Berlin (dpa)
Berlinale 2022: Die Sache mit dem Virus
An diesem Donnerstag werden die Filmfestspiele in Berlin eröffnet. Seit Wochen wird diskutiert, wie die Berlinale trotz Pandemie aussehen kann. Ist ein Präsenzfestival eine gute Idee?
Bevor man dieser Tage ins Kino geht, stellen sich manche Menschen eine Frage, die man nach zwei Jahren Pandemie mehr als leid sein kann: Gehe ich? Oder gehe ich nicht?
Das Coronavirus bringt Menschen noch immer zum Abwägen. Mit der Berlinale beginnt nun an diesem Donnerstag (10. Februar) eines der größten Filmfestivals der Welt. Und die Entscheidung sorgt für Diskussionen.
Als die Festivalleitung im Januar ihr Programm vorstellte, machte eine Aussage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Runde. Er rechnete damals für Mitte Februar mit dem Höhepunkt der Omikron-Infektionswelle. Seit Längerem wird bereits diskutiert, wie die Berlinale stattfinden kann.
Auch die Festivalchefs haben sich diese Frage gestellt. Sie haben lange Hygienekonzepte entwickelt. Immer wieder bekommen Journalistinnen und Journalisten E-Mails, was zu berücksichtigen ist. Auch fürs Publikum ändert sich einiges.
Wie soll die Berlinale ablaufen?
„Wir haben uns wirklich extrem viele Gedanken gemacht, wie man dieses Festival möglichst reduziert umsetzen kann, so dass es trotzdem noch die öffentlichkeitswirksame Funktion hat“, sagte Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek der dpa in Berlin. „Die Filme, die hier laufen, brauchen diese Aufmerksamkeit.“
Dabei sollen verschärfte Regeln gelten. Nur die Hälfte der Kinoplätze wird besetzt. Zutritt haben nur Menschen, die gegen das Virus geimpft oder genesen sind. Wer noch keine Auffrischimpfung hat, braucht auch einen Test. Im Kino muss man Maske tragen. Tickets gibt es nur online. Vorbei also die Zeiten, in denen Menschen mit dem Schlafsack vorm Schalter campierten.
Auch der Eröffnungsabend soll kleiner ausfallen als üblich. Erwartet werden rund 800 Gäste und damit etwa halb so viele wie in anderen Jahren. Gezeigt wird der neue Film des französischen Regisseurs François Ozon - „Peter von Kant“, nach Rainer Werner Fassbinders Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“.
Partys und Empfänge soll es nicht geben. Auch nach der Eröffnung verzichtet die Berlinale auf eine große Party. Geplant sei ein „gesetztes Dinner“ mit Jurys, Eröffnungsfilmteam, Politik und Festivalleitung, sagte eine Sprecherin. „Selbstverständlich möchten wir unsere Gäste des Eröffnungsabends verpflegen, sonst müssten sie in Restaurants gehen.“
Wird doch heimlich gefeiert?
Auf die Frage, wie sie verhindern wollen, dass vielleicht doch heimlich gefeiert wird, sagt Rissenbeek: „Also wir feiern nicht heimlich als Festival. Und wir haben auch all unsere Partner gebeten, das entsprechend zu handhaben. Die setzen das auch so um. Die machen vielleicht ein Abend- oder ein Mittagessen für eine kleinere Anzahl von Personen.“ Aber sie könnten natürlich auch nicht verhindern, dass Menschen in ein Restaurant gingen - vielleicht auch zu zwanzigst.
Wer kommt und wer nicht?
Einen roten Teppich soll es geben, aber einige Gesichter werden fehlen. „Nick Cave wird nicht kommen können, das ist traurig – er mag die Stadt und das Festival, aber er muss arbeiten“, sagt Chatrian. Die Berlinale will einen Dokumentarfilm über den Musiker zeigen. „Und Sigourney Weaver und Elizabeth Banks werden nicht reisen können.“ Es seien aber die Schauspielerinnen Emma Thompson, Juliette Binoche, Isabelle Huppert und Charlotte Gainsbourg da.
Nach seinem Gefühl sei das Reisen aus den USA komplizierter, sagt Chatrian. Auch weil eine zwölfstündige Reise für Menschen ein größeres Risiko bedeute. „Unsere Politik ist da diesmal auch ganz klar: Wir wollen niemanden zwingen anzureisen, wenn er sich nicht wohlfühlt. Ein Festival sollte ein Vergnügen sein, nicht nur Arbeit.“
Zur Berlinale kommen normalerweise Gäste aus der ganzen Welt. Auch diesmal werden etliche Filmteams erwartet, die sich an die deutschen Einreiseregeln halten müssen, wie Chatrian sagt. Manchmal sei das Problem auch eher andersherum: „Gäste aus anderen Ländern müssten in Quarantäne, wenn sie aus Deutschland zurückkommen. Das kann ein Thema sein.“ Außerdem könne sich die Lage jeden Tag ändern und Fluggesellschaften hätten das Flugangebot reduziert.
Wieso ist eine Verschiebung kompliziert?
Seit drei Jahren leiten Chatrian und Rissenbeek die Berlinale. Im vergangenen Jahr hatten sie wegen der Pandemie bereits umplanen müssen. Damals hatten Fachleute im März Filme über eine Plattform online geschaut - für Menschen aus der Filmbranche gibt es diese Möglichkeit auch in diesem Jahr, für Medienleute dagegen nicht.
Im Sommer waren dann Filmvorführungen fürs Publikum nachgeholt worden. Dass die Berlinale nur schwer auf einen anderen Termin ausweichen kann, liegt auch daran, dass die Filmwelt durchgetaktet ist.
„Die Berlinale ist ein wahnsinnig wichtiges Filmfestival für Deutschland, für Europa, in der ganzen Welt und von großer Bedeutung für unser Kulturleben“, sagt Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). „Bei einer Absage hätten wir wichtige Filme nach Cannes und Venedig verloren, die hätten dann im Sommer auch nicht in Berlin gezeigt werden können. Dadurch hätte die kulturpolitische Bedeutung der Berlinale insgesamt gelitten.“ Roth sieht die Berlinale auch als wichtiges Zeichen des Optimismus, der Hoffnung und der Ermutigung.
Welche Filme werden gezeigt?
Insgesamt 18 Filme gehen ins Rennen um den Goldenen Bären, darunter Andreas Dresens Projekt „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ und der Film „A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe“ von Nicolette Krebitz. Im Wettbewerb laufen auch Filme von Ulrich Seidl, Claire Denis, Hong Sangsoo und Denis Côté.
Rissenbeek sagt, sie verstehe, wenn Menschen angesichts der Infektionslage besorgt seien, weil man etwa nicht genau wisse, was als nächstes passiere. „Gleichzeitig muss man sagen, dass die Kinos auf haben. Es haben auch Konzerthäuser auf. Es werden Fußballspiele ausgetragen. Es ist nicht so, dass das öffentliche Leben zum Stillstand gekommen ist, wie das vor einem Jahr der Fall war.“
Ihrer Meinung nach braucht es Formate für die Kultur. Sie hätten sich alle bemüht, Kultur weiterhin möglich zu machen. „Und es wäre sehr schwierig gewesen, ausgerechnet für die Berlinale, die gleichzeitig eine Plattform für die Kinos ist, zu sagen: "Wir möchten lieber absagen"“, sagte Rissenbeek. „Es wäre aus unserer Sicht nicht die richtige Lösung gewesen.“
Die Bedingungen hätten sie auch von Anfang an mit den Gesundheitsbehörden abgestimmt. „Wenn man uns gesagt hätte: "Frau Rissenbeek, in einer Pandemie kann man kein Festival machen. Vergessen Sie's", dann hätten wir es natürlich nicht gemacht.“
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