Berlin (dpa)
Nach Ruf aus Ländern: Flüchtlinge sollen verteilt werden
Die Bereitschaft, Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zu helfen, ist groß. Doch jeden Tag mehr als 10.000 Neuankömmlinge unterzubringen, ist nicht leicht. Die Regierung will nun die Unterbringung anpassen.
Nachdem immer mehr Kommunen über Engpässe bei der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine klagen, soll nun doch zumindest ein Teil von ihnen auf die einzelnen Bundesländer verteilt werden.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilte am Freitag nach einer Besprechung mit den Innenministern der Länder und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände mit: „Wir haben heute Vormittag vereinbart, dass wir nun verstärkt nach dem Königsteiner Schlüssel diejenigen Geflüchteten auf die Länder verteilen, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten untergebracht und versorgt werden.“
Bei der Verteilung von Asylbewerbern auf die Länder kommt der sogenannte Königsteiner Schlüssel zur Anwendung. Rechtlich möglich ist es, diesen auch bei der Aufnahme der Ukraine-Flüchtlinge anzuwenden. Faeser hatte am Mittwoch nach einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages noch erklärt, dies sei zunächst nicht erforderlich. Etliche Landesregierungen sehen das anders.
Fast 110.000 Flüchtlinge registriert
Die Bundespolizei hat seit Kriegsbeginn 109.183 Einreisende aus der Ukraine festgestellt. Die Mehrheit - 99.091 Menschen - sind nach Angaben der Behörde ukrainische Staatsangehörige. Da Ukrainer visumsfrei einreisen können und es keine stationären Kontrollen etwa an der Grenze zu Polen gibt, ist die Zahl vermutlich höher. Auch ist unbekannt, wie viele Flüchtlinge schon aus Deutschland in andere EU-Staaten weitergereist sind.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) forderte, die Aufnahmeprozesse klarer zu regeln. Die Situation in der Hauptstadt sei inzwischen so angespannt, dass man in der Nacht zu Freitag erstmals Flüchtlinge in der Messe untergebracht habe. Ihr Plan sei es, den alten Flughafen Tegel zu einem „Willkommens- und Verteilzentrum“ zu machen. Es gehe auch darum, dort 3000 Menschen so unterzubringen, dass sie dort erst einmal schlafen können.
Die Stadt Berlin stellte nach Angaben vom Freitag wie angekündigt ein Amtshilfeersuchen ans Verteidigungsministerium und bat damit die Bundeswehr um Unterstützung bei der Flüchtlingsaufnahme. Der Antrag auf Amtshilfe sei beim Landeskommando Berlin eingegangen, bestätigte ein Sprecher des Kommandos Territoriale Aufgaben. In Berlin kommen täglich Tausende Flüchtlinge an, der Senat rechnet auch in den nächsten Tagen jeweils mit etwa 15.000 Menschen.
Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) sagte, es sei gut, dass zu Fragen der Unterbringung von Flüchtlingen inzwischen eine Abstimmung mit der Bundesregierung laufe. Es sei wichtig, „dass wir das besser hinbekommen“. Deshalb müsse über die Versorgung der Flüchtlinge auch bei der Ministerpräsidentenkonferenz kommende Woche diskutiert werden.
Union: Berlin hinter den absehbaren Entwicklungen
Aus der Union kam erneut die Forderung nach einer Registrierung aller Kriegsflüchtlinge. „Vielen Kommunen fehlen jetzt schon die Betten und manche Möbelhäuser sind bereits leergekauft“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz. „Schwangere Frauen, Kleinkinder und Senioren mit körperlichen Einschränkungen sollen in Notunterkünften auf Feldbetten schlafen - das geht so nicht“, fügte sie hinzu. „Die Bundesinnenministerin rennt den absehbaren Entwicklungen seit Wochen hinterher“, kritisierte die CSU-Politikerin. Faeser müsse jetzt „endlich anfangen zu führen“.
Nach UN-Angaben haben seit dem 24. Februar bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen aus der Ukraine im Ausland Zuflucht gesucht. Die meisten blieben zunächst in den Nachbarländern.
Mit dem Deutschen Städtetag, dem Landkreistag sowie dem Städte- und Gemeindebund seien für die kommenden Tage weitere Gespräche vereinbart, um die Aufnahme und Versorgung der geflüchteten Menschen bestmöglich zu koordinieren, sagte Faeser. Ihr sei wichtig, dass die Geflüchteten schnell Sozialleistungen, medizinische Versorgung und Zugang zum Arbeitsmarkt erhielten, betonte die Ministerin. Dazu sei sie mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in engem Kontakt.
Die Bezeichnung Königsteiner Schlüssel geht zurück auf das Königsteiner Staatsabkommen der Bundesländer von 1949, mit dem die Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen geregelt wurde. Zahlreiche Abkommen und Vereinbarungen greifen inzwischen auf diesen Schlüssel zurück. Er setzt sich zu zwei Dritteln aus dem Steueraufkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl der Länder zusammen.
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