Kiew (dpa)
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
In der Ukraine wird weiter heftig gekämpft - und zugleich verhandelt. Scholz schließt währenddessen ein Eingreifen der Nato erneut aus. Die Entwicklungen im Überblick.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat ein militärisches Eingreifen der Nato im Ukraine-Krieg weiter ausgeschlossen.
„Mit US-Präsident Joe Biden, mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und den anderen Verbündeten bin ich mir einig, dass es keine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Nato und Russland geben darf. Das kann niemand wollen“, sagte Scholz am Dienstag auf dem Wirtschaftsgipfel der „Welt“ in Berlin. „Wir werden keine Flugverbotszonen über der Ukraine einrichten. Das würde eine direkte militärische Konfrontation mit Russland, mit russischen Kampfflugzeugen bedeuten“, wird Scholz von der Zeitung „Welt“ weiter zitiert.
Das westliche Bündnis vertraue weiter auf die Wirkung von Maßnahmen, die vor allem auf die russische Wirtschaft abzielen, fügte er laut Angaben der Zeitung hinzu. „Gemeinsam mit unseren Verbündeten in Europa und den USA haben wir sehr präzise Sanktionen vorbereitet.“ Scholz sagte weiter: „Präsident Wladimir Putin mag diesen Krieg ein Jahr geplant und sich auf wirtschaftliche Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft eingestellt haben - doch er hat unsere Entschlossenheit unterschätzt: Die Sanktionen haben stärkere Auswirkungen, als es sich Russland je vorgestellt hat.“
Kiew: Verhandlungen mit Moskau werden konstruktiver
Die Ukraine und Russland haben währenddessen weiter über ein Ende des Krieges verhandelt. Die ukrainische Regierung sieht dabei Fortschritte.
Die Gespräche über eine mögliche Friedenslösung seien „konstruktiver“ geworden, sagte der ukrainische Präsidentenberater Ihor Showkwa der Agentur Unian zufolge. „In den ersten Runden war Russland nicht bereit, unsere Position anzuhören, sondern hat Ultimaten gestellt: dass die Ukraine sich ergibt, die Waffen niederlegt, dass unser Präsident eine Kapitulation unterzeichnet“, sagte Showkwa. „Nun spricht Russland in einem etwas anderen Ton.“
Beide Seiten verhandelten am Montag und Dienstag in einer Videoschalte. Showkwa sagte, die ukrainische Delegation sei „verhalten optimistisch“. Ein Durchbruch könne aber erst durch ein Eingreifen der Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin erreicht werden.
Später am Abend erklärte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak, die Gespräche würden am Mittwoch fortgesetzt. „Es ist ein sehr komplexer und zäher Verhandlungsprozess“, schrieb er auf Twitter. „Es gibt grundlegende Widersprüche. Aber natürlich gibt es Raum für Kompromisse.“
Die Ukraine fordert ein Ende des Kriegs und einen Abzug der russischen Truppen. Moskau verlangt unter anderem, dass Kiew die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisch sowie die ostukrainischen Separatistengebiete als unabhängige Staaten anerkennt.
Der russische Präsident kritisierte am Nachmittag in einem Telefonat mit EU-Ratspräsident Charles Michel das Auftreten der ukrainischen Seite bei den laufenden Verhandlungen. Putin habe gesagt, „dass Kiew keine ernsthafte Haltung zur Suche nach für beide Seiten akzeptablen Lösungen zeigt“, hieß es in einer Kreml-Mitteilung. Zudem warf Putin der EU vor, am Montag einen ukrainischen Raketenangriff auf ein Wohngebiet im ostukrainischen Separatistengebiet Donezk ignoriert zu haben. Die Ukraine stritt bereits ab, für die Attacke verantwortlich zu sein.
Selenskyj: Verstehen, dass wir nicht zur Nato gehören werden
Präsident Selenskyj räumte eine Nato-Beitrittsperspektive seines Landes als unwahrscheinlich ein. „Es ist klar, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied ist, wir verstehen das“, sagte Selenskyj während eines Online-Auftritts vor Vertretern der nordeuropäischen Militär-Kooperation Joint Expeditionary Force. „Jahrelang haben wir von offenen Türen gehört, aber jetzt haben wir auch gehört, dass wir dort nicht eintreten dürfen, und das müssen wir einsehen“, fügte Selenskyj hinzu. „Ich bin froh, dass unser Volk beginnt, das zu verstehen, auf sich selbst zu zählen und auf unsere Partner, die uns helfen.“
Ukraine: Russische Angriffe abgewehrt
Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben an mehreren Fronten russische Angriffe abgewehrt. Nördlich von Kiew sei es russischen Kräften nicht gelungen, die Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, teilte der ukrainische Generalstab mit. Auch die westlich der Hauptstadt gelegene Stadt Makariw hätten die Angreifer nicht einnehmen können.
In der Ostukraine seien ebenfalls Vorstöße zurückgeschlagen worden, etwa bei der Stadt Lyssytschansk. Der Feind habe Verluste erlitten und sich zurückgezogen. Hingegen versuchten die Angreifer, sich in der nahe gelegenen Stadt Rubischne im Donbass festzusetzen. Die eingeschlossene südostukrainische Hafenstadt Mariupol werde beständig aus mehreren Richtungen mit Artillerie und Kampfflugzeugen angegriffen, hieß es.
Der Generalstab warf den russischen Einheiten vor, verstärkt Wohngebiete und kritische Infrastruktur zu beschießen.
