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Die Russland-Sanktionen und ihre Folgen

Martina Herzog, Jürgen Bätz und Hannes Breustedt, dpa
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Von Martina Herzog, Jürgen Bätz und Hannes Breustedt, dpa
| 25.02.2022 18:01 Uhr | 2 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisiert die bisherigen Sanktionen als nicht ausreichend. Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office via AP/dpa
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisiert die bisherigen Sanktionen als nicht ausreichend. Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office via AP/dpa
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Russland ist in die Ukraine einmarschiert - und die USA, die EU und andere Verbündete verhängen Strafmaßnahmen. Sie sollen der russischen Wirtschaft schaden, treffen aber auch den Westen selbst.

Mit Sanktionspaketen haben die EU und die USA auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine reagiert. Die Maßnahmen zielen jeweils vor allem auf den russischen Finanzsektor.

Außerdem soll es mit Exportkontrollen für Hightech-Produkte und Software russischen Schlüsselindustrien schwer gemacht werden, sich weiterzuentwickeln.

Wie scharf ist das Sanktionsschwert?

US-Präsident Joe Biden war sich bei der Verkündung der umfangreichen Strafmaßnahmen sicher: „Die von uns verhängten Sanktionen gehen über alles hinaus, was bislang gemacht wurde“, lobte er. Staaten, die etwa zwei Drittel der globalen Wirtschaftsleistung ausmachten, stünden hinter den Sanktionen. Diese könnten im Fall einer weiteren Eskalation in der Ukraine verschärft werden.

Doch unter anderem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte die bisherigen Sanktionen als nicht ausreichend. Der polnische Oppositionsführer und frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk übte heftige Kritik an der deutschen Haltung zu Sanktionen gegen Russland. „Diejenigen EU-Regierungen, die harte Entscheidungen blockiert haben, haben Schande über sich selbst gebracht“, schrieb er auf Twitter. Als Beispiele nannte er Deutschland, Ungarn und Italien. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit wies solche Vorwürfe zurück. Die Sanktionen hätten zum Beispiel sofortige Wirkung an den Börsen in Russland gehabt.

Ifo-Chef Clemens Fuest sagte der dpa, die Sanktionen seien insgesamt schwach und würden die russische Regierung kaum beeindrucken. „Es wäre wünschenswert gewesen, gegen eine deutlich größere Zahl russischer Banken und Einzelpersonen vorzugehen, deutlich mehr ausländisches Vermögen einzufrieren und umfassendere Exportverbote zu verhängen.“ Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, warnte aber auch vor drastischen kurzfristigen Folgen für die deutsche Wirtschaft, weil es an vielen Stellen zu „einem umfassenden Stopp der Zusammenarbeit“ komme.

Zunächst kein Ausschluss Russlands vom Swift-System

Beim Swift-System scheute der Westen bislang einen Ausschluss Russlands. Das Swift-System ermöglicht seinen mehr als 11.000 Teilnehmern in über 200 Ländern automatisiert Nachrichten auszutauschen: zu Geldtransfers, Wertpapier- oder Edelmetallgeschäften. Über eindeutige Bankencodes wird zum Beispiel sichergestellt, dass Geld bei Auslandsüberweisungen auf dem richtigen Konto eingeht. Können Banken Swift nicht mehr nutzen, sind sie quasi von internationalen Geldströmen ausgeschlossen. Das kann Warenströme bremsen, weil Firmen dann nicht mehr in der Lage sind, Importe zu bezahlen oder Einnahmen für Exporte zu verbuchen. Ein Ausschluss Russlands könnte auch Folgen für russische Erdgasimporte haben.

Ein Handel unter diesen Umständen wäre „extrem behindert, wenn nicht gar unmöglich“, sagte die Finanzexpertin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Deutsche Firmen mit russischen Töchtern hätten erhebliche Schwierigkeiten, Gelder nach Russland rein und von Russland wieder herauszubringen. Dafür müssten dann entweder Umwege über Banken in anderen Ländern in Kauf genommen werden, die an das russische Zahlungssystem und Swift angeschlossen sind. Oder die Zahlungen müssten in bar erfolgen.“ Auch Zahlungen in Kryptowährungen seien vorstellbar - aber nicht allgemein akzeptiert.

