Hamburg (dpa)
Von St. Pauli bis Werder: Aufstiegs-Thriller geht weiter
Die 2. Liga setzt am Wochenende ihr Aufstiegsrennen fort. Bislang halten St. Pauli und Darmstadt die Topplätze besetzt. Damit können sich vor allem der HSV, Schalke und Bremen aber nicht anfreunden.
Was der Fußball-Bundesliga weitgehend fehlt, gibt es eine Etage tiefer Woche für Woche: die Spannung auf den Spitzenplätzen.
Wer eine schnelle Rückkehr der Bundesliga-Absteiger Schalke 04 und Werder Bremen erwartet hatte, zweifelt und bangt vor dem Zweitliga-Start ins Jahr 2022. Der FC St. Pauli, letztmals in der Saison 2010/2011 erstklassig, steht nach 18 Spielen auf Platz eins vor dem Überraschungsteam Darmstadt 98.
Dahinter reihen sich die Schwergewichte wie der Hamburger SV (3.), Schalke (4.) und Bremen (7.) ein. Nicht chancenlos sind der 1. FC Nürnberg (5.), der 1. FC Heidenheim (6.), Jahn Regensburg (8.) und der SC Paderborn (9.). Wie ist die Lage bei den Top-Kandidaten vor der Fortsetzung der Saison am Wochenende?
FC St. Pauli (1./36 Punkte, 37:23 Tore)
Der FC St. Pauli ist zusammengewachsen und deutlich stabiler als in den Vorjahren. Trainer Timo Schultz, der gerade seinen Vertrag verlängerte, hat die Mannschaft vom Abstiegskandidaten zum Tabellenführer veredelt. Er sieht den Kiezclub weiter als Underdog im Aufstiegsrennen, prophezeit aber für die Rückrunde: „Ich glaube nicht, dass wir einbrechen werden.“ Sollten es die Kiezkicker in die Bundesliga schaffen, wäre es eine Rückkehr in die Erstklassigkeit nach elf Jahren. Bisher haben sie den Aufstieg fünfmal geschafft.
Das Team lebt von der Heimstärke: acht Spiele, acht Siege. Auswärts ist es eher Mittelmaß: zehn Spiele, drei Siege. Intensiviert wurde in der Winterpause das Spiel gegen den Ball, wo Schultz Defizite sieht. St. Pauli baut auf die Erfolgsgaranten wie Torjäger Guido Burgstaller (14 Tore) und Daniel-Kofi Kyereh (5 Tore/10 Vorlagen), einen der Top-Offensivspieler der Liga. Er startet vorerst aber mit Ghana beim Afrika-Cup. Vom Stadtnachbarn HSV will Schultz „nichts lernen“, meint aber großzügig: „Ich hätte auch nichts gegen einen Doppel-Aufstieg.“
SV Darmstadt 98 (2./35 Punkte, 41:20 Tore)
Zwischen 2013 und 2015 stiegen die „98er“ von der 3. bis in die 1. Liga auf. Nun klopfen die Südhessen erneut oben an. Die Lilien sind als Tabellenzweite das Überraschungsteam der ersten 18 Spieltage. Es wird längst über die Rückkehr ins Oberhaus gesprochen. „Es ist schwierig, um dieses Thema herumzureden“, räumt Trainer Torsten Lieberknecht ein, betont aber auch: „Es gibt viele Teams in der Liga, die sich um das Thema wesentlich mehr Gedanken machen müssen als wir.“
Man wolle einfach an die bisherigen Leistungen anknüpfen und den Fans weiter Spaß und Freude bereiten. „Alles andere wird ein Nebenprodukt sein, das wir vielleicht irgendwann nicht mehr aufhalten können.“ In Phillip Tietz und Luca Pfeiffer hat das Team zwei Torgaranten, beide trafen bisher je zwölf Mal. „Wir sind eine geile Truppe“, beschreibt Routinier Tobias Kempe das Binnenklima. Passend zum Aufschwung schreitet der Umbau des altehrwürdigen Stadions am Böllenfalltor für knapp 47 Millionen Euro voran und soll mit der Fertigstellung der neuen Haupttribüne im Sommer abgeschlossen werden.
