Berlin (dpa)
Kritik an Teil-Impfpflicht kurz vor ihrem Start
Ab Mittwoch gilt in Deutschland für das Pflege- und Gesundheitspersonal eine Corona-Impfpflicht. Kritiker warnen unter anderem vor Versorgungsengpässen.
Unmittelbar vor ihrem Start gerät die Corona-Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal in Deutschland erneut in den Fokus der Kritik.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz mahnte, mit dieser Impfpflicht werde die Pandemie in der Alten- und Krankenpflege nicht beherrschbar sein. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) warnte vor Versorgungsengpässen. Ab Mittwoch gilt die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal, und die Gesundheitsämter können dann in diesen Einrichtungen Beschäftigungskonsequenzen ziehen.
Auch ehrenamtlich Tätige und Praktikanten
Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen können offiziell noch bis diesen Dienstag ihre Corona-Impfung oder Genesung nachweisen - oder ein Attest vorlegen, dass sie nicht geimpft werden können. Die Impfpflicht greift auch für ehrenamtlich Tätige und Praktikanten, regelmäßig in Einrichtungen arbeitende Handwerker und Friseure. Nicht erfasst sind dagegen Postboten oder Paketzusteller und Handwerker, die nur für einmalige Aufträge kommen.
Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte weitergehende Schritte zum Schutz in Pflegeheimen. Er verwies darauf, dass die derzeitigen Impfstoffe die Verbreitung der aktuellen Corona-Variante kaum stoppen könnten. „So bleibt es ein gefährliches Spiel mit Leib und Leben, solange sich infizierte und nicht infizierte Heimbewohner ein Zimmer teilen müssen.“ Das passiere aktuell immer wieder. „Notwendig wäre es vielmehr, Infizierte und nicht Infizierte strikt voneinander zu trennen. Im Pflegeheim ist das praktisch nicht möglich“, sagte Brysch.
Nötig seien lokale Ausweichquartiere - etwa Krankenhäuser, Reha-Einrichtungen oder Hotels, sagte Brysch. Für ein solches, kurzfristig nötiges Verfahren brauche es eine Gesetzesgrundlage. Stattdessen drohe die Einrichtungsimpfpflicht den Personalmangel in sensiblen Bereichen zu verschärfen.
Warnung vor Unterbesetzung
Der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), sein Verband sei sehr besorgt, weil Versorgungsengpässe drohten, wenn flächendeckend Betretungsverbote für ungeimpftes Personal ausgesprochen würden. „Es wird Pflegeheime geben, die dann ihre Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr versorgen können.“ Schließlich gebe es schon jetzt einen riesigen Fachkräftemangel.
In der Debatte über die künftigen Corona-Schutzmaßnahmen fordert die Kultusministerkonferenz (KMK) Nachbesserungen für die Schulen. Die Länder sollten auch über den 20. März hinaus bei Bedarf eine Maskenpflicht im Unterricht anordnen können, sagte die schleswig-holsteinische Kultusministerin Karin Prien (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Zwar sollten bis spätestens Mai nach dem Willen der Länder an Schulen alle Einschränkungen entfallen, insbesondere auch die Pflicht zum Tragen von Masken und zu anlasslosen Testungen. Aktuell aber sei eine bundesweite Regelung für den Basisschutz nötig, „die es auch ermöglicht, bei Bedarf Maskenpflicht und Testpflicht als Werkzeuge zur Verfügung zu haben“.
Nach einem Entwurf der Ampel-Regierung soll nach dem 20. März eine Maskenpflicht nur noch in Pflegeheimen, Kliniken und im öffentlichem Nahverkehr sowie im Fernverkehr gelten. Sollte sich die Corona-Lage regional verschärfen, können die Länder demnach auch per Parlamentsbeschluss strengere Regeln, etwa weitreichende Maskenpflichten, einführen. Am Mittwoch soll der Bundestag erstmals über einen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) vorgelegten Entwurf beraten. Dabei geht es um eine neue Rechtsgrundlage für Beschränkungen, wenn die jetzige ausläuft.
Gangbarer Kompromiss durch Hotspot-Regelung
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt davor, von den geplanten Lockerungen Abstand zu nehmen. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf die Zusagen der Politik verlassen können“, sagte KBV-Chef Andreas Gassen der „Rheinischen Post“. Zudem könne die vorgesehene Hotspot-Regelung einen gangbaren Kompromiss darstellen. „Auf diese Weise können zwar bundesweit die meisten Corona-Regeln wegfallen, gleichzeitig besteht aber die Möglichkeit, dass die Bundesländer beispielsweise im Falle stark steigender Infektionszahlen dann notwendige Maßnahmen wie etwa Maskentragen oder Testen wieder begrenzt einführen.“
Derweil forderte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. „An einer allgemeinen Impfpflicht als Ultima Ratio führt kein Weg mehr vorbei. Sie ist die wirkungsvollste Vorsorgemaßnahme für weitere Wellen ab Herbst“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm dem RND.
© dpa-infocom, dpa:220315-99-522687/4