Hermes-Bürgschaften ausgesetzt

Zusätzlich setzte die Bundesregierung die so genannten Hermes-Bürgschaften aus und erschwerte damit deutschen Unternehmen Geschäfte mit Russland - ganz unabhängig davon, ob es um sanktionierte Güter oder Branchen geht oder nicht. Hermes-Bürgschaften sind staatliche Garantien, mit denen der Bund Geschäfte von Exporteuren gegen einen wirtschaftlich und politisch bedingten Forderungsausfall absichert. Der Schritt sei folgerichtig, befand die Volkswirtschaftlerin Hella Engerer vom DIW, die vor allem Folgen für kleine und mittlere Unternehmen sieht. „Ohnehin werden Unternehmen derzeit überaus zurückhaltend mit Investitionen in Russland sein.“

Russische Banken werden mit Sanktionen belegt

Die USA importieren bedeutende Mengen russisches Öl, insgesamt ist die Wirtschaft aber deutlich weniger mit Russland verzahnt als jene der europäischen Staaten. Doch die US-Regierung kontrolliert eine mächtige Waffe: den Zugang zum weltgrößten Finanzmarkt und der globalen Reserve- und Handelswährung, dem US-Dollar. Diesen Hebel setzt Washington nun mit den westlichen Bündnispartnern ein, um russische Finanzinstitute zu internationalen Parias zu machen. Sechs russische Banken, darunter das zweitgrößte Institut des Landes, VTB Bank, sind komplett von Sanktionen betroffen.

Bei den nun beschlossenen europäischen Sanktionen gegen den Finanzsektor geht es vor allem darum, Banken von den EU-Finanzmärkten abzuschneiden. Sie sollen sich in der EU künftig kein Geld mehr ausleihen und auch kein Geld mehr verleihen können. Zudem soll die Refinanzierung von russischen Staatsunternehmen in der EU verhindert werden. Ihre Aktien sollen nicht mehr in der EU gehandelt werden. Ähnliches ist für den Energiesektor geplant.

Mögliche langfristige Folgen der Sanktionen

In der kurzen Frist kann Russland viele Probleme sicher ausgleichen. Langfristig wird die Isolierung von westlichen Kapital- und Finanzmärkten aber mit hohen Kosten und wirtschaftlichen Verzerrungen verbunden sein. „Diese Auswirkungen werden mit der Zeit zu höherer Inflation, höheren Zinsen, niedrigerer Kaufkraft, niedrigeren Investitionen, weniger Produktivität, weniger Wachstum und niedrigeren Lebensstandards in Russland führen“, sagte Daleep Singh, ein stellvertretender nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus.

Neue Exportkontrollen

Die US-Regierung verbietet den Export von Hightech-Produkten nach Russland, darunter zum Beispiel Halbleiter, Computer, Telekommunikations- und Verschlüsselungstechnik oder bestimmte Teile für die Luft- und Seefahrtindustrie. Zudem soll das teils auch für Produkte gelten, die im Ausland hergestellt werden, aber US-Technologie beinhalten. Nach Angaben des Weißen Hauses betreffen die Restriktionen rund 50 Prozent aller Hightech-Importe Moskaus. „Das wird ernsthafte Kosten für die russische Wirtschaft verursachen, sowohl sofort als auch mit der Zeit“, sagte US-Präsident Biden. „Wir werden ihre Fähigkeit beschneiden, im Wettbewerb der Hightech-Wirtschaft des 21. Jahrhunderts zu bestehen.“

Die europäischen Exportkontrollen für Hightech-Produkte und Software sollen es auch anderen russischen Schlüsselindustrien schwer machen, sich weiterzuentwickeln. Dabei könne das Land mittel- und langfristig schwer getroffen werden, hieß es in Brüssel.

© dpa-infocom, dpa:220225-99-289128/3

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