München (dpa)
Wie die Kulturbranche auf den Ukraine-Krieg reagiert
Auch in der Kulturbranche schlägt die russische Invasion in die Ukraine Wellen. Der Münchner Oberbürgermeister droht dem Chefdirigenten und Putin-Freund Waleri Gergijew mit Rauswurf.
Der Angriff Russlands gegen die Ukraine erschüttert auch die Kulturwelt. Am Freitag drohte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker und Putin-Freund Waleri Gergijew mit Rauswurf. Viele Kulturschaffende äußern sich betroffen über die russische Invasion in die Ukraine und zeigen ihre Solidarität.
Zahlreiche prominente Russen haben sich dabei mit scharfen Worten gegen den Angriff ihres Landes auf die Ukraine gewandt. „Der von Russland begonnene Krieg gegen die Ukraine ist eine Schande. Das ist unsere Schande, aber leider wird die Verantwortung dafür noch von unseren Kindern, einer ganz jungen Generation und von noch nicht einmal geborenen Russen getragen werden müssen“, heißt es in einer von Schriftstellern, Filmemachern und anderen Künstlern sowie von Medienschaffenden unterschriebenen Erklärung. Die auch in Deutschland viel gelesene Autorin Ljudmila Ulitzkaja schrieb: „Das ist ein politisches Verbrechen, das später in Geschichtsbüchern auch so beschrieben sein wird.“
Auch in der deutschen Kulturlandschaft gab es Auswirkungen. Zum Beispiel in München, wo Oberbürgermeister Reiter dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker Gergijew wegen dessen Nähe zu Putin ein Ultimatum stellte. „Ich habe gegenüber Waleri Gergijew meine Haltung klargemacht und ihn aufgefordert, sich ebenfalls eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt“, sagte Reiter laut einer Mitteilung vom Freitag. „Sollte sich Waleri Gergijew hier bis Montag nicht klar positioniert haben, kann er nicht länger Chefdirigent unserer Philharmoniker bleiben.“
Wie steht Waleri Gergijew zu Putin?
Der 68 Jahre alte Gergijew ist seit 2015 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, eines städtischen Orchesters. Seine Freundschaft mit Putin ist schon lange ein latentes Imageproblem für den Mann aus dem Kaukasus. Als im März 2014 bekannt wurde, dass er in einem offenen Brief zusammen mit weiteren russischen Kulturschaffenden die Annexion der Krim unterstützt hatte, gab es Proteste.
Nun dürfte er es im Westen ohne eine Distanzierung von seinem mächtigen Freund in Moskau schwer haben. Der Putin-freundliche Stardirigent wird beispielsweise auch nicht wie geplant mit den Wiener Philharmonikern in der New Yorker Carnegie Hall auftreten - „aufgrund jüngster Ereignisse in der Welt“, wie die Veranstalter mitteilten. Der Wiener Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer betonte allerdings die jahrzehntelange Verbundenheit seines Ensembles mit Gergijew und sagte: „Die Kultur darf nicht zum Spielball von politischen Auseinandersetzungen werden.“ Nach Medienberichten stellte auch die Mailänder Scala Gergijew ein ähnliches Ultimatum wie Reiter in München.
Auch der Intendant der Hamburger Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, droht mit der Absage von Konzerten unter Gergijews Leitung. „Waleri Gergijew ist ein wichtiger künstlerischer Partner und langjähriger Freund der Elbphilharmonie. Daher hoffe ich sehr, dass er dieser Tage ein Zeichen der Distanzierung von dem Überfall Russlands auf die Ukraine setzen wird“, sagte Lieben-Seutter am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Andernfalls könnten die für die Osterwoche geplanten Konzerte des Mariinski-Orchesters aus St. Petersburg in der Elbphilharmonie unter seiner Leitung nicht stattfinden.
Das Festspielhaus Baden-Baden erwartet von Gergijew ebenfalls eine klare Stellungnahme gegen Putins Krieg. Intendant Benedikt Stampa äußerte sich am Freitag schockiert über den Kriegsausbruch. Gergijew sei einer der zentralen kulturpolitischen Akteure Russlands. Man werde ihm natürlich Gelegenheit geben, sich zu äußern, so Stampa. Der Intendant des mit 2500 Plätzen größten deutschen Opernhauses betonte die Bedeutung der russischen Kultur. „Es ist uns wichtig, dorthin weiter Brücken zu bauen.“ Bedacht werden müsse bei allem Entsetzen, dass in Russland kaum noch eine freie Meinungsäußerung möglich sei und sich Kritiker in Lebensgefahr brächten. „Dennoch werden wir die rote Linie, die derzeit um Waleri Gergijew als politische Person gezogen wird, mittragen und solidarisch mit allen Demokratinnen und Demokraten im Sinne einer klaren Haltung agieren.“
Währenddessen trafen sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die im Auswärtigen Amt für internationale Kulturpolitik zuständige Katja Keul am Freitag in Berlin mit ukrainischen und russischen Künstlerinnen, Musikern und Intellektuellen. Roth und Keul kündigten an, die Unterstützung für ukrainische und russische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie auch Journalistinnen und Journalisten auszubauen.
Sean Penn dreht Doku in Kiew
Ebenfalls am Freitag wurde bekannt, dass Oscar-Preisträger Sean Penn in Kiew an einer Dokumentation über den Krieg arbeitet. Das ukrainische Präsidialamt teilte auf Facebook mit, dass Penn die Ereignisse in der Ukraine aufzeichnen wolle, um „der Welt die Wahrheit über Russlands Invasion“ zu zeigen. Dazu wurde ein Foto verbreitet, das den Hollywoodstar während einer Pressekonferenz zeigt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte auf Instagram ein Video, in dem er sich mit Penn unterhält.
Das Maxim Gorki Theater in Berlin hat als Solidaritätsaktion für die Ukraine an diesem Samstag eine prominent besetzte Lesung ins Programm genommen. Angekündigt sind literarische Stimmen aus der Ukraine, aber auch aus Russland und Belarus, in deutscher Übersetzung gelesen von Berliner Autorinnen und Autoren. Die Texte kommen beispielsweise von Jurij Andruchowytsch, Katja Petrowskaja, Elena Fanailowa, Artur Klinau und Sasha Marianna Salzmann. Es lesen unter anderem Nora Bossong, Julia Franck, Durs Grünbein, Herta Müller und Deniz Yücel.
Die in Moskau aufgewachsene Sasha Marianna Salzmann, bekannt für Romane wie „Im Menschen muss alles herrlich sein“, sagte der Zeitung „Theater heute“ über die Lage in der Ukraine: „Menschen werden flüchten. Das heißt, wir müssen Platz machen. Wir müssen Geld spenden.“ Salzmann wurde 1985 im russischen Wolgograd geboren und lebte bis 1995 in Moskau (inzwischen Berlin).
Nach Ansicht des Intendanten des Thalia Theaters, Joachim Lux, sollten die kulturellen Verbindungen zu Russland weiter gepflegt werden. „Wir müssen die Parole "Nie wieder Krieg" neu mit Leben füllen. Gleichzeitig dürfen wir die kulturellen Brücken nach Russland auf keinen Fall abreißen lassen“, sagte Lux dem „Hamburger Abendblatt“. Wir müssen aber natürlich vor allem Wege suchen, die Künstlerinnen und Künstler der Ukraine zu unterstützen“, so Lux. Auch der Deutsche Kulturrat und die deutsche Unesco-Kommission verurteilten die Invasion Russlands in die Ukraine.
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