Pentagon: Russische Bodentruppen machen kaum Fortschritt
Die russischen Bodentruppen machen in der Ukraine nach Einschätzung der US-Regierung weiter kaum Fortschritte. Die Hauptstadt Kiew werde weiter aus großer Entfernung bombardiert, sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter. Immer öfter würden zivile Ziele wie Wohngebiete getroffen. Das russische Militär sei aber nicht nennenswert näher an die Stadt herangerückt. Schätzungen nach seien die russischen Truppen im Nordwesten etwa 15 bis 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, im Osten seien es zwischen 20 und 30 Kilometer.
Die nordukrainische Stadt Tschernihiw und die Stadt Mariupol am Asowschen Meer seien weiter isoliert. Aktuell sehe man keine unmittelbare Bewegung vom Meer aus in Richtung der wichtigen südwestukrainischen Hafenstadt Odessa.
Kiew: Tausenden gelingt Flucht aus Mariupol
Aus der belagerten Hafenstadt Mariupol ist Angaben aus Kiew zufolge 20.000 weiteren Zivilisten die Flucht gelungen. Insgesamt 4000 Privatautos hätten die Metropole am Asowschen Meer am Dienstag verlassen können, schrieb der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, am Abend auf Telegram. Davon seien 570 Fahrzeuge bereits in der mehr als 200 Kilometer nordwestlich gelegenen Stadt Saporischschja angekommen, hieß es.
Mariupol mit etwa 400.000 Einwohnern ist seit Tagen von russischen Einheiten umzingelt und vom Rest des Landes abgeschnitten. Immer wieder scheiterten Versuche eines Hilfskonvois, aus der westlich gelegenen Stadt Berdjansk Lebensmittel und Medikamente nach Mariupol zu bringen.
In den Außenbezirken von Mariupol dauern die Kämpfe unterdessen an. Das ultranationalistische Bataillon Asow habe dort eine Einheit russischer Truppen besiegt, teilte der ukrainische Generalstab am Abend auf Facebook mit.
Rotes Kreuz geleitet Konvois aus Sumy
Auch aus der belagerten ukrainischen Region Sumy an der russischen Grenze sind am Dienstag mit Hilfe des Roten Kreuzes zwei Konvois mit Zivilisten an Bord losgefahren. Das Rote Kreuz begleitete mindestens 80 Busse Richtung Lubny, wie es am Dienstagabend in Genf berichtete. Die Busse hätten Sumy am Dienstagnachmittag um 15.30 Uhr verlassen, die Aktion laufe noch, teilte die Zentrale des Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am Abend in Genf mit.
Die Busse wurden von klar markierten Rotkreuz-Fahrzeugen begleitet, was Angriffe verhindern sollte. Die Aktion sei durch eine Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien möglich geworden, teilte das IKRK mit. Die Rettungsaktion war seit dem Morgen vorbereitet worden.
Streit über Fluchtkorridore für Zivilisten
Zuvor hatte die russische Armee der ukrainischen Seite mangelnde Kooperation bei Fluchtkorridoren für die gefährdete Zivilbevölkerung vorgeworfen. Von zehn Fluchtrouten, die Russland vorgeschlagen habe, habe die Ukraine nur dreien zugestimmt. Keine dieser Routen führe auf russisches Gebiet, sagte Generaloberst Michail Misinzew vom Verteidigungsministerium in Moskau. Im Gegenteil: Ukrainische Soldaten hinderten Flüchtlinge aktiv am Übertritt nach Russland, behauptete Misinzew.
Seinen Angaben nach hat die russische Armee seit dem Vortag 37.000 Menschen in Bussen oder Autos die Ausreise aus umkämpften Gebieten bei Schytomyr, Luhansk, Donezk und Mariupol ermöglicht. Misinzew warf den ukrainischen Truppen vor, die aus humanitären Gründen vereinbarten Feuerpausen zur Umgruppierung und Verstärkung zu nutzen. Dagegen sagte die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk, es seien neun Korridore eingerichtet worden.
Tote bei Angriff auf Schule bei Mykolajiw
Bei einem russischen Angriff nahe der südukrainischen Großstadt Mykolajiw sind nach ukrainischen Angaben mindestens sieben Menschen getötet worden. Drei Menschen seien bei der Attacke auf eine Schule im Dorf Selenyj Haj verletzt worden, teilte der örtliche Zivilschutz mit. Der Angriff ereignete sich demnach bereits am Sonntagmorgen. Die ersten Aufräumarbeiten seien nun abgeschlossen, hieß es.
Kiew: Fünf Journalisten getötet
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind mindestens fünf Reporter getötet und mehr als 30 verletzt worden. Außer dem US-Journalisten Brent Renaud seien die ukrainischen Reporter Wiktor Dudar und Jewhen Sakun durch russischen Beschuss ums Leben gekommen, schrieb die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, bei Telegram. Der US-Sender Fox News teilte mit, der Kameramann und Fotograf Pierre Zakrzewski sowie die Journalistin Oleksandra Kuvshynova seien bei einem Vorfall nahe Kiew ums Leben gekommen.
„Die russischen Besatzer kämpfen gegen eine objektive Berichterstattung ihrer Kriegsverbrechen in der Ukraine, sie töten und beschießen Journalisten“, behauptete Denisowa.
UN dokumentieren Tod von 691 Zivilisten
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat seit dem Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar den Tod von 691 Zivilpersonen in der Ukraine dokumentiert. Unter ihnen sind 48 Kinder und Jugendliche, wie das Büro in Genf mitteilte. Am Vortag waren es noch insgesamt 636 Tote. Dem Büro lagen zudem verifizierte Informationen über 1143 Verletzte vor. Am Vortag waren es 1125.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, betont stets, dass die tatsächlichen Zahlen mit Sicherheit deutlich höher liegen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bräuchten oft Tage, um Opferzahlen zu überprüfen. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat.
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