Berlin (dpa)

Heil will stabile Renten ohne Kostenschub

Basil Wegener und Fatima Abbas, dpa
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Von Basil Wegener und Fatima Abbas, dpa
| 13.01.2022 04:57 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, im dpa-Interview. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, im dpa-Interview. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
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Steuert Deutschland im Blindflug auf eine Rentenkrise zu? Der Arbeitsminister stemmt sich gegen „Horrorszenarien“ - aber bekommt im Bundestag heftig Kontra.

Streit um die Zukunft der Rente: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hält stabile Renten auch in Zukunft ohne ausufernde Kosten für erreichbar.

„Die entscheidende Schlacht zur Stabilisierung der Rente findet am Arbeitsmarkt statt“, sagte Heil der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Im Bundestag rief der Rentenkurs der Ampelkoalition aber heftige Kritik hervor: Die Union warnte vor höheren Beiträgen und einer Gefahr für die Jobs in Deutschland.

Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe (CDU) mahnte: „Steigende Beiträge gefährden Arbeitsplätze und belasten gerade die Bezieher kleinerer Einkommen.“ Sozialexperte Stephan Stracke (CSU) kritisierte: „Das was Linksgrün tut, ist zu wenig, es ist falsch, und es reicht nicht, um die Rente zu sichern.“ Die AfD warf der Regierung vor, das Ziel fairer Renten zu verfehlen.

Heil betonte hingegen: „Die Stabilisierung der gesetzlichen Rente ab 2025, also in der Zeit, in der die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten Babyboomer verstärkt in Rente gehen, gelingt nicht allein über Beiträge und Steuergeld.“ Nötig sei es, möglichst viele Menschen im erwerbsfähigen Alter in gut bezahlter Arbeit zu haben. Im Plenum ließ sich der Minister vertreten, weil er sich nach Kontakt zu einer positiv auf Corona getesteten Person in Quarantäne begeben hatte.

Das Problem mit den Babyboomern

Ein Blick auf den Altersaufbau der Bevölkerung nach den Daten des Statistischen Bundesamts zeigt das Zukunftsproblem der Rente deutlich: Heute sind die stärksten Jahrgänge im Alter zwischen 55 und 60 - und somit oft noch mitten im Arbeitsleben. Mit ihrem Übertritt in die Rente verschiebt sich der Aufbau. 2035 sind die stärksten Jahrgänge um die 70 Jahre - und zählen dann in der Regel zu den Empfängern von Überweisungen aus der Rentenkasse. 

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte der Politik deshalb zum Jahreswechsel „unterlassene Reformen“ und einen „kompletten Blindflug“ vorgeworfen. Die Rechnung der Spitzenfunktionäre der Wirtschaft ist: Wenn das Rentenniveau wie von der Ampel angekündigt bei 48 Prozent gesichert und auf eine Anhebung des Alters für den Renteneintritt verzichtet werden soll, wären höhere Beiträge oder mehr Steuersubventionen die Folge. Schon heute fließen mehr als 100 Milliarden Euro vom Bund in die Rentenkasse. 

Heil verspricht „Doppelstrategie“

Heil verteidigte die Rentenpläne hingegen als „Doppelstrategie“. „Wir stabilisieren die Alterssicherung finanziell, auch durch den Aufbau des Kapitalstocks.“ So will die Ampelkoalition mit zunächst zehn Milliarden Euro im neuen Jahr in die Kapitalbildung bei der Rentenkasse einsteigen. „Und wir werden gleichzeitig am Arbeitsmarkt unsere Hausaufgaben machen“, sagte Heil. 

Auch zwischen 2025 und 2040 solle es fair zwischen den Generationen zugehen und das Alterssicherungssystems stabil bleiben. „Das kann uns gelingen - und zwar ohne Horrorszenarien und ohne die gesetzliche Rente kaputt zu reden, wie das einige Ideologen schon seit Jahren versuchen“, sagte Heil. 

Schmalere Rentenerhöhung im Juli

Zunächst einmal - rechtzeitig vor der nächsten Rentenerhöhung am 1. Juli - will Heil den Nachholfaktor reaktivieren, wie er sagte. Mit dieser bereits angekündigten Änderung der Berechnung soll die Rentenerhöhung dieses Jahr etwas kleiner ausfallen als ursprünglich vorhergesagt. Dennoch werde es nach all dem, was bisher geschätzt werde, in diesem Jahr „eine kräftige Rentenerhöhung“ geben, sagte Heil. Den Nachholfaktor bezeichnete der Minister als Ausgleich dafür, „dass es im Jahr 2021 trotz Corona-Einbruch keine Rentenkürzung gab“. Tatsächlich hatte eine geltende Rentengarantie vergangenes Jahr für eine Nullrunde gesorgt. 

Die Rentenentwicklung folge weiter der Lohnentwicklung, betonte Heil. „In diesem Sommer dürfte das nach jetzigem Stand eine Steigerung über vier Prozent sein.“ Ende November hatte Heil 4,4 Prozent genannt. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte der dpa: „Eine wirklich kräftige Rentenerhöhung, wie sie der Minister jetzt versprochen hat, kann es aber nur geben, wenn die Ampel den Nachholfaktor nicht wieder aktiviert, damit die Renten wieder der Lohnentwicklung folgen.“ Die endgültige Höhe der Anpassung steht erst im Frühjahr fest.

„Echte Reform dringend notwendig“

Der Vorsitzende der Unions-Arbeitnehmergruppe Axel Knoerig (CDU) sagte, die von Heil angekündigte „kräftige Rentenerhöhung“ werde es zwar geben. „Ironie dabei: Die Preise steigen und steigen, und die Regierung dreht Däumchen.“ Der CDU-Sozialpolitiker Gröhe kritisierte den zunächst auf zehn Milliarden Euro begrenzten Kapitalstock als „bei weitem“ nicht ausreichend, um einen Anstieg des Beitrags - heute 18,6 Prozent - künftig zu verhindern. „Hier darf nicht zu kurz gesprungen werden.“ Aus der Ampelkoalition wurde Heil aufgefordert, bei den Reformen Tempo zu machen. Ohne teilweise Kapitaldeckung sei die Rente nicht generationengerecht zu finanzieren, sagte der FDP-Sozialexperte Pascal Kober der dpa: „Deshalb muss hierfür schnell ein Konzept erarbeitet werden.“ 

Mehr Menschen zahlen in die Rentenkasse ein

Heils Argument, dass es vor allem auf den Arbeitsmarkt ankommt, wurde von der Rentenversicherung ein Stück weit untermauert. Zumindest in den vergangenen Jahren führten entsprechende Entwicklungen „zu steigenden Einnahmen in der Rentenversicherung“, wie ein Sprecher sagte. So stieg der Anteil der versicherungspflichtig Beschäftigten zwischen 60 und 64 nach Daten der Rentenversicherung von 2000 bis 2019 von 10 auf 42 Prozent. Die Zahl der Versicherungsjahre stieg binnen 20 Jahren von im Schnitt 27,7 auf 36,3 Jahre - auch wegen stärkerer Erwerbsbeteiligung von Frauen. Die Zahl der Ausländer in der deutschen Rentenversicherung stieg stark von 2,8 Millionen 2000 auf 6,8 Millionen 2019.

© dpa-infocom, dpa:220113-99-688391/5

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