Mae Sot (dpa)

Grenzerfahrung in Myanmar: Ein Land als Geisel der Generäle

Carola Frentzen und Athens Zaw Zaw, dpa
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Von Carola Frentzen und Athens Zaw Zaw, dpa
| 27.01.2022 06:20 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Das Archivbild zeigt Demonstrierende in Yangon im vergangenen Juni. Der Widerstand gegen die Junta in Myanmar reißt nicht ab. Foto: --/AP/dpa
Das Archivbild zeigt Demonstrierende in Yangon im vergangenen Juni. Der Widerstand gegen die Junta in Myanmar reißt nicht ab. Foto: --/AP/dpa
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Die Generäle haben die Rechnung ohne das Volk gemacht: Auch ein Jahr nach dem Putsch hat Myanmars Junta das Land nicht unter Kontrolle. Während der Widerstand wächst, sind viele Zivilisten auf der Flucht.

Ein Dutzend Menschen waten durch den trüben Moei-Fluss. Einige haben Babys auf dem Arm, andere tragen Alte auf dem Rücken, die zu schwach sind, um das andere Ufer zu erreichen. Ihr Ziel: Mae Sot im Nordwesten Thailands.

In der Grenzstadt knattern Motorräder an Marktständen vorbei, Menschen kochen und plaudern, Töpfe mit Nudeln und Gemüse dampfen - ein Anflug von Alltagsleben. Wären da nicht die vielen Flüchtlinge. Menschen, die Birmanisch sprechen, nicht Thai. Auf der Suche nach Sicherheit und Frieden schlafen sie in Tempeln, Schulen, Scheunen - denn ihre Heimat Myanmar versinkt seit dem Putsch vom 1. Februar 2021 in blutigem Chaos.

Wie viele momentan in provisorischen Camps entlang der Grenze leben, weiß niemand so genau. Zehntausende könnten es sein, vielleicht mehr. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind allein wegen der jüngsten Kämpfe in den Bundesstaaten Karen und Kayah mindestens 9500 Menschen zumindest zeitweise nach Thailand geflohen. In Myanmar lebten hingegen im Zuge des Militärputsches mittlerweile 776.000 Einwohner als Vertriebene im eigenen Land, berichten die Vereinten Nationen.

Hoffen auf eine bessere Zukunft in Thailand

Ein paar Thai Soldaten sind am Ufer des seichten Moei postiert. Viele Myanmaren decken sich in Mae Sot nur mit Vorräten ein und kehren dann in den Ort Myawaddy auf der anderen Seite zurück. Aus Angst hausen sie direkt am Wasser in Notunterkünften. Zelte und Planen bewegen sich im Wind, bunte Longyis - Myanmars traditionelle Wickelröcke - hängen zum Trocknen auf Leinen. Andere Flüchtlinge bleiben in Mae Sot und hoffen auf eine bessere Zukunft in Thailand.

Plötzlich hallt Artilleriefeuer durch die Luft. Eine ständige Erinnerung daran, dass die Generäle in Myanmar jeden Widerstand mit brutaler Waffengewalt unterdrücken. Und der Ort Lay Kay Kaw ganz in der Nähe von Myawaddy wird von Rebellen aus der Volksgruppe der Karen kontrolliert. Seit Mitte Dezember kommt es in dem Gebiet regelmäßig zu Feuergefechten zwischen Regime-Gegnern und Soldaten.

„Das Regime hat nicht damit gerechnet, dass es einen so starken und entschlossenen Widerstand gegen den Putsch geben würde“, ist der Myanmar-Experte Richard Horsey von der International Crisis Group überzeugt. Wegen der landesweiten Auflehnung gegen die Junta müssten die Generäle unter Führung von Machthaber Min Aung Hlaing mit immer extremerer Gewalt agieren, um ihr Überleben zu sichern. „Aber sie scheinen immer noch zuversichtlich zu sein, dass sie am Ende siegen werden - genauso wie die Junta-Gegner weiterhin entschlossen sind, dies zu verhindern“, sagt Horsey.

Menschen auf der Flucht

Eine, die sich schon kurz nach dem Umsturz der „Bewegung für zivilen Ungehorsam“ (CDM) angeschlossen hat, ist Mary. Die 54-Jährige will ihren Nachnamen lieber nicht nennen. 30 Jahre lang hat die Frau aus Myawaddy als Lehrerin gearbeitet. Aber statt irgendwann als Rentnerin die Früchte ihrer Arbeit zu genießen, ist sie auf der Flucht.

