Zhangjiakou (dpa)

Nawrath verschießt Gold: „Hätte zum Superstar werden können“

Thomas Wolfer und Wolfgang Müller, dpa
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Von Thomas Wolfer und Wolfgang Müller, dpa
| 15.02.2022 08:59 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Benedikt Doll und die Biathlon-Staffel haben die Bronzemedaille als Vierte knapp verpasst. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa
Benedikt Doll und die Biathlon-Staffel haben die Bronzemedaille als Vierte knapp verpasst. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa
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Bis zum letzten Schießen liegen die deutschen Biathleten aussichtsreich im Kampf um die Medaillen. Doch dann patzt Philipp Nawrath, muss in die Strafrunde - am Ende bleibt nur die große Enttäuschung.

Die vielen Umarmungen konnten Philipp Nawrath kein bisschen trösten. „Es tut mir so leid“, sagte der Biathlet ganz leise zu seinem Staffel-Kollegen Erik Lesser und wirkte dabei äußerst emotional.

Mit einer Strafrunde im letzten Schießen vergab der 29-Jährige bei den Winterspielen in China nicht nur eine Medaille, sondern sogar den möglichen Olympiasieg auf hochdramatische Weise. „Er hätte ein Superstar werden können, wenn er heute die Goldmedaille abgeräumt hätte“, sagte Lesser. Doch statt Edelmetall gab es nach einem Thriller am Schießstand den bitteren vierten Platz.

Medaille knapp verpasst

„Leider haben wir es nicht geschafft, dieses Geschenk, diese Medaille auf dem Tablett, einfach runterzunehmen und uns umzuhängen“, sagte Mark Kirchner. Der Bundestrainer hatte Gold für die deutsche Staffel schon zu Saisonbeginn für möglich gehalten und war dafür von vielen belächelt worden. „Wir hatten mehr als nur einen Finger an der Medaille“, bilanzierte Lesser nach seinem letzten Olympia-Rennen: „Ich weiß, dass irgendeiner Vierter werden muss. Und man muss sich vorher schon darauf einstellen, dass es einen selbst treffen kann.“

Doch wie es dazu kam, wird vor allem den Bayer Nawrath noch sehr lange beschäftigen. Der lange klar führende Russe Eduard Latypow hatte gerade zwei Strafrunden geschossen, Nawrath kam mit Vetle Sjastad Christiansen aus Norwegen und Quentin Fillon Maillet aus Frankreich zusammen an den Schießstand. Nawrath versagten die Nerven, auch drei Nachladepatronen reichten nicht aus und er musste die einzige Strafrunde für Deutschland drehen. Auf der Schlussrunde konnte er sich nicht mehr herankämpfen. Norwegen sicherte sich so spät noch Gold, Frankreich Silber und das russische Team Bronze.

„Es gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Natürlich zu wissen, dass man das Ding jetzt eintüten könnte, das war schon am meisten da“, sagte Nawrath: „Da nicht ganz kaltschnäuzig zu sein, das ärgert mich jetzt halt schon.“ Nun werde es „eine Weile dauern, sich darüber zu ärgern oder das zu verarbeiten“, sagte der enttäuschte Nawrath.

Er mache solche Negativerlebnisse eigentlich immer mit sich selbst aus, sagte er mit etwas Abstand im Ziel. Die Teamkollegen Lesser, Roman Rees und Benedikt Doll sicherten ihm allerdings sofort jede Hilfe zu. „Er hat sein Bestes gegeben und hat sich sicher nichts vorzuwerfen“, sagte Doll: „Wir trösten uns jetzt gegenseitig.“

Langes Warten auf einen Titel

2014 hatte Deutschland in Sotschi Silber gewonnen, vor vier Jahren in Pyeongchang reichte es für das Team zu Olympia-Bronze. Erstmals seit 2010 gab es in China nun keine Staffelmedaille für die DSV-Männer, die vor dem abschließenden Massenstart am Freitag überhaupt noch nichts Zählbares gewonnen haben. Auch das gab es letztmals vor zwölf Jahren im kanadischen Vancouver. „Es hat einfach zum richtigen Zeitpunkt nicht alles zusammengepasst. Das heißt aber nicht, dass unser Männerteam schlecht gearbeitet hat“, sagte Lesser, der seine Laufbahn nicht bis zu den Winterspielen 2026 fortsetzen wird.

Bei eisigen Temperaturen von minus 15,7 Grad stand Nawrath nach einem vor dem finalen Schießen starken deutschen Rennen - mit zuvor nur sechs Nachladern - am Ende alleine im Zielraum, während alle um ihn herum feierten. „Das war heute eine Riesen-Chance für alle. Das war jetzt schon sau-ärgerlich“, sagte Nawrath bei eisigem Wind. Wegen dieser herausfordernden Bedingungen war der Start zweieinhalb Stunden vorverlegt worden, ansonsten hätte womöglich eine Absage gedroht.

Auch bei den Frauen wird es am Mittwoch (8.45 Uhr MEZ) in Zhangjiakou wieder extrem kalt. Einzel-Olympiasiegerin Denise Herrmann, die die bislang einzige deutsche Biathlon-Medaille in den Bergen nordwestlich von Peking holte, geht dabei als Schlussläuferin der Staffel auf die Strecke. Mit Startläuferin Vanessa Voigt, Vanessa Hinz und Franziska Preuß wollen die Biathletinnen erstmals seit zwölf Jahren wieder eine olympische Medaille mit dem Team gewinnen. 2014 und 2018 war das Team des Deutschen Skiverbandes jeweils leer ausgegangen.

Schwächstes Ergebnis überhaupt droht

Nach acht von elf Wettkämpfen bleiben Herrmann und Co. nur noch drei Rennen, um das schwächste deutsche Olympia-Ergebnis überhaupt abzuwenden. Nur eine Medaille hatte es seit der Wiedervereinigung im Biathlon noch nie gegeben, zweimal Silber 2014 in Sotschi sind das bislang schwächste Resultat für die einstigen Medaillensammler.

Während seine Teamkollegen am Freitag und Samstag noch in den Massenstarts ran dürfen, sind die Winterspiele für Lesser vorbei, denn der Oberhofer hatte die Qualifikation verpasst. „Ich nehme von den Olympischen Spielen genau gar nichts mit. Weder eine Medaille, noch ein gutes Ergebnis, eine gute Zeit hatte man hier jetzt auch so begrenzt“, sagte er: „Wir haben zwar im Team das Beste daraus gemacht, aber irgendwie beneide ich Arnd Peiffer, der letzte Saison gesagt hat: Tschüssikowski, Peking gebe ich mir nicht mehr.“

© dpa-infocom, dpa:220215-99-132399/6

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