Hamburger SV (3./30 Punkte, 31:18 Tore)
Mit dem Wort Aufstieg fremdelt der Tabellendritte HSV diesmal. Die vergangenen drei Spieljahre, als den Norddeutschen regelmäßig in der zweiten Saisonhälfte die Puste ausging, gelten als Warnung. Jetzt lautet die Beschreibung dessen, was kommen soll: „Entwicklung der Mannschaft“. Sportdirektor Michael Mutzel sieht den einstigen Bundesliga-Dino „wesentlich stabiler“ als in den Vorjahren und befürchtet in der Restsaison nicht den üblichen Rückfall.
Der HSV ist das abwehrstärkste Team der Liga mit nur 18 Gegentoren und zwei Niederlagen, dominanter Spielweise und starken Alternativen auf der Bank. Wenig erstligareif sind: die meisten Unentschieden der Liga (9) und Schludrigkeit vorm Gegnertor. Zudem droht dem HSV der sofortige Verlust von Talent Faride Alidou, der sich mit Eintracht Frankfurt über einen Wechsel im Sommer einig ist. Dafür will Trainer Tim Walter für Wintertransfers „die Augen offenhalten“, sagt aber: „Wir wissen auch, dass wir nicht unbedingt etwas machen müssen.“
FC Schalke 04 (4./30 Punkte, 34:23 Tore)
Der Revierclub ist mittlerweile angekommen in der 2. Liga und hat sich mit Platz vier eine Ausgangsposition erarbeitet, die alle Möglichkeiten offen lässt. „Vor uns liegen wichtige Monate mit einer sehr spannenden Tabellenkonstellation“, sagt der neue Vorstandsvorsitzende Bernd Schröder. Trainer Dimitrios Grammozis, der bald ein Jahr lang im Amt ist, hat nach einem Stotterstart und einem großen Umbruch in Liga 2 die Mannschaft auf Kurs gebracht.
Eine Serie mit sechs Siegen aus sieben Spielen brachte die Schalker nach vorn. Daran hatte auch Simon Terodde mit seinen zwölf Toren in 14 Spielen großen Anteil. Nach einer Verletzungspause seit November steht der Zweitliga-Rekordtorjäger beim Neustart gegen Holstein Kiel wieder zur Verfügung. Mit dem auf Leihbasis für die restliche Saison geholten Andreas Vindheim (Sparta Prag) wurde die rechte Abwehrseite verstärkt. Nicht optimal hingegen war, dass das Winter-Trainingslager in der Türkei kurzfristig abgesagt werden musste.
SV Werder Bremen (7./29 Punkte, 32:25 Tore):
Als die Impfpass-Affäre des Ex-Trainers Markus Anfang im November Werder Bremen erschütterte, dachten viele: Von diesem Skandal wird sich der Traditionsclub im Jahr des Bundesliga-Abstiegs und vieler anderer Turbulenzen nicht erholen. Doch sportlich reift immer mehr die Erkenntnis, dass der Trainer nun Ole Werner (zuvor Holstein Kiel) heißt und ein Glücksfall für Werder ist. Der 33-Jährige hat den Aufstiegskandidaten stabilisiert und ihn wieder bis auf einen Punkt an den Relegationsplatz herangeführt.
Die bereits von Anfang vollzogene und von Werner verfeinerte Umstellung auf ein 3-5-2-System passt am besten zu diesem für Zweitliga-Verhältnisse mit Spielern wie Marvin Ducksch, Ömer Toprak oder Leonardo Bittencourt exquisit besetzten Kader. Was Werner hingegen Sorgen macht: Hinter einer starken Startelf ist das Leistungsgefälle im Team groß. Und Werder darf sich bei sechs Punkten Rückstand auf Platz zwei nicht mehr viele Ausrutscher erlauben.
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