Berlin (dpa)
Lauterbach optimistisch: „Werden Rückgang der Fälle sehen“
Ist doch ein Lockdown nötig - oder reichen die beschlossenen Beschränkungen spätestens zum 28. Dezember? Der Bundesgesundheitsminister sieht Chancen, dass die schlimmsten Szenarien noch abzuwenden sind - trotz der rasanten Verbreitung der Omikron-Mutante.
Deutschland kann nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine erneute Verschlimmerung der Corona-Pandemie durch die hoch ansteckende Omikron-Variante noch abwenden - auch ohne neuen Lockdown.
„Da bin ich zuversichtlich“, sagte Lauterbach am Mittwoch in Berlin. Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnte vor einer Überlastung des Gesundheitssystems und einer Beeinträchtigung kritischer Versorgungsstrukturen, sollte die Omikron-Welle nicht gebremst werden können. Wieler betonte, dass jeder Einzelne gefragt sei, etwa seine Kontakte zu reduzieren.
Lauterbach sagte, die Bund-Länder-Beschlüsse vom Vortag beschleunigten nun zusätzlich das Absinken der Infektionsfälle. „Wir werden einen weiteren Rückgang der Fälle sehen, und wir werden in dieser Zeit die Booster-Kampagne fahren“, so Lauterbach. „Somit versuchen wir, eine besonders schwere Omikron-Welle noch abzuwenden.“
Ganz grundsätzlich könnten aber keine weiteren staatlichen Beschränkungen ausgeschlossen werden. Eine Absage erteilte Lauterbach zum jetzigen Zeitpunkt aber etwa Forderungen, die epidemische Notlage als Basis für noch weiter reichende Corona-Einschränkungen wieder einzuführen.
Wieler betonte: „In den vergangenen Wochen waren die Fallzahlen rückläufig, aber leider ist das noch kein Zeichen für eine Entspannung.“ Eine Inzidenz von fast 300 bundesweit sei immer noch zu hoch, viele Kliniken seien am Limit. Durch Omikron sei mit einer Infektionswelle mit noch nicht gesehener Dynamik zu rechnen.
Wüst: Impfpflicht unerlässlich
Nach den Worten des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) wird Deutschland um eine Impfpflicht nicht herumkommen. Eine „Dauerschleife“ von Lockerungen und Lockdowns müsse vermieden werden, sagte Wüst am Mittwochabend in einem vorab aufgezeichneten Interview der ARD-„Tagesthemen“. „Da müssen wir raus. Deswegen ist die Impfpflicht unerlässlich.“
Wüst, der derzeit auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist, sprach von einer sehr erfolgreichen Impfkampagne. Mt Blick auf die Quote der Geimpften fügte er jedoch hinzu: „Wir kämpfen natürlich nicht um 75, 80 Prozent. Wir brauchen 90, 95 Prozent und am besten mehr.“
Ziel sei, nun auch Menschen zu überzeugen, die sich bislang nicht angesprochen fühlten. „Ich glaube schon, dass wir mit guten Argumenten auch in diesen Wochen immer noch Menschen erreichen.“ Das Problem seien aber die letzten zehn Prozent. Für die werde man an einer Impfpflicht nicht vorbeikommen, „und wir brauchen sie zügig“. Die Bundesregierung müsse jetzt Tempo machen, forderte der CDU-Politiker.
Bund und Länder hatten am Vortag beschlossen, dass spätestens ab 28. Dezember private Zusammenkünfte für Geimpfte und Genese nur noch mit maximal zehn Personen erlaubt sind, Großveranstaltungen wieder vor leeren Rängen stattfinden müssen und Clubs und Diskotheken geschlossen werden. Die Beschlüsse sind die Reaktion auf eine Stellungnahme des neuen Expertenrats der Regierung zu Omikron, der vor einer „explosionsartigen“ Verbreitung der Omikron-Variante gewarnt hatte.
Für Aufsehen hatte gesorgt, dass das RKI noch eine eigene Stellungnahme veröffentlicht hatte. Deutschlands oberste Seuchenbehörde forderte darin auch sofortige Restaurantschließungen und eine Verlängerung der Weihnachtsferien - was die Regierungen von Bund und Ländern aber nicht aufgriffen.
