Berlin (dpa)
Scholz erklärt sich nach Kurswechsel in der Ukraine-Krise
Lange hat die Ukraine vergebens auf deutsche Militärgüter gedrängt. Kurz nach dem Einmarsch Russlands stimmt die Bundesregierung dann zu. Nun erläutert Kanzler Scholz seinen Kurs im Parlament.
Nach der Kehrtwende der Bundesregierung im Ukraine-Krieg erklärt Kanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Kurs im Bundestag. Deutschland will Waffen aus Bundeswehr-Beständen an die bedrängte Ukraine liefern.
Die Bundesregierung hatte am Samstag entschieden, 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Bundeswehrbeständen so schnell wie möglich in die Ukraine zu liefern. Estland und die Niederlande erhielten die Erlaubnis, Waffen aus deutscher Produktion an die Ukraine zu liefern.
Bis zu dem Kurswechsel hatte die Bundesregierung alle Exporte tödlicher Waffen in die Ukraine prinzipiell abgelehnt, weil es sich um ein Krisengebiet handelt. „Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung“, hatte Scholz erklärt. „In dieser Situation ist es unsere Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin. Deutschland steht eng an der Seite der Ukraine.“
Bei der Sondersitzung des Bundestags an diesem Sonntag soll Scholz zunächst eine 30-minütige Regierungserklärung abgeben, gefolgt von einer zweieinhalbstündigen Aussprache der Fraktionen.
Selenskyj: „Weiter so, Kanzler Olaf Scholz“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte die deutsche Entscheidung. „Weiter so, Kanzler Olaf Scholz“, schrieb er auf Twitter.
Der ukrainische Botschafter in Berlin würdigte den Kurswechsel als historischen Schritt. „Wir sind froh, dass Deutschland endlich diese 180-Grad-Wende vollzogen hat“, sagte Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur.
Die Ukraine hatte monatelang Waffenlieferungen gefordert. Die Bundesregierung blockte sie unter Verweis auf die strengen deutschen Rüstungsexportrichtlinien und den Koalitionsvertrag ab. Nach den Richtlinien, die vor mehr als 20 Jahren unter der rot-grünen Bundesregierung entstanden, werden keine Waffen in Krisengebiete geliefert.
Es hat aber bereits Ausnahmen gegeben: So wurden den kurdischen Peschmerga-Kämpfern im Irak Waffen geliefert, um einen Völkermord der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) an den Jesiden zu verhindern. Auch an Israel werden aus historischer Verantwortung für die Sicherheit Israels wegen des Holocaust Waffen geliefert, obwohl es sich um ein Krisengebiet handelt.
Folgende Waffen werden an die Ukraine geliefert:
- 500 Waffen vom Typ „Fliegerfaust 2 Stinger“ der Bundeswehr: Mit der 1,5 Meter langen Waffe können von der Schulter aus Ziele in der Luft in bis zu sechs Kilometern Entfernung abgeschossen werden.
- 1000 Waffen vom Typ „Panzerfaust 3“ der Bundeswehr: Mit der 13 Kilogramm schweren Waffe können Soldaten Ziele in 300 bis 400 Metern Entfernung treffen. Je nach Munition kann damit 70 Zentimeter dicker Panzerstahl oder 24 Zentimeter dicker Stahlbeton zum Beispiel in Bunkeranlagen durchschlagen werden.
- 400 Panzerfäuste aus den Niederlanden: Dem Nachbarland wurde die Lieferung von 400 weiteren Panzerfäusten vom Typ 3 aus deutscher Produktion genehmigt.
- Neun Haubitzen aus Estland: Dem kleinen baltischen Land erlaubte die Bundesregierung den Export von neun Artilleriegeschützen aus DDR-Altbeständen. Die Haubitzen waren in den 90er Jahren von der Bundeswehr zuerst an Finnland geliefert und später an Estland weitergegeben worden. Dass Deutschland einem Export in die Ukraine zustimmen muss, ist in dem Vertrag zwischen Finnland und Estland geregelt. Es geht dabei um Waffen vom Modell D-30, die Mitte der 50er Jahre in der Sowjetunion entwickelt wurden. Die mehr als drei Tonnen schweren Haubitzen mit ihrem fast fünf Meter langen Kanonenrohr können eingesetzt werden, um feindliche Truppen oder Panzer auf eine Entfernung von bis zu etwa 15 Kilometern zu beschießen.
- Fahrzeuge und Treibstoff: Zudem soll die Ukraine von Deutschland 14 gepanzerte Fahrzeuge für Personenschutz, gegebenenfalls auch zu Evakuierungszwecken erhalten. Außerdem sollen bis zu 10 000 Tonnen Treibstoff über Polen in die Ukraine geliefert werden.
Auch die Opposition unterstützte die Waffenlieferungen. „Jetzt, wo man deutlich erkennt, dass man mit der Diplomatie am Ende ist, muss man auch eine Bereitschaft haben, (...) diejenigen, die ganz offensichtlich von dieser Aggression massiv bedroht werden, und in ihrem Leben bedroht werden, die zu unterstützen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
© dpa-infocom, dpa:220226-99-300593/13