommt das gut an. „Solange das BBK sich ausschließlich auf das hypothetische Ereignis eines Verteidigungsfalls ausrichten muss und Länder und Kommunen in Friedenszeiten nur im Wege der Amtshilfe unterstützen darf, bleiben wir hinter unseren Möglichkeiten zurück“, sagt BBK-Präsident Schuster. Er fände es besser, wenn die Frage, ob der Bund in einer Krise aktiv wird oder nicht, vom Ausmaß und den Folgen der jeweiligen Krise abhängen würde - nicht davon, wer oder was sie ausgelöst hat.
Zumal die Ursache bei einigen denkbaren Katastrophenszenarien auf den ersten Blick nicht unbedingt gleich feststellbar ist. Schuster nennt ein Beispiel: „Bei einem großflächigen Cyberangriff auf die Stromversorgung ist es nicht so einfach zu trennen, wenn erst einmal gar nicht klar ist, ob ein ausländischer staatlicher Akteur oder eine kriminelle Bande dahinter steckt.“
Gemeinsames Kompetenzzentrum forciert
Horst Seehofer (CSU), der das Bundesinnenministerium am vergangenen Mittwoch an seine Nachfolgerin Nancy Faeser von der SPD übergeben hat, war zwar generell für eine Neuausrichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und hat ein Bundes-Förderprogramm für Sirenen mit auf den Weg gebracht. Die Zuständigkeiten mit einer Verfassungsänderung neu zu regeln, lehnte er aber strikt ab. Stattdessen trieb er gemeinsam mit Schuster die Einrichtung eines Gemeinsamen Kompetenzzentrums von Bund und Ländern beim BBK voran.
In diesem Zentrum, für das die Innenminister inzwischen eine Verwaltungsvereinbarung getroffen haben, sollen im Normalbetrieb jeweils fünf Expertinnen und Experten aus den Ländern und vom Bund zusammenarbeiten, möglicherweise ergänzt durch Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, der Feuerwehr und von Hilfsorganisationen. In kleiner Runde sollen dann in Bonn Risikoanalysen, Lagebilder und Präventionskonzepte entwickelt werden. Im Krisenmodus kämen weitere Partner hinzu. Bei einer Gesundheitskrise beispielsweise das Bundesgesundheitsministerium und das Robert Koch-Institut.
Was noch fehlt, ist eine Vereinbarung, mit der die Finanzierung des Zentrums geregelt wird. Schuster sieht da aber keine großen Hürden. Er rechnet mit einem Start des Zentrums im kommenden Frühjahr.
Neues Kapitel aufgeschlagen
Mit dem geplanten Kompetenzzentrum von Bund und Ländern werde im Bereich der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr „ein völlig neues Kapitel“ aufgeschlagen, sagt Schuster, der früher einmal bei der Bundespolizei war und von 2009 bis 2020 als CDU-Abgeordneter dem Bundestag angehörte. Im Vergleich zu anderen Bund-Länder-Kooperationen, etwa dem Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum, vollziehe sich diese Reform jetzt „in einer wirklich unglaublichen Geschwindigkeit“.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: „Der Bund muss mehr Verantwortung für den Bevölkerungsschutz übernehmen. Daher richten wir das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BBK) neu aus, entwickeln es unter Berücksichtigung der föderalen Kompetenzverteilung zur Zentralstelle weiter und stellen es entsprechend personell und materiell auf.“
Der SPD-Innenpolitiker und Katastrophenschutz-Experte Sebastian Hartmann plädiert außerdem dafür, dass nach Übungen für den Katastrophenfall künftig eine stärkere Verbindlichkeit herrschen soll. „Zum Beispiel, dass man zwei Jahre nach einer Übung schaut, ob die notwendigen Mittel beschafft und die empfohlenen Vorkehrungen getroffen wurden.“ Denn eine Bund-Länder-Übung dazu, was in einer Pandemie zu tun wäre, gab es vor Jahren. Nur wurden die dabei erkannten Defizite in den Ländern anschließend nicht behoben.
Alleine auf den Staat solle sich niemand verlassen, mahnt Hartmann. Er sagt: „Selbstschutz ist wichtig. Doch, Hand aufs Herz, wer hält sich an die Empfehlungen, zum Beispiel an die, immer ausreichend Wasser zu kaufen und daheim zu lagern?“
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