Wieler sagte, er sehe „keinerlei Widerspruch“ des RKI-Papiers zu der Vorlage des Expertenrats. Die Bund-Länder-Beschlüsse lobte er als „stringent“. Sie würden das Infektionsgeschehen verlangsamen. Um eine Bewertung der Beschlüsse gebeten, erläuterte Wieler zu seiner Rolle als RKI-Chef: „Ob ich zufrieden oder unzufrieden bin, ist völlig irrelevant.“ Lauterbach bestätigte, er sei von den RKI-Empfehlungen überrascht worden. „Da wird die Abstimmung noch optimiert werden.“
Omikron-Verbreitung unklar
Wie stark Omikron derzeit verbreitet ist, ist unklar. In Deutschland seien bisher rund 540 Omikron-Fälle und rund 1850 Verdachtsfälle ans RKI übermittelt worden, sagte Wieler. Diese Daten seien überwiegend ein bis zwei Wochen alt. „Der Trend ist glasklar: Bei einer Verdopplungszeit von etwa drei Tagen könnte die neue Variante in den nächsten ein, zwei, spätestens drei Wochen bereits die Mehrzahl aller Infektionsfälle in unserem Land ausmachen.“ Über die Feiertage und den Jahreswechsel wird die Infektionslage laut Wieler dabei unvollständig in Meldedaten abgebildet werden. Dies sei etwa durch Urlaube, geschlossene Arztpraxen, weniger Tests und entsprechend auch weniger Erreger-Nachweise zu erklären.
Wieler und Lauterbach appellierten an die Menschen, Weihnachten im kleinen Kreis zu verbringen. „Das Weihnachtsfest soll nicht der Funke sein, der das Omikron-Feuer entfacht“, sagte der RKI-Chef. Lauterbach sagte, zwar seien die Weihnachtstage keine besondere epidemische Herausforderung. Besondere Vorsicht sei aber geboten etwa bei Zusammenkünften zum Fest. „Ich rate allen, sich vorher zu testen.“ Bevorzugt solle man mehrere Test hintereinander machen. „Kleine Gruppen sind besser als große Gruppen“, betonte Lauterbach zudem.
Die Auffrischungsimpfungen gegen Corona will Lauterbach auch über Weihnachten und den Jahreswechsel im vollen Tempo vorantreiben. Zusätzlich zu den bis Ende des Jahres angepeilten 30 Millionen Booster-Impfungen seit Mitte November sollen bis Ende Januar 30 Millionen weitere hinzukommen. Damit könne die Ausbreitung des Virus „dramatisch“ entschleunigt werden. Für die Zeit zwischen dem 24. Dezember bis zum 9. Januar sollen Ärzte und Apotheker für eine Impfung durchgehend den Feiertagssatz von 36 Euro statt 28 Euro erhalten. Verwendet werden soll vor allem der Moderna-Impfstoff.
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, nannte es „realistisch“, das Impfziel bis Weihnachten zu erreichen. „Wir impfen über sechs Millionen Menschen jede Woche.“ Zwei von drei Impfungen fänden in den Praxen statt. 84.000 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte beteiligten sich am Impfen - zur Hälfte Haus- und zur Hälfte Fachärzte.
Minister Lauterbach geht davon aus, dass eine vierte Corona-Impfung nötig sein wird. Der SPD-Politiker sagte auf eine entsprechende Nachfrage, man wisse nicht, wie lange der Booster-Schutz bei der neuen Omikron-Variante anhalte. Möglicherweise sei der Impfschutz „nicht allzu dauerhaft“. „Darauf sind wir vorbereitet und haben spezifischen Omikron-Impfstoff gekauft beim Unternehmen Biontech“.
Lauterbach sprach von insgesamt 80 Millionen Dosen, mit denen ab April oder Mai gerechnet werde. Zusätzlich solle auch wieder Moderna-Impfstoff beschafft werden, damit eine Auswahl angeboten werden könne. „Aber ich würde persönlich als Wissenschaftler davon ausgehen, dass wir davon ausgehen müssen, dass eine sogenannte vierte Impfung, das wäre es dann ja, dass die notwendig sein wird.“
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