Berlin (dpa)

Über 100.000 neue Corona-Fälle - Ruf nach schärferen Regeln

Basil Wegener, Sascha Meyer und Valentin Frimmer, dpa
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Von Basil Wegener, Sascha Meyer und Valentin Frimmer, dpa
| 19.01.2022 00:05 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach befürwortet eine Impfpflicht. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach befürwortet eine Impfpflicht. Foto: Kay Nietfeld/dpa
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Die Infektionszahlen in Deutschland explodieren. Die Regierung fürchtet eine erneute gefährliche Zuspitzung der Lage in den Krankenhäusern. Aus der Koalition kommt der Ruf nach strengeren Regeln.

Mit mehr als 100.000 registrierten Neuinfektionen an einem Tag erreicht die Corona-Welle in Deutschland bislang unbekannte Höhen. Die Bundesregierung rechnet mit einem weiteren Anstieg.

„Wir werden noch höhere Fallzahlen bekommen“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Mit „mittelfristig erheblichen Auswirkungen aufs Gesundheitssystem“ durch mehr Intensivpatientinnen und -patienten ist laut seinem Ministerium zu rechnen. Bund und Länder sollten aus Sicht des Grünen-Gesundheitsexperten Janosch Dahmen jetzt mit der Vorbereitung zusätzlicher Maßnahmen beginnen.

„Ich glaube, dass wir den Höhepunkt der Welle wahrscheinlich Mitte Februar erreichen werden“, sagte Lauterbach am Dienstagabend in der Sendung „RTL Direkt“. Die Gesundheitsämter übermittelten dem Robert Koch-Institut nach Angaben vom Mittwoch 112.323 neue Fälle in 24 Stunden. Es gab 239 Todesfälle. Die Sieben-Tage-Inzidenz erreichte mit 584,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche ebenfalls einen Höchststand. Die Dunkelziffer dürfte bei der Inzidenz etwa beim Faktor zwei liegen, sagte Lauterbach.

Omikron bisher ohne Auswirkungen auf Intensivstationen

Bislang spiegelt sich die von der Virusvariante Omikron ausgelöste Welle nicht auf den Intensivstationen wieder. Dort ist die Zahl der Corona-Patienten laut Medizinervereinigung Divi seit der ersten Dezemberhälfte von rund 5000 auf zuletzt 2664 gesunken. Momentan infizieren sich vergleichsweise wenig Ältere, die besonders anfällig für schwere Verläufe sind.

„Omikron ist milder, aber nicht mild“, sagte der Abgeordnete Dahmen der Deutschen Presse-Agentur. „Von der derzeitigen Lage in den Krankenhäusern dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Erst in frühestens zwei Wochen wird die Omikron-Wand die Krankenhäuser erreichen.“ Aus anderen Ländern wisse man: Die Omikron-Welle komme später in den Kliniken an als andere Wellen davor.

Dahmen forderte: „In Innenräumen, in denen keine FFP2-Maske getragen werden kann, wäre die Ausweitung der 2G-plus-Regel sinnvoll.“ Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidenten wollen am Montag erneut über die Corona-Lage beraten. Zuletzt hatten sie beschlossen, dass beim Zugang zur Gastronomie grundsätzlich auch Geimpfte und Genesene (2G) getestet oder dreifachgeimpft sein müssen (2G plus).

Verkürzung des Genesenenstatus mit Folgen

Für ungeimpfte Genesene kann unterdessen die jüngste Verkürzung der Geltungsdauer des Genesenennachweises zum Problem werden. Denn für ältere Nachweise gibt es laut Gesundheitsministerium keinen Bestandsschutz. Seit Samstag gilt der Genesenenstatus nur noch für eine Zeitspanne zwischen 28 und 90 Tagen nach einem positiven PCR-Test. Die Begründung ist laut RKI, dass Ungeimpfte bei Omikron nach einer Infektion weniger und kürzer Schutz vor einer erneuten Infektion haben. Nachweise von Anfang Oktober zum Beispiel sind damit jetzt abgelaufen. 

Die Gesundheitsminister der Länder hatten das Bundesministerium gebeten, Übergangsregelungen für Betroffene zu erarbeiten - etwa wegen gebuchter Reisen oder den Zugang zu Veranstaltungen.

Lauterbach für schnelle Impfpflicht

Lauterbach sprach sich für ein schnelles Inkrafttreten einer allgemeinen Impfpflicht aus. Die Impfpflicht müsse schnell kommen. „Wenn wir einen Antrag machen wollen, der noch funktioniert, dann ist das ein Antrag, der die Impfpflicht in Kraft setzt - was weiß ich - im April oder um den April herum, vielleicht im Mai.“ Bis Ungeimpfte dann drei Impfungen hätten, sei es September oder Oktober. Abgewendet werden solle schließlich eine nächste Corona-Welle im Herbst, wie sie von Virologen ohne eine ausreichende Gesamtimmunisierung erwartet wird.

Derzeit geht die Zahl der täglichen Corona-Impfungen wieder zurück. Sie lag am Dienstag bei 589.000 verabreichten Impfdosen - am Dienstag vor Weihnachten waren es 1,2 Millionen. Mindestens 72,9 Prozent der Bevölkerung (60,5 Mio) sind laut RKI grundimmunisiert, haben also in der Regel zwei Impfdosen.

Hier hat sich die Bezeichnung geändert, bisher hatte das RKI von „vollem Impfschutz“ gesprochen. Da gerade bei Omikron die Boosterimpfung für einen besseren Impfschutz aber als nötig gilt, war zuletzt auch Lauterbach von drei Dosen für eine vollständige Impfung ausgegangen. Die Grundimmunisierung soll laut einem Sprecher aber weiter für die Einhaltung von 2G- oder 3G-Regeln ausreichen. Eine zusätzliche Auffrischungsimpfung haben 48,3 Prozent der Bevölkerung (40,1 Mio) erhalten. 

Knapp jede und jeder Vierte - 20,6 Millionen Menschen - sind bisher nicht geimpft. Davon gibt es für die 4,0 Millionen Kinder unter fünf Jahren noch keinen Impfstoff.

Angesichts knapper werdender PCR-Tests sollen Beschäftigte in sensiblen Gesundheitseinrichtungen bei der Laborauswertung wie angekündigt bevorzugt zum Zuge kommen. Nötig sei „eine vorrangige Befundung von Probenmaterial von Beschäftigten mit Kontakt zu besonders vulnerablen Personengruppen“, heißt es in einem Verordnungsentwurf des Gesundheitsministeriums.

Sorge bereitet der Regierung, dass „noch weitere Wellen“ kommen können, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte. Lauterbach sagte, „die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Herbst keine neue Variante haben“, sei sehr gering. Man sehe jetzt schon dauernd neue Varianten, die sich aber nicht durchsetzen würden. Die Gefahr sei, dass es eine „rekombinierte Variante“ mit der Gefährlichkeit der Delta-Variante und der Übertragbarkeit von Omikron geben werde.

© dpa-infocom, dpa:220118-99-760991/5

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