Paris/Hamburg (dpa)

Lagerfeld und der Jogginghosenspruch: Zeit für Spurensuche

Gregor Tholl, dpa
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Von Gregor Tholl, dpa
| 08.03.2022 09:27 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Der Modedesigner Karl Lagerfeld sagte, man dürfe sich selbst vor seiner Katze nicht gehen lassen. Foto: Francois Mori/AP/dpa
Der Modedesigner Karl Lagerfeld sagte, man dürfe sich selbst vor seiner Katze nicht gehen lassen. Foto: Francois Mori/AP/dpa
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Karl Lagerfelds angeblicher Spruch „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ ist ein Beispiel dafür, wie die Kontrolle über ein Zitat verloren gehen kann.

Er war der unverwechselbare Ästhet mit der spitzen Zunge: Karl Lagerfeld. Vor drei Jahren starb der langjährige Chanel-Designer. Seitdem verantwortet seine Nachfolgerin Virginie Viard die Kollektionen des Modehauses.

Zu den bekanntesten Lagerfeld-Zitaten gehört zweifellos „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. An vielen Stellen steht geschrieben, dieser Satz sei vor zehn Jahren gefallen - in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vom 19. April 2012.

Zeit für eine Spurensuche

Doch es gibt da ein Problem: Das stimmt nicht. Über den seit mindestens zehn Jahren kursierenden flapsigen Ausspruch scheint die Kontrolle verloren gegangen zu sein. Zeit für eine Spurensuche.

Viele Jahre war der gebürtige Hamburger und Wahl-Pariser Lagerfeld ein gern gesehener Talkshow-Gast in Deutschland. Kaum jemand konnte so schnell parlieren wie der weltbekannte Mann mit dem weißen Zopf. Viele Bonmots des Designers sind legendär.

Lagerfeld bescheinigte zum Beispiel der „Germany’s Next Topmodel“-Präsentatorin Heidi Klum, kein so bedeutendes Model zu sein wie Claudia Schiffer, Nadja Auermann oder Tatjana Patitz. Im ZDF sagte der langjährige Chanel-Designer in der am 9. Juni 2009 ausgestrahlten Show „Johannes B. Kerner“: Er habe Fotos von „dieser Heidi Klum“ gesehen, „die ich nicht kenne. Auch Claudia kennt die auch nicht. Die war nie in Paris. Die kennen wir nicht.“

Die kesse Aussage in typischer Maschinengewehrsprache ist gut belegt, im Netz etwa bei Youtube, Twitter und so weiter zu finden. Meistens wird sie geglättet wiedergegeben („Ich kenne sie nicht, Claudia kennt die auch nicht. Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.“).

Woher kommt der Jogginghosenspruch?

Doch was ist mit dem Jogginghosenspruch - also in diesem Wortlaut „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“? Damit ist es weit komplizierter. Sowohl im April 2012 als auch in einer Ausgabe des Talks „Markus Lanz“ ein Jahr zuvor - am 17. März 2011 - fällt der Satz jedenfalls nicht.

Im ARD-Vorabendformat „Gottschalk Live“ vom 31. Januar 2012 gab Thomas Gottschalk eine Zuschauerfrage an den Designer weiter: „Zieht Karl, wenn er nach Hause kommt, auch als erstes seine Jogging-Hose an?“ Antwort: „Gehenlassen kenne ich nicht.“ Er lasse sich selbst vor seiner Katze nicht gehen, betonte Lagerfeld. Man müsse immer mit der Peitsche hinter sich stehen, so das Credo.

Auch in der ersten „Wetten, dass..?“-Ausgabe mit Markus Lanz als Moderator - am 6. Oktober 2012 in Düsseldorf - war Lagerfeld zu Gast. Auch da ging es um Jogginghosen. „Tragen Sie manchmal auch so Jogginganzüge?“, fragte Lanz dort mit Blick auf Cindy aus Marzahn.

Lagerfelds Antwort: „Nein. Weil man das nicht kontrollieren kann. Ich trag nur Kleidung, wo man genau weiß, wie weit man gehen kann. Nichts ist gefährlicher als Sachen aus Stretch, Gummiband und all so'n Quatsch. Soll man nie anziehen. Denn enge Kleidung ist besser wie 'ne Waage (...). Die beste Disziplin ist: enge Kleidung, denn ein Hosenband, das kann nicht lügen.“ Also er meine den Hosenbund, ergänzte der schnell schwatzende Lagerfeld.

Wo also ist die abschätzige Jogginghosen-Bemerkung zu finden? In der Presse taucht sie Archiven zufolge seit zehn Jahren immer wieder auf, sie wurde zum geflügelten Wort. Die Genios-Pressedatenbank spuckt als erste belegte Quelle im Sommer 2012 eine Zeitung aus, die den Satz im Wortlaut mit Hinweis auf die Zeitschrift „Grazia“ brachte. Doch beim Klambt-Verlag in Hamburg geht das digitale Archiv des Magazins „Grazia“ nur bis 2014 zurück. In einem alten Heft-Archiv von 2012 ist es nach Angaben aus der Redaktion unauffindbar.

Lagerfeld-Biograf ist ratlos

Auch der Lagerfeld-Biograf Alfons Kaiser („Karl Lagerfeld: Ein Deutscher in Paris“) ist ratlos. Lange habe auch er gedacht, der Satz sei bei Lanz im April 2012 gefallen, sagt der Journalist der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Immerhin weiß Kaiser, dass es in dem von Lagerfeld autorisierten Buch „Karl über die Welt und das Leben“ das folgende Zitat gibt: „Jogginghosen sind das Zeichen einer Niederlage. Man hat die Kontrolle über sein Leben verloren und dann geht man eben in Jogginghosen auf die Straße.“ Kaiser scheint dieses Zitat frei aus dem Englischen übersetzt zu sein („Sweatpants are a sign of defeat. You lost control of your life so you bought some sweatpants“). Das Buch erschien auf Deutsch 2014 bei Edel Books, auf Englisch 2013.

Jede und jeder, der sich mehrere Auftritte Lagerfelds anschaut, weiß bei alledem, dass er seine Sprüche auch oft wiederholte, insofern könnte es auch mehrere Originalversionen geben. „Lagerfeld hat Sprüche, die gut ankamen, gerne wiederholt, auch in anderen Sprachen, in der Annahme, dass das Selbstzitat dann nicht auffliegt“, sagt Biograf Kaiser. Ein Beispiel sei die oft variierte Aussage über seine Heimatstadt - von „Hamburg ist das Tor zur Welt, aber du musst auch durchgehen“ bis „Hamburg ist das Tor zur Welt, aber nur das Tor“.

Caroline Lebar war viele Jahre Sprecherin von Lagerfeld. Heute ist sie sogenannte Senior Vice President Image & Communications der Marke Karl Lagerfeld. Sie lässt ausrichten, sie habe das Gefühl, den Satz über Jogginghosen 15 oder 20 Jahre lang von Karl gehört zu haben („I have the feeling I always heard Karl saying this...“).

Fazit

Gesagt haben könnte Lagerfeld selbstverständlich diesen Satz „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Doch aufzufinden ist er genau in dieser vielfach zitierten Form im Original nicht so einfach. Beim berühmtesten Zitat von Lagerfeld, der die Bezeichnung „Modeschöpfer“ nicht so sehr mochte, weil das nach „erschöpft“ klinge, sollte man wohl eher davon sprechen, es mit einem „zugeschriebenen Zitat“ zu tun zu haben.

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