„Weil ich mich der Widerstandsbewegung angeschlossen habe, gibt es für mich keine Chance mehr, meine Rente zu bekommen. Aber ich konnte der Junta einfach nicht folgen“, erzählt sie traurig, während sie in einem Topf mit Reis rührt. „Wir haben friedlich protestiert, und sie haben unsere Leute, unsere Studenten, unsere junge Generation getötet, festgenommen und gefoltert. Das kann ich nicht akzeptieren.“

1490 Tote seit dem Putsch

Laut Schätzungen der Gefangenenhilfsorganisation AAPP wurden seit dem Putsch mindestens 1490 Menschen getötet. Fast 12.000 wurden zumindest vorübergehend festgenommen. Viele überleben die Haft nicht: Oft werden Regimekritiker nachts verschleppt und am nächsten Tag ihren Familien als Leichen zurückgebracht - Körper und Gesicht von schwerer Folter gezeichnet. Die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi sitzt derweil im Hausarrest. Gegen sie läuft ein Schauprozess, der sie zum Schweigen bringen soll.

Wie viele Leidensgenossen ist auch Mary derzeit in Mae Sot gestrandet. Aber bevor sie es nach Thailand geschafft hat, musste sie sich im Zuge der Luftangriffe auf Lay Kay Kaw zwei Wochen im Dschungel verstecken, in ständiger Angst entdeckt und ermordet zu werden. „Ich werde das nie vergessen. Wir rannten alle um unser Leben, mitten in der Nacht. Alte Menschen. Frauen und Kinder. Wir konnten auch keine Taschenlampen benutzen, weil die Truppen sonst auf uns geschossen hätten“, erinnert sie sich. Viele junge Widerstandskämpfer, die sich gewehrt hätten, seien gefallen.

„Ein Jahr ist vergangen, und sie beherrschen das Land noch immer nicht. Sie sind jetzt eine bewaffnete Gruppe, angeführt von Min Aung Hlaing, die das ganze Land dank ihrer schweren Waffen als Geisel genommen hat“, sagte Thinzar Shunlei Yi, eine der bekanntesten Demokratieaktivistinnen Myanmars, der Deutschen Presse-Agentur.

Schlechtes Image der Junta im Ausland

Aber die Bilder von gefolterten Gefangenen, erschossenen und verbrannten Zivilisten und zerstörten Dörfern hätten dem Image der im Ausland ohnehin ungeliebten Junta nur noch mehr geschadet. Auch das Versprechen der Generäle, bis August 2023 Wahlen abzuhalten, sei nur dazu gedacht, bei der internationalen Gemeinschaft falsche Hoffnungen zu wecken. „Nur Dummköpfe werden ihnen glauben“, meint sie. Wie viele ihrer Mitstreiter glüht Thinzar für die Sache - und kämpft ohne Unterlass für ein Myanmar mit einer demokratisch gewählten Regierung.

Auch Padoh Saw Taw Nee - Sprecher der Karen National Union (KNU), einer der größten ethnischen Rebellengruppen des Landes - glaubt, dass die Junta-Generäle sich in ihrem blinden Machtwillen verrannt haben. „Sie agieren wie Narren und denken, dass sie im Ausland keine Freunde brauchen. Aber sie haben nicht verstanden, dass sich die Welt verändert hat“, sagt er mit Blick auf die frühere jahrzehntelange Schreckensherrschaft des Militärs, die erst vor etwa zehn Jahren zaghaften demokratischen Reformen gewichen war. „Ich glaube, dass sie keine Ahnung haben, wie sie weitermachen sollen. Also tun sie weiter das einzige, was sie können: Die Leute schikanieren.“

Wie also geht es weiter in dem gebeutelten Land? Myanmar-Experte Richard Horsey sieht bislang kein Licht am Horizont: „Myanmar wird wahrscheinlich auf absehbare Zeit in einem Krisenzustand bleiben“, sagt er. Die Widerstandsgruppen würden zwar immer raffinierter, wenn es darum gehe, Regimetruppen ins Visier zu nehmen - aber die Militärregierung werde alles tun, um an der Macht zu bleiben. Myanmar sei auf dem Weg, zu einem „Flickenteppich“ aus Armee-Einheiten, bewaffneten Rebellen und Kriminellen zu werden. Gefangen in der Mitte seien die Bürger, die auch weiter einen schrecklichen Preis zahlten.

© dpa-infocom, dpa:220127-99-866848/2

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