Berlin (dpa)

Mögliche Tyrannei? Wie der Impfpflicht-Streit enden könnte

Basil Wegener, Christoph Trost und Anne-Béatrice Clasmann, dpa
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Von Basil Wegener, Christoph Trost und Anne-Béatrice Clasmann, dpa
| 10.02.2022 20:21 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Eine Werksärztliche Assistentin zieht in einem betrieblichen Impfzentrum eine Dosis des Impfstoffes von Biontech/Pfizer auf. Foto: Marijan Murat/dpa
Eine Werksärztliche Assistentin zieht in einem betrieblichen Impfzentrum eine Dosis des Impfstoffes von Biontech/Pfizer auf. Foto: Marijan Murat/dpa
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Hält Markus Söder die Heim-Impfpflicht auf? Danach sieht es nicht aus. Ungeimpfte Pflegekräfte dürften es bald mit dem Gesundheitsamt zu tun bekommen. Die Folgen des Hickhacks sind noch nicht absehbar.

Die FDP sieht wegen des jüngsten Corona-Manövers von Markus Söder (CSU) eine mögliche Tyrannei heraufziehen - die SPD wirft Bayern Verantwortungslosigkeit vor.

Eine weitere Eskalation scheinen beide Seiten aber vermeiden zu wollen - nun soll die Einführung in Bayern nur um ein paar Wochen verschoben werden. Schaden dürfte der Streit um die Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal aber dem Ruf des Corona-Managements insgesamt - die Auswirkungen auf das ungleich größere Projekt einer allgemeinen Impfpflicht sind noch nicht absehbar.

Der Stand im Streit um die Einrichtungs-Impfpflicht:

Das im Dezember mit breiter Mehrheit von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz gilt. Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken müssen bis 15. März Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen oder ein Attest, nicht geimpft werden zu können. Söder hatte das vorläufige „Aussetzen des Vollzugs“ angekündigt. Sonst drohe wegen offener Fragen Chaos. Der Deutsche Städtetag argumentierte ähnlich - zu klären sei: „Sollen Ungeimpfte im Regelfall ihre Tätigkeit nach dem 15. März nicht mehr ausüben dürfen?“ Oder sollten sie weiterarbeiten dürfen, wenn sonst der Betrieb gestört sei?

Söder gegen den Bund - Einlenken in Sicht:

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) warnte zwar auf Twitter, wenn sich die Regierenden aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten, „ist die Tyrannei nicht mehr fern“. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) setzte nun aber ein absehbares Ende der bayerischen Vollzugsblockade in Aussicht: Um ein „paar Wochen“ werde sich die Einführung wegen vieler offener Fragen verschieben.

Die Aussichten für Beschäftigte ohne Impfung:

Es besteht eine Nachweispflicht. Die Arbeitgeber müssen die Gesundheitsämter über Beschäftigte ohne Nachweis informieren. Bis das jeweilige Amt die Entscheidung über ein mögliches Betretungs- oder Arbeitsverbot getroffen hat, dürfen die Betroffenen laut Regierung grundsätzlich weiterbeschäftigt werden. Zunächst hat das Amt einmal Ermessensspielraum. Verliert ein Beschäftigter mangels Impfung aber am Ende seinen Job in Heim oder Klinik, muss er nicht seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren. Auch bei der Arbeitsagentur gibt es Ermessensspielraum. Rechtlich kommt es darauf an, ob der Betroffene dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, auch in anderen Branchen.

Motive von Söder bei dem Manöver:

Vom einstigen Mit-Anführer des „Teams Vorsicht“ sind heute eher die Schlagworte „Augenmaß“ und „Hoffnung“ zu hören. Im bayerischen Alleingang treibt Söder Lockerungen voran. Zur Erinnerung: Im Herbst 2023 wird in Bayern gewählt. Bei der Impfpflicht hatten aber auch die Gesundheitsminister der Länder eine „Umsetzungszeit“ gefordert, - und, so heißt es in Söders Regierung, Landkreise und Verbände laufen Sturm. Ohnehin überlastete Gesundheitsämter müssten Betroffene anhören und jeweils im Einzelfall entscheiden. Hinter den Bedenken steht auch die Sorge, dass bei einer Teil-Impfpflicht zu viele Pflegekräfte abwandern.

Darf ein Land ein Bundesgesetz aussetzen?

Eigentlich nicht. „Über die Aussetzung einer bundesgesetzlichen Regelung kann nur der Bundesgesetzgeber selbst entscheiden“, erläutert ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Bei einer nicht rechtmäßigen Ausführung durch die Landesverwaltung greifen demnach in Artikel 84 Grundgesetz vorgesehene Aufsichtsrechte: „Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, dass die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen.“ Sie kann etwa Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden. Am Ende kann der Bundesrat entscheiden, ob das Land das Recht verletzt hat.

Mögliche Hoffnung für Gegner der Pflege-Impfpflicht:

Sie können die Hoffnung haben, dass das Bundesverfassungsgericht die Bestimmungen vorläufig aussetzt. Karlsruhe entscheidet nämlich an diesem Freitag über einen Eilantrag gegen das Gesetz. Zuletzt waren 74 Verfassungsbeschwerden von rund 300 Klägerinnen und Klägern gegen die Pflege-Impfpflicht in Karlsruhe eingegangen.

Mögliche Auswirkungen auf die allgemeine Impfpflicht:

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff warnt vor den möglichen Auswirkungen. Der CDU-Politiker sagte der dpa: „Wenn es nicht gelingt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht vernünftig auf den Weg zu bringen, dann sehe ich für eine allgemeine Impfpflicht kaum mehr Chancen.“ Hintergrund ist, dass es noch nicht sicher ist, ob eine allgemeine Impfpflicht im Bundestag eine Mehrheit bekommt und in welchem Ausmaß sie von jetzigen Impfgegnerinnen und -gegnern befolgt werden würde. Aus der Koalition hieß es am Donnerstag, der Bundestag solle kommende Woche über die dann vorliegenden Anträge zur allgemeinen Impfpflicht beraten. Dann soll das Gesetzesverfahren inklusive Bundesrat bis Ostern abgeschlossen sein.

© dpa-infocom, dpa:220210-99-68